Die Träume von Heinrich Seidel

Als Karl der Fünfte auf der Jagd
Verloren die Genossen,
Da er zu weit sich vorgewagt,
Traf er von Wald umschlossen
Ein Wirthshaus an des Weges Rand,
Darinnen er drei Räuber fand.
 
Als nun den Fremden, stolz geschmückt,
Ersahn die Räubersleute,
Da waren sie gar hoch beglückt
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Ob dieser guten Beute.
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Es lachte Ihnen schier das Herz,
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Und "Träumen" spielten sie zum Scherz.
 
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"Mir träumt," so fing der erste an
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Und grinste vor Behagen,
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"Es kleidet übel diesen Mann,
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Den schönen Hut zu haben!
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Das ist kein Hut für solchen Tropf,
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Der passt auf einen bessren Kopf!"
 
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"Mir träumt," so sprach der zweite gleich
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Und liess ein Kichern spüren,
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"Wir ziehn ihm aus, so warm und weich,
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Das Wamms mit goldnen Schnüren!
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In dieser schönen Sommerszeit
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Geht's besser sich im Unterkleid."
 
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Der dritte nahm ihn nun auf's Korn
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Und rief: "Was gilt die Wette,
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Ihn drückt das schwere Silberhorn
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An seiner goldnen Kette!
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Mir träumt, dass es am besten passt,
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Wir nehmen ihm die schwere Last!"
 
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"Nie hört' ich," sprach der Kaiser dann,
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"Von so geschickten Träumen,
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Doch eh' ich sie erfüllen kann,
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Wollt nur ein wenig säumen,
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Bis ich die Kunde euch verschafft
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Von dieses Hornes Wunderkraft."
 
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Der Kaiser stiess das Fenster auf
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Und blies in's Horn so helle:
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Da kam alsbald in schnellen Lauf
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Sein Jagdgefolg' zur Stelle.
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Der Kaiser sprach: "Ihr seht es hier,
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Die Reih' zu träumen ist an mir!"
 
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"Auch ich hab' einen schönen Traum:
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Man soll in einer Reihe
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An jenen starken Eichenbaum
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Euch hängen alle dreie!"
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Und was der Kaiser sprach, geschah:
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Zu Ende war das Träumen da!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Die Träume“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
265
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht, welches analysiert werden soll, ist „Die Träume“ von Heinrich Seidel, einem deutschen Dichter und Ingenieur, der zwischen 1842 und 1906 lebte und demgemäß der Epoche des Realismus zugeordnet wird.

Erster Eindruck des Gedichts ist, dass es eine humorvolle und etwas gruselige Atmosphäre besitzt und eine Art Fabel oder Märchen zu sein vermag. Es nimmt von Beginn an eine relativ dunkle, aber spannende Tonart an und es gibt einen erkennbaren Erzählstrang.

Inhaltlich ist das lyrische Ich hier möglicherweise mit dem Autor selbst oder seinem Erzähler gleichzusetzen. Dieser beschreibt, dass der historische Kaiser Karl V., nachdem er von seiner Jagdgesellschaft abgekommen ist, auf drei Räuber in einer Waldschenke trifft. Die Räuber, hoch erfreut über ihre angeblich 'leichte Beute', beginnen ein Spiel, in welchem sie darstellen, was sie in ihren Träumen gerne mit dem Kaiser machen würden: sie wollen ihn ausrauben. Der Kaiser, geschickt wie er ist, spielt das Spiel mit und nutzt eine Gelegenheit, um sein Jagdhorn zu blasen, welches sein Gefolge herbeiruft. Er dreht den Spieß um und seine Träume werden Realität: er lässt die drei Räuber aufhängen.

Formell ist dieses Gedicht in acht Strophen unterteilt, die jeweils sechs Verse enthalten. Es gibt eine klare Struktur und eine konsequente Handlung, die in der letzten Strophe zu einem unverblümten Ende gebracht wird. Der Titel „Die Träume“ bezieht sich hierbei auf das wiederholte Motiv des Träumens innerhalb des Gedichts.

Sprachlich verwendet Seidel eine einfache und anschauliche Sprache mit erlebter Rede und indirekter Rede, welche sich nahtlos in die Erzählstruktur einfügt. Die Wortwahl ist passend für die historische Zeit, es werden z.B. veraltete Ausdrücke und Formulierungen wie „Wirthshaus“, „Wamms“ oder „das Horn so helle“ verwendet. Die Sprache beinhaltet außerdem eine gewisse drastische Direktheit und Humor, etwa wenn die Räuber über den Kaiser scherzen oder wenn der Kaiser seinen eigenen, letztlich tödlichen Traum für die Räuber äußert.

Insgesamt scheint das Gedicht also auf intelligente und humorvolle Weise die Themen Gerechtigkeit und Überlistung zu behandeln und zeigt, wie sich das 'Spiel' des Träumens ins Verderben der Räuber führt. Es trotzt dabei dem teils gruseligen Inhalt durch eine leichtfüßige Erzählweise und eine gewisse Selbstironie. Diese literarische Strategie lässt das Gedicht stilistisch in die Gattung der Schwankdichtung fallen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Träume“ ist Heinrich Seidel. Geboren wurde Seidel im Jahr 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin). Im Zeitraum zwischen 1858 und 1906 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 265 Worte. Der Dichter Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Arbeit ist das Zauberwort“, „Die schönen Bäume“ und „Meine Puppe kriegst du nicht!“. Zum Autor des Gedichtes „Die Träume“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.

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