Dichters Naturgefühl von Annette von Droste-Hülshoff
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Es war an einem jener Tage, |
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Wo Lenz und Winter sind im Streit, |
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Wo naß das Veilchen klebt am Hage, |
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Kurz, um die erste Maienzeit; |
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Ich suchte keuchend mir den Weg |
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Durch sumpf'ge Wiesen, dürre Raine, |
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Wo matt die Kröte hockt' am Steine, |
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Die Eidechs schlüpfte übern Steg. |
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Durch hundert kleine Wassertruhen, |
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Die wie verkühlter Spülicht stehn, |
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Zu stelzen mit den Gummischuhen. |
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Bei Gott, heißt das Spazierengehn? |
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Natur, wer auf dem Haberrohr |
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In Jamben, Stanzen, süßen Phrasen |
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So manches Loblied dir geblasen, |
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Dem stell dich auch manierlich vor! |
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Da ließ zurück den Schleier wehen |
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Die eitle vielbesungne Frau, |
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Als fürchte sie des Dichters Schmähen; |
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Im Sonnenlichte stand die Au, |
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Und bei dem ersten linden Strahl |
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Stieg eine Lerche aus den Schollen, |
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Und ließ ihr Tirilirum rollen |
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Recht wacker durch den Äthersaal. |
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Die Quellchen, glitzernd wie Kristallen, |
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Die Zweige, glänzend emailliert |
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Das kann dem Kenner schon gefallen, |
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Ich nickte lächelnd: »Es passiert!« |
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Und stapfte fort in eine Schluft, |
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Es war ein still und sonnig Fleckchen, |
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Wo tausend Anemonenglöckchen |
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Umgaukelten des Veilchens Duft. |
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Das üpp'ge Moos - der Lerchen Lieder |
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Der Blumen Flor - des Krautes Keim |
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Auf meinen Mantel saß ich nieder |
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Und sann auf einen Frühlingsreim. |
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Da - alle Musen, welch ein Ton! |
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Da kam den Rain entlang gesungen |
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So eine Art von dummen Jungen, |
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Der Friedrich, meines Schreibers Sohn. |
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Den Efeukranz im flächsnen Haare, |
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In seiner Hand den Veilchenstrauß, |
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So trug er seine achtzehn Jahre |
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Romantisch in den Lenz hinaus. |
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Nun schlüpft' er durch des Hagens Loch, |
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Nun hing er an den Dornenzwecken |
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Wie Abrams Widder in den Hecken, |
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Und in den Dornen pfiff er noch. |
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Bald hatt' er beugend, gleitend, springend, |
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Den Blumenanger abgegrast, |
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Und rief nun, seine Mähnen schwingend: |
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»Viktoria, Trompeten blast!« |
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Dann flüstert' er mit süßem Hall: |
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»O, wären es die schwed'schen Hörner!« |
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Und dann begann ein Lied von Körner; |
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Fürwahr du bist 'ne Nachtigall! |
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Ich sah ihn, wie er an dem Walle |
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Im feuchten Moose niedersaß, |
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Und nun die Veilchen, Glöckchen alle |
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Mit sel'gem Blick zu Straußen las, |
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Auf seiner Stirn den Sonnenstrahl; |
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Mich faßt' ein heimlich Unbehagen, |
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Warum? ich weiß es nicht zu sagen, |
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Der fade Bursch war mir fatal. |
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Noch war ich von dem blinden Hessen |
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Auf meinem Mantel nicht gesehn, |
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Und so begann ich zu ermessen, |
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Wie übel ihm von Gott geschehn; |
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O Himmel, welch ein traurig Los, |
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Das Schicksal eines dummen Jungen, |
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Der zum Kopisten sich geschwungen |
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Und auf den Schreiber steuert los! |
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Der in den kargen Feierstunden |
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Romane von der Zofe borgt, |
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Beklagt des Löwenritters Wunden |
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Und seufzend um den Posa sorgt, |
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Der seine Zelle, kalt und klein, |
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Schmückt mit Aladdins Zaubergabe, |
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Und an dem Quell, wie Schillers Knabe, |
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Violen schlingt in Kränzelein! |
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In dessen wirbelndem Gehirne |
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Das Leben spukt gleich einer Fei, |
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Der - hastig fuhr ich an die Stirne: |
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»Wie, eine Mücke schon im Mai?« |
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Und trabte zu der Schlucht hinaus, |
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Hohl hustend, mit beklemmter Lunge, |
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Und drinnen blieb der dumme Junge, |
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Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß! |
Details zum Gedicht „Dichters Naturgefühl“
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1797 - 1848
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Dichters Naturgefühl“ wurde von Annette von Droste-Hülshoff verfasst, einer deutschen Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts und einer der bedeutendsten Dichterinnen des Biedermeier.
