Die Gunst des Augenblicks von Friedrich Schiller

Und so finden wir uns wieder
In dem heitern bunten Reihn,
Und es soll der Kranz der Lieder
Frisch und grün geflochten sein.
 
Aber wem der Götter bringen
Wir des Liedes ersten Zoll?
Ihn vor allen laßt uns singen,
Der die Freude schaffen soll.
 
Denn was frommt es, daß mit Leben
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Ceres den Altar geschmückt?
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Daß den Purpursaft der Reben
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Bacchus in die Schale drückt?
 
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Zückt vom Himmel nicht der Funken,
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Der den Herd in Flammen setzt,
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Ist der Geist nicht feuertrunken,
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Und das Herz bleibt unergetzt.
 
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Aus den Wolken muß es fallen,
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Aus der Götter Schoß das Glück,
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Und der mächtigste von allen
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Herrschern ist der Augenblick.
 
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Von dem allerersten Werden
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Der unendlichen Natur
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Alles Göttliche auf Erden
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Ist ein Lichtgedanke nur.
 
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Langsam in dem Lauf der Horen
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Füget sich der Stein zum Stein,
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Schnell, wie es der Geist geboren,
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Will das Werk empfunden sein.
 
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Wie im hellen Sonnenblicke
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Sich ein Farbenteppich webt,
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Wie auf ihrer bunten Brücke
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Iris durch den Himmel schwebt,
 
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So ist jede schöne Gabe
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Flüchtig wie des Blitzes Schein,
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Schnell in ihrem düstern Grabe
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Schließt die Nacht sie wieder ein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Gunst des Augenblicks“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
185
Entstehungsjahr
1759 - 1805
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das hier vorgelegte Gedicht heißt „Die Gunst des Augenblicks“ und stammt von Friedrich Schiller, einem bedeutenden Dichter der Weimarer Klassik. Schiller lebte von 1759 bis 1805, somit ist das Gedicht in die Epoche der Klassik einzuordnen, die etwa vom Ende des 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reicht.

Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht der Eindruck von hoher Wertschätzung des gegenwärtigen Moments, der flüchtigen Schönheit, die er beinhalten kann, und der Einsicht in die Bedeutung des Augenblicks für das lyrische Ich. In acht Strophen mit jeweils vier Versen wird diese Sichtweise dargestellt.

Die Wichtigkeit des Augenblicks wird vorerst in der ersten und zweiten Strophe durch die metaphorische Verwendung des „Kranzes der Lieder“ und die Notwendigkeit, diesen frisch und grün, also lebendig und gefüllt mit gegenwärtigen Eindrücken, zu halten, dargestellt.

Die drei zentralen Strophen des Gedichtes diskutieren die göttlichen Kräfte, die als mögliche Urheber von Freude und Inspiration betrachtet werden könnten, jedoch ohne den Moment, den 'Funken', der das Herz entzündet und den Geist 'feuertrunken' macht, nichts bewirken können. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich die Gunst des Augenblicks als entscheidend für die Erfahrung von Freude und Inspiration sieht.

Die letzte Strophe betont die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der schönen Gaben, die die Augenblicke bieten können, und die Rolle der Nacht, die das alles wieder verschlingt. Das Gedicht endet auf eine eher dunkle, doch auch realistische Note.

Formal ist das Gedicht in achtsilbige Reimpaare gegliedert, was einen fließenden, rhythmischen Lesevorgang ermöglicht. Die Sprache und Bilder sind anspruchsvoll und dicht, typisch für die Epoche der Klassik, in der sich Poeten um tiefschürfende, philosophische Themen kümmerten.

Insgesamt kann das Gedicht als eine Betrachtung über das Vergehen der Zeit, die Vergänglichkeit der Schönheit und die Wichtigkeit des Augenblicks interpretiert werden. Es regt dazu an, jeden Moment zu genießen und dessen Einzigartigkeit zu schätzen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Gunst des Augenblicks“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Schiller. Im Jahr 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1775 und 1805. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird der Sturm und Drang auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter waren meistens junge Autoren, zumeist nicht älter als 30 Jahre. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Die Epoche der Klassik beginnt nach herrschender Auffassung mit der Italienreise Goethes, die er 1786 im Alter von 36 Jahren machte. Das Ende der Epoche wird auf 1832 datiert. In der Klassik wurde die Literatur durch Einflüsse der Französischen Revolution, die ziemlich zu Beginn der Epoche stattfand, entscheidend geprägt. In der Französischen Revolution setzten sich die Menschen dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. Typisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Autoren haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 185 Worte. Weitere Werke des Dichters Friedrich Schiller sind „An den Frühling“, „An die Gesetzgeber“ und „An die Parzen“. Zum Autor des Gedichtes „Die Gunst des Augenblicks“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.

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