Allerseelen von Rainer Maria Rilke
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Rings liegt der Tag von Allerseelen |
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voll Wehmut und voll Blütenduft, |
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und hundert bunte Lichter schwelen |
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vom Feld des Friedens in die Luft. |
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Sie senden Palmen heut und Rosen; |
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der Gärtner ordnet sie mit Sinn – |
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und kehrt zum Eck der Glaubenslosen |
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die alten, welken Blumen hin. |
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II |
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»Jetzt beten, Willy, – und nicht reden!« |
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Mit großem Aug gehorcht der Knab. |
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Der Vater legt den Kranz Reseden |
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auf seines armen Weibes Grab. |
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»Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!« |
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Klein-Willy sieht empor und macht |
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wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun, |
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daß er am Weg heraus gelacht! |
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Es sticht im Auge ihn – wie Weinen … |
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Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht; |
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ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen |
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beim Ausgang jäh der Buden Pracht. |
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Es blinkt durch den Novembernebel |
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herüber lichtbeglänzter Tand; |
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er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel |
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und küßt dem Vater leis die Hand. |
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Und der versteht. Dann gehn sie weiter … |
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Der Vater sieht so traurig aus. – |
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Doch einen Pfefferkuchenreiter |
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schleppt Willy selig sich nach Haus. |
Details zum Gedicht „Allerseelen“
Rainer Maria Rilke
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167
nach 1891
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Allerseelen“ wurde von dem österreichischen Lyriker Rainer Maria Rilke geschrieben, der von 1875 bis 1926 lebte. Rilke gehört zur Epoche des Symbolismus und der Moderne, wobei „Allerseelen“ im Jahr 1894 veröffentlicht wurde.
Beim ersten Eindruck stellt man fest, dass es sich um ein Gedicht mit starken Bildern und Emotionen handelt, das eine spezielle Atmosphäre von Trauer, Erinnerung und kindlicher Unschuld schafft.
Inhaltlich handelt das Gedicht vom Gedenktag Allerseelen, an dem die Verstorbenen geehrt werden. Es beschreibt einen Besuch eines Vaters und seines Sohnes Willy auf dem Friedhof, um das Grab der verstorbenen Mutter zu schmücken. Der junge Willy erhält Anweisungen, wie er sich zu verhalten hat, und zeigt eine Mischung aus Ehrfurcht, Unschuld und kindlicher Vergesslichkeit - er lacht, bereut es aber sofort. Die beiden kehren in stummer Trauer nach Hause zurück. Am Ausgang wird Willy jedoch durch das Leuchten der Jahrmarktsstände abgelenkt und trägt am Ende glücklich einen Pfefferkuchenreiter nach Hause.
Inhaltlich drückt das lyrische Ich eine tiefe Wehmut und Traurigkeit über den Verlust der Mutter aus. Die Gegenüberstellung der Ernsthaftigkeit und Traurigkeit des Vaters mit der kindlichen Unschuld und Freude von Willy erzeugt einen starken Kontrast, der das Gedicht durchzieht.
Formal gesehen weist das Gedicht eine klare Struktur mit acht vierzeiligen Strophen auf. Es reimt sich im Kreuzreim (abab), wodurch es einen fließenden Rhythmus erhält. Hinzu kommen zahlreiche sprachliche Bilder und starke Kontraste, etwa zwischen der traurigen Atmosphäre auf dem Friedhof und der leuchtenden, lebendigen Welt außerhalb.
Insgesamt ist „Allerseelen“ ein tiefgehendes Gedicht, das sowohl das Thema Tod und Trauer als auch kindliche Unschuld und das Weitergehen des Lebens einfängt. Es lebt vor allem von seinem Kontrast zwischen ernsthafter Trauer und kindlicher Freude und lässt Raum für eine Vielzahl von Interpretationen.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Allerseelen“ ist Rainer Maria Rilke. Rilke wurde im Jahr 1875 in Prag geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1891 und 1926. Der Erscheinungsort ist Frankfurt am Main. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 167 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 29 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Advent“, „Als ich die Universität bezog“ und „Am Kirchhof zu Königsaal“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Allerseelen“ weitere 338 Gedichte vor.
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