Der Mönch von Heinrich Seidel

Wir stiegen auf aus dunklen Kellerräumen,
Wo Duft und Gluth entschwundner Sommertage
Im mächtgen Fässern von Erlösung träumen.
"Jetzt saht ihr Alles", sprach auf meine Frage
Der greise Mönch, "doch dürft ihr nicht versäumen
Den Blick in's Thal - hoch ist des Klosters Lage."
Er öffnet eine Thür - ein Strom von Helle
Bricht draus hervor - "Herr, dies ist meine Zelle."
 
Und durch das Fenster, rebenlaubumgeben,
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Da schweift der Blick in sonnenklare Weiten,
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Wo stolze Berge übergrünt mit Reben
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Den glänzend vielgewundnen Strom begleiten,
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Wo weisse Schiffe bunten Wimpels schweben,
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Bis blau und blauer sich die Berge breiten,
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Wo an den Buchten helle Städte glänzen,
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Die steilen Gipfel stolze Burgen kränzen.
 
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Wohin die Richtung meine Augen nahmen:
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Ein Garten Gottes, herrlich - reich an Schätzen.
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Lang' schaut' ich durch den Wein umrankten Rahmen
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Und ward nicht müd' den trunknen Blick zu letzen,
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Bis endlich mir entzückt die Worte kamen:
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"Welch Paradies! - Ich muss Euch glücklich schätzen!"
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Er seufzt und schauet trüb hinaus in's Klare
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"Ach Herr, es sind nun sechsunddreissig Jahre!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Der Mönch“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
173
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Mönch“ stammt von Heinrich Seidel, einem deutschen Ingenieur und Schriftsteller, der im späten 19. Jahrhundert (1842 - 1906) lebte.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt sofort die beeindruckende Bildhaftigkeit und Sprachkraft auf, die der Autor einsetzt, um eine beinahe greifbare Szene zu schaffen. Das Gedicht ist in drei Strophen aufgeteilt, die jeweils einen spezifischen Teil der Geschichte erzählen.

Im Inhalt des Gedichtes beschreibt das lyrische Ich, wie es aus einem Keller, gefüllt mit Wein und dem Duft vergangener Sommertage, einen Hügel hinaufsteigt. Begleitet wird es dabei von einem alten Mönch, der es zum Aussichtspunkt bringt und auf das Kloster hinweist, das auf einem Berg liegt. Der Mönch öffnet eine Tür und das lyrische Ich blickt auf eine atemberaubende Landschaft. Die Szene ist geprägt von Bildern harmonischer Natur und prunkender Architektur. Ergriffen von der Schönheit der Aussicht, äußert das lyrische Ich seine Bewunderung. Der Mönch, obwohl er inmitten dieses Paradieses lebt, zeigt eine melancholische Regung und offenbart, dass er seit sechsunddreißig Jahren dort lebt.

Die mehrdeutigen Aussagen des lyrischen Ichs und des Mönchs legen nahe, dass sie die Schönheit der Landschaft und den Preis, den der Mönch für diese Schönheit zahlt - Isolation und mögliche Einsamkeit - unterschiedlich wahrnehmen.

Das Gedicht weist ein regelmäßiges Metrum und Reimschema auf, das zur Einfachheit der Landschaft und der Klarheit der dargestellten Szene beiträgt. Die Sprache ist reich an Bildern und Metaphern, die eine starke Wirkung auf den Leser haben. Der Autor verwendet Bilder, die die atemberaubende Landschaft einfangen und gleichzeitig einen Kontrast zum dunklen und einsamen Leben des Mönchs bilden.

Insgesamt wirft „Der Mönch“ Fragen auf über den Preis von Schönheit und Isolation, die Wertigkeit von äußerer Pracht im Vergleich zu innerem Frieden, und die menschliche Fähigkeit, gewohnte Umgebungen als selbstverständlich zu betrachten.

Weitere Informationen

Heinrich Seidel ist der Autor des Gedichtes „Der Mönch“. 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Im Zeitraum zwischen 1858 und 1906 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 173 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Der Dichter Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die schönen Bäume“, „Meine Puppe kriegst du nicht!“ und „Hänschen auf der Jagd“. Zum Autor des Gedichtes „Der Mönch“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.

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