An einen Freund von Annette von Droste-Hülshoff

Umsäuselt von des Frühdufts süßen Lüften,
Schau ich an meines Fensters Rand gelehnt
Vergeblich spähend durch die grünen Triften,
Und oft vom Schein getäuscht mein Auge wähnt:
Es hebe fern sich in den Morgendüften
Der Türme Heer, das Münster stolz umkrönt,
Und flüsternd hallt zu dir durchs Taugeflimmer
Mein leiser Laut: nahst du, o Freund, denn nimmer?
 
Schon ist ein Mond entschwunden, seit vergebens
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Die Freundin dein mit stiller Sehnsucht harrt.
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Sie fühlt nur halb den Lenz voll jungen Strebens,
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Und halb noch scheint ihr die Natur erstarrt.
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Dein Leben fehlt, der schönere Teil des Lebens,
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Des Freundes heitre holde Gegenwart;
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Dem duftet nie der Freude schönste Blüte,
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Der sie verschließt im einsamen Gemüte.
 
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Ein Chaos, liegt die Welt vor seinen Blicken
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In graue Dämmerung eingehüllt, er schaut
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Das nächste nur, wohl kann es ihn beglücken,
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Und wohl erreicht sein Ohr der neue Laut.
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Doch nimmer wird das Ganze ihn entzücken,
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Nie wird ihm seine Harmonie vertraut.
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Durch Blüten wandelt er und grüne Weiden,
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Und achtlos tritt sein Fuß die kleinen Freuden.
 
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Doch wenn der Freundschaft Morgensonne glühend
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Mit hellem Strahl das Dämmertal durchbebt,
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Dann ist's, als wenn ein düstrer Dämon fliehend
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Von seinem Busen Felsenlasten hebt.
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Er sieht das Tal mit tausend Pflänzchen blühend,
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In jedem Blättchen eine Freude lebt.
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Was er für tote Masse nur gehalten,
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Sieht er mit tausend Reizen sich gestalten.
 
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O nahe dich, daß freundlich mir und golden
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Belebe sich die blühende Natur;
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Es füllen Blumen rings und helle Dolden
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Mit süßem Wohlgeruch die Lüfte nur.
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Der Äther schallt vom Festgesang der holden
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Gefiederten Bewohner dieser Flur.
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Seit Monden schon entfloh des Winters Trauern,
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Was weilst du Teurer in den öden Mauern.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „An einen Freund“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
277
Entstehungsjahr
1797 - 1848
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Gedicht handelt es sich um „An einen Freund“ von Annette von Droste-Hülshoff, eine deutsche Schriftstellerin und Komponistin, die als eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen des 19. Jahrhunderts gilt. Das Gedicht entstand in der Epoche der Romantik gegen Anfang des 19. Jahrhunderts.

Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen melancholischen, sehnsuchtsvollen Eindruck mit einer intensiven, atmosphärischen Darstellung von Natur und Emotionen.

Inhaltlich dreht es sich um einen vermissten Freund und die damit verbundene Sehnsucht des lyrischen Ichs. Das lyrisische Ich, sehr wahrscheinlich Annette von Droste-Hülshoff selbst, späht in der Hoffnung auf die Ankunft ihres Freundes durch die grünen Triften. Sie fühlt sich einsam und vermisst die Fröhlichkeit, die der Freund in ihr Leben bringt. Sie beschreibt ihn als den schöneren Teil des Lebens. Ohne ihn ist ihre Welt grau und chaotisch, sie erkennt nicht die Freude und Schönheit in kleinen Dingen. Doch die Freundschaft mit ihrem Freund erleuchtet ihr Dasein und lässt die Welt mit tausend Reizen erscheinen.

Das Gedicht besteht aus fünf Oktaven - Strophen mit jeweils acht Versen. Die Worte sind bildreich und malerisch, typisch für die Epoche der Romantik. Die Sprache ist eher altertümlich und formal gehalten, beinhaltet jedoch keine unbekannten oder schwer verständlichen Wortkonstruktionen. Emotionen und Stimmungen werden sehr bildhaft und ausgeschmückt dargestellt.

Den Sprachstil und vor allem den hohen Bildanteil des Gedichts kann man auf den Romanzismus zurückführen, in dem Gefühle und individuelle Emotionalität hoch angesehen waren. Es wird eine stark sinnliche, emotional aufgeladene Sprache verwendet, die eine innige, atmosphärische Melancholie ausdrückt. Die Natur wird als Ausdruck der eigenen Gefühlswelt und Sehnsucht benutzt, eine Technik, die ebenfalls typisch für die Romantik ist.

Zusammengefasst handelt es sich bei „An einen Freund“ um ein emotionales Bekenntnis der Sehnsucht und der wertvollen Rolle der Freundschaft des lyrischen Ichs. Seine Sprache und seine Form reflektieren deutlich die Einflüsse der Romantik als der literarischen Epoche, in der es entstand.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „An einen Freund“ ist Annette von Droste-Hülshoff. Die Autorin Annette von Droste-Hülshoff wurde 1797 geboren. In der Zeit von 1813 bis 1848 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Biedermeier kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Droste-Hülshoff ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 277 Worte. Die Gedichte „Kurt von Spiegel“, „Der Schloßelf“ und „Bajazet“ sind weitere Werke der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „An einen Freund“ weitere 123 Gedichte vor.

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