Das alte Schloß von Annette von Droste-Hülshoff

Auf der Burg haus' ich am Berge,
Unter mir der blaue See,
Höre nächtlich Koboldzwerge,
Täglich Adler aus der Höh',
Und die grauen Ahnenbilder
Sind mir Stubenkameraden,
Wappentruh' und Eisenschilder
Sofa mir und Kleiderladen.
 
Schreit' ich über die Terrasse
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Wie ein Geist am Runenstein,
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Sehe unter mir die blasse
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Alte Stadt im Mondenschein,
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Und am Walle pfeift es weidlich,
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Sind es Käuze oder Knaben?
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Ist mir selber oft nicht deutlich,
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Ob ich lebend, ob begraben!
 
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Mir genüber gähnt die Halle,
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Grauen Tores, hohl und lang,
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Drin mit wunderlichem Schalle
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O Langsam dröhnt ein schwerer Gang;
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Mir zur Seite Riegelzüge,
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Ha, ich öffne, laß die Lampe
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Scheinen auf der Wendelstiege
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Lose modergrüne Rampe,
 
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Die mich lockt wie ein Verhängnis,
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Zu dem unbekannten Grund;
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Ob ein Brunnen? ob Gefängnis?
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Keinem Lebenden ist's kund;
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Denn zerfallen sind die Stufen,
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Und der Steinwurf hat nicht Bahn,
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Doch als ich hinab gerufen,
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Donnert's fort wie ein Orkan.
 
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Ja, wird mir nicht baldigst fade
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Dieses Schlosses Romantik,
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In den Trümmern, ohne Gnade,
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Brech' ich Glieder und Genick;
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Denn, wie trotzig sich die Düne
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Mag am flachen Strande heben,
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Fühl' ich stark mich wie ein Hüne,
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Von Zerfallendem umgeben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Das alte Schloß“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
192
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

„Das alte Schloß“ von Annette von Droste-Hülshoff ist ein Gedicht, das das lyrische Ich in ein altes, verfallenes Schloss versetzt. Das lyrische Ich erlebt die Begegnung mit einer anderen Welt: Einzelne Bewohner, wie Koboldzwerge und Adler, sind ebenso Gefährten wie die Ahnenbilder in den Gemäuern. Der Kontrast zwischen eingefrorener Vergangenheit und dem erregenden Gefühl hat etwas Unheimliches, das Walter Benjamin als „Aura“ bezeichnet hat. Auch das Gefühl des lyrischen Ichs ist ein Ambivalentes: Einmal fühlt es sich wie ein Geist im Runenstein und einmal wie ein Hüne inmitten des Zerfalls.

Es gibt jedoch auch eine Sehnsucht in diesem Gedicht. Es ist eine Sehnsucht nach der Vergangenheit, nach dem, was ursprünglich war und für immer im Schloss eingeschlossen ist. Diese Sehnsucht wird durch den Refrain wiederholt, sodass die Dichterin erneut auf das alte Schloss hinweist. Auch die Wut des lyrischen Ichs auf den Zerfall betont die Sehnsucht: Wenn es die Mauern nicht zerstören kann, setzt es sich einfach an ihren Rand.

Schließlich kann sich das lyrische Ich vor dem, was das alte Schloss darstellt, nicht verschließen. Es nimmt den Verfall nicht nur als eine tragische Realität hin, sondern als etwas, das es akzeptieren und seine Sehnsucht nie wieder loslassen muss.

Insgesamt stellt dieses Gedicht eine Ode an die Vergangenheit dar, an das alte Schloss und die Sehnsucht, die es in dem lyrischen Ich ausgelöst hat. Es ist ein Gedicht über den unwiderruflichen Verlust einer einzigartigen Zeit, der jedoch auch als Inspiration für die Zukunft verstanden werden kann.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das alte Schloß“ der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Geboren wurde Droste-Hülshoff im Jahr 1797 . Zwischen den Jahren 1813 und 1848 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zur Epoche Biedermeier zu. Bei der Schriftstellerin Droste-Hülshoff handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das 192 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Weitere Werke der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff sind „Letzte Worte“, „Im Grase“ und „An meine Mutter“. Zur Autorin des Gedichtes „Das alte Schloß“ haben wir auf abi-pur.de weitere 123 Gedichte veröffentlicht.

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