Auf den ersten Blick präsentiert sich das Gedicht als eine naturlyrische Darstellung, die voll von vielfältigen Farben und lebhaften Szenen ist. Es scheint eine Ode an die Schönheit der Natur und des Frühlings zu sein.
Die Erzählung im Gedicht beginnt mit der Schilderung eines Tages, an dem Winter und Frühling um die Herrschaft streiten. Das lyrische Ich durchquert sumpfige Wiesen und trockene Haine, bis es endlich an einem sonnigen Fleckchen einen Platz zum Ausruhen findet. Hier scheint die Natur ihre volle Pracht zu entfalten: Blumen blühen, Quellen glitzern, und eine Lerche singt.
Da tritt jedoch eine weitere Figur in das Gedicht ein: der so genannte „dumme Junge“, Friedrich, der Sohn des Schreibers des lyrischen Ichs. Er wird als fad und störend empfunden, da er die Stille des Ortes mit seinem Gesang und seinem ungeschickten Verhalten unterbricht. Diese Figur scheint auf den ersten Blick als komische Randfigur entworfen, aber ihre Bedeutung für das Gedicht ist tiefer: Sie symbolisiert das Land, seine Unschuld und seine rohe Vitalität, aber auch seine Naivität und mangelnde Sophistikation.
In Bezug auf die Formal- und Sprachebene ist das Gedicht in gereimte Verspaare unterteilt, was kontrastiert mit dem Inhalt, der eine melancholische Tonart hat. Diese Diskrepanz spiegelt den Kontrast zwischen der Schönheit der Natur und der Einsamkeit und dem Unglück des lyrischen Ichs wider.
Darüber hinaus verwendet Droste-Hülshoff eine lebendige und bildhafte Sprache, um ihren Lesern das Gefühl zu vermitteln, tatsächlich Teil der Szene zu sein. Ihre Beschreibungen der Natur sind so scharf und farbenreich, dass sie fast greifbar erscheinen.
Zusammengefasst ist das Gedicht „Dichters Naturgefühl“ eine komplexe und mehrschichtige Arbeit, die den Konflikt zwischen der Schönheit der Natur und der Einsamkeit und dem Unglück des lyrischen Ichs darstellt. Es enthält tiefe Reflexionen über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und die Natur und den Wert der unschuldigen, ungekünstelten Emotionen.
Weitere Informationen
Annette von Droste-Hülshoff ist die Autorin des Gedichtes „Dichters Naturgefühl“. Geboren wurde Droste-Hülshoff im Jahr 1797 . Zwischen den Jahren 1813 und 1848 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Biedermeier kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Droste-Hülshoff ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das 489 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Die Gedichte „Am Letzten Tag des Jahres - Silvester“, „Am Fronleichnamstage“ und „Kurt von Spiegel“ sind weitere Werke der Autorin Annette von Droste-Hülshoff. Zur Autorin des Gedichtes „Dichters Naturgefühl“ haben wir auf abi-pur.de weitere 123 Gedichte veröffentlicht.
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