Das Abendmahl von Rainer Maria Rilke
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Sie sind versammelt, staunende Verstörte, |
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um ihn, der wie ein Weiser sich beschließt, |
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und der sich fortnimmt denen er gehörte |
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und der an ihnen fremd vorüberfließt. |
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Die alte Einsamkeit kommt über ihn, |
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die ihn erzog zu seinem tiefen Handeln; |
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nun wird er wieder durch den Oelwald wandeln, |
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und die ihn lieben, werden vor ihm fliehn. |
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Er hat sie zu dem letzten Tisch entboten |
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und (wie ein Schuß die Vögel aus den Schoten |
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scheucht) scheucht er ihre Hände aus den Broten |
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mit seinem Wort: sie fliegen zu ihm her; |
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sie flattern bange durch die Tafelrunde |
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und suchen einen Ausgang. Aber er |
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ist überall wie eine Dämmerstunde. |
Details zum Gedicht „Das Abendmahl“
Rainer Maria Rilke
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15
105
1906
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Das Abendmahl“ wurde von Rainer Maria Rilke verfasst, einem bedeutenden deutschsprachigen Dichter des Symbolismus und der Moderne. Er lebte von 1875 bis 1926.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht melancholisch und erzählt von der Isolation einer mittigen Figur, die von ihrer Gemeinschaft als Fremder wahrgenommen wird. Die Atmosphäre ist gedämpft und voller Unsicherheit.
Inhaltlich greift Rilke die biblische Geschichte des letzten Abendmahls auf: Eine Person (vermutlich Jesus) wird als Weiser und Führer beschrieben, der sich jedoch von den Menschen, denen er nahesteht, entfremdet fühlt und sich von ihnen entfernt. Diese Person wirkt einsam und seine Lieben sind verwirrt und verängstigt vor seiner Präsenz. Er lädt sie zu einem letzten gemeinsamen Mahl ein. Dieser Akt der Einladung sorgt aber eher für Unruhe und Verwirrung, da sie seine Worte und Gesten nicht verstehen können und sich von ihm entfernen möchten.
Die Worte dieser zentralen Figur wirken auf die Gemeinschaft wie Schüsse, die Vögel aus Schoten scheuchen: Sie erzeugen Unbehagen und führen zu einer Instabilität in der Gemeinschaft. Die Dämmerstunde symbolisiert möglicherweise den nahenden Tod dieser Person und die damit verbundene Unsicherheit und das Unbekannte.
Formal handelt es sich um ein Gedicht in freien Versen. Die Strophen sind unregelmäßig: die erste besteht aus acht, die zweite aus sieben Versen. Rilke verwendet einfache, klare Sprache und lebendige Metaphern, um die Gefühle und Situationen zu beschreiben. Obwohl das Thema ernst und melancholisch ist, gibt es in den Versen einen musikalischen, fast melodischen Klang.
Sprachlich ist das Gedicht geprägt von symbolhaften und bildlichen Ausdrücken. Rilkes vergleicht etwa das Handeln des Protagonisten mit dem Scheuchen von Vögeln, was Verwirrung und Unruhe unterstreicht. Zudem ist die Sprache mit Emotionen geladen: Begriffe wie „staunend“, „fremd“, „fliehen“, „bange“ geben Einblick in die emotionalen Zustände der Beteiligten und intensivieren die melancholische Stimmung.
Zusammenfassend ergibt sich das Bild eines Protagonisten, der sich in einer entscheidenden Lebensphase befindet, sich aber zunehmend von den Menschen in seiner Umgebung entfremdet. Rilkes Darstellung dieses Prozesses ist dabei voller emotionaler Tiefe und poetischer Schönheit.
Weitere Informationen
Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“. Der Autor Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Im Jahr 1906 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin / Leipzig, Stuttgart. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 105 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 15 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke sind „Am Kirchhof zu Königsaal“, „Am Rande der Nacht“ und „An Julius Zeyer“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“ weitere 338 Gedichte vor.
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