Die Mittelmässigen von Heinrich Seidel
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Die Musik ist heutzutage |
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Wohl der Menschheit grösste Plage: |
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Schauervolles wird erreicht, |
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Wenn der Mensch die Geige streicht, |
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Oder um die Abendröthe |
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Zwecklos bläst auf einer Flöte. |
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Und ich hege die Vermutung, |
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Dass auch der Posaune Tutung |
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Manchem wohl bei Tag und Nacht |
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Keine grosse Freude macht. |
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Dieser schlägt mit viel Gebimbel |
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Grausamlich das Klavezimbel |
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Jener aber gnadenlos, |
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Kneift das Cello - Gott ist gross! |
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Seine Langmuth ist unendlich, |
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Treibt's der Mensch auch noch so schändlich. |
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Andre wieder, wie wir wissen, |
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Sind der Poesie beflissen, |
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Kochen zu der Menschheit Schauer |
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Tag für Tag ihr Herz in Sauer, |
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Wandeln auf geblümter Au. |
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Viele Trauer-, Lust- und Schau |
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Spiele fliessen zäh wie Leder |
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Aus der öden Dichterfeder, |
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Und es rinnt die trübe Fluth |
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Ohne Ende! - Gott ist gut, |
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Dass er solches lässt geschehn, |
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Ohne ins Gericht zu gehn! |
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Andre, zu der Menschheit Qualen, |
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Legen wieder sich aufs Malen |
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Und beschmieren ohne Ende |
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Viele schöne Leinewände |
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Und viel herrliches Papier, |
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Zum Erbarmen ist es schier! |
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Wär' mit Rosen und Kamillen |
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Ihre Schmierwuth nur zu stillen |
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Nein, sie wagen frech und wild |
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Sich an Gottes Ebenbild, |
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Und sie pinseln und sie kratzen |
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Süsslich, wabblich ihre Fratzen, |
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Dass die liebe Sonne weint, |
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Wenn sie solchen Schund bescheint. |
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Und so reiht sich Bild zu Bilde |
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Unermesslich! - Gott ist milde, |
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Denn er warf noch nie mit Feuer |
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Unter solche Ungeheuer! |
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Doch, wenn mal ein grosser Geist |
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Sich empor zum Himmel reisst |
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Und vom ew'gen Born der Klarheit |
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Nieder bringt das Licht der Wahrheit, |
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Muss man sehen diese Ekel, |
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Diese krummgebeinten Teckel |
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Wie sie ihn herunter reissen |
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Und ihn in die Waden beissen, |
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Denn sie schätzen jeder Frist |
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Nur, was ihres Gleichen ist! |
Details zum Gedicht „Die Mittelmässigen“
Heinrich Seidel
4
56
277
1842 - 1906
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorgelegte Gedicht „Die Mittelmässigen“ wurde von Heinrich Seidel verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller des späten 19. Jahrhunderts.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine Kritik an der scheinbar beliebigen und zwecklosen künstlerischen Praxis der Zeit zu sein. Seidel verwendet humorvolle und teils sarkastische Bemerkungen, um die unterdurchschnittlichen Leistungen in Musik, Poesie und Kunst zu verspotten. Das lyrische Ich prangert den Missbrauch verschiedener künstlerischer Werkzeuge und Techniken an und stellt ihn ironisch als „Gotteslästerung“ dar.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die eine lockere Gesprächsatmosphäre skizzieren und den Leser direkt ansprechen. Die erste Strophe richtet sich gegen die Musik, die zweite gegen die Poesie und die dritte gegen die Malerei. In der vierten und letzten Strophe hebt Seidel hervor, wie mittelmäßige Menschen große Geister herabsetzen und sich selbst bevorzugen, ein direkter Angriff auf ihre Selbstzufriedenheit und mangelnde Offenheit für Qualitätskunst.
In dem Gedicht wird die Argumentation hauptsächlich durch humorvolle und bissige Beschreibungen und Übertreibungen vorangetrieben. Die Schärfe der Aussagen wird durch die satirische Darstellung der künstlerischen Aktivitäten gesteigert. Das lyrische Ich stellt dabei die 'Mittelmäßigen', die einfachen, ungeübten Künstler, mit ihrer mangelnden Qualität und ihrem fehlenden Verständnis für wahre Kunst, als eine Plage für die Menschheit dar.
Die Sprache des Gedichts ist eher verständlich und alltagstauglich, was den sarkastischen und geselligen Charakter verstärkt. Einige der verwendeten Begriffe, wie „Posaunentutung“ oder „Klavezimbel“, dienen dazu, die absurden und übertriebenen Praktiken der Künstler zu karikieren. Die wiederholte Anrufung Gottes dient dabei als ironisches Stilmittel, das die scheinbar respektlose Verwendung der Künste betont.
Insgesamt ist das Gedicht „Die Mittelmässigen“ eine beißende Kritik an Personen, die denken, dass sie ohne entsprechende Ausbildung oder Talent künstlerisch tätig sein können. Es ist ein Appell für Qualität, Respekt und Ehrfurcht in den Künsten und ein Aufruf, die „Großen“ zu respektieren und von ihnen zu lernen, anstatt sie herabzusetzen, weil sie nicht dem eigenen beschränkten Verständnis entsprechen.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Die Mittelmässigen“ ist Heinrich Seidel. Im Jahr 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 277 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Seidel sind „Der Tod Moltkes“, „Wälder im Walde“ und „Die Schwalbe“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Mittelmässigen“ weitere 216 Gedichte vor.
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Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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