Die Heide von Heinrich Seidel
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Kennt ihr die Heide? Nun ihr kennt sie wohl. |
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Wenn euch die gliederreiche Eisenschlange |
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In wildem Sturme trug durch ihre Flur, |
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So schautet ihr gelangweilt wohl hinaus |
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Auf ihren röthlich hingestreckten Plan |
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Und schweiftet müden Blicks zum Horizont, |
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Wo Luft und Erde ineinander dämmern |
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Und lehntet euch verdrossen in das Polster |
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Und schlosst die Augen dann, euch zu versenken |
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In eine andere Oede, die euch besser schien, |
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In die des Schlafs. Gewiss ihr kennt sie wohl! |
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Ich aber habe sie geliebt von je. |
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Und also Liebliches ist mir geschehn: |
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Ich ging hinaus an heissem Sommertag, |
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Hinwandernd anfangs an des Waldes Rand, |
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Wo roth die schlanken Kiefernstämme ragten, |
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Des Harzes Sonnenduft in Lüften schwamm. |
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So stille war's, dass in den Ameishaufen |
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Das Kribbeln all der tausend fleiss'gen Füsse |
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Gleich wie ein feiner Regen hörbar war. |
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Dann von des Waldes Vorsprung an, wo trotzig, |
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Gleich einem Bollwerk vor des Windes Ansturm, |
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Einsam ein Eichbaum seine knorr'gen Aeste |
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Hin zu der Heide öder Fläche streckt, |
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Schritt ich hinaus. Nicht ferne lag mein Ziel: |
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Ein kleiner Hügel heidekrautbedeckt, |
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Ein Hünengrab, drum manche düstre Sage |
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Gleichwie die Brombeer' ihre Ranken spann. |
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Bald über Moorgrund wandelt' ich, wo dumpf |
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Der Boden wiedergab der Schritte Klang, |
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Bald wühlt' im weichen Sand der müde Tritt, |
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Wo hinter mir die Spur verlief und weiter |
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Durch blühend Heidekraut hinstrich mein Fuss |
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Aufjagend kleines schwirrendes Gethier, |
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Das allerseits vor meinem Schritt versprühte. |
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Wie einsam lag der Hügel in der Welt, |
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So still beschaulich in sich selbst versenkt. |
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Ich streckte rnüd' mich hin an seinem Fuss |
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In's weiche Kraut; hinschweifte bald mein Blick |
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Bis an des Horizontes Dämmerschein, |
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Bald senkt' ich ihn in's blühende Gewirr, |
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Bald zu den Fliegen hob ich ihn empor, |
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Die schwirrend standen in der stillen Luft, |
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Bald höher noch, wo in des Himmels Blau |
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Einsam die Weihe ihre Kreise zog. |
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Nur Bienensummen und der Hummel Ton, |
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Ein zirpend Wetzen im durchsonnten Kraut, |
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Ein Lullen nur von fernem Vogelsang |
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Das Ganze war ein hörbar Schweigen nur. |
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So lag ich stillen Sinns dahingestreckt, |
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Und fühlte mich der Allnatur ein Theil. |
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Doch welch ein Harfenton durchsummt die Luft, |
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Und dieses süss geheimnissvolle Wehn, |
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Welch seltsam Wunder will es mir verkünden?! |
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Und sieh, wie war der Zauber nur geschehn? |
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Wo eben noch zuvor mein Blick geweilt, |
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Und nur das sonngetränkte Nichts durchschweift, |
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Da stand, wie aus dem Boden aufgeblüht, |
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Wie aus der leeren Luft hervorgetaucht |
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Ein Wunder war's - ein holdes Mädchenbild |
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Das ärmlich braune fliessende Gewand |
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Verhüllte spälich nur die weissen Glieder |
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Von Sonnengold umschimmert floss ihr Haar, |
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Durchflochten mit dem Kranz von weisser Erika. |
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Die selten nur und einsam blüht; es flogen |
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Wie blaue Funken Falter um ihr Haupt, |
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Das liebliche. So schwebte sie vorüber. |
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Mit schimmernd weissen Füssen rührend kaum |
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Das Gras. - Und wandte mir die Augen zu. |
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Darinnen Wunder und Geheimniss schwamm |
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Und mit den dunklen Augen schaute sie |
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Mir in das tiefste Herz! - Die Arme streckt' ich |
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Und wollt entgegen ihr voll dunkler Sehnsucht. |
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Sie hob mir leicht die weisse Hand und bannte |
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Mich still zurück. Und wie ein Sonnenschein |
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Ging dann ein Lächeln über ihr Gesicht |
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Sie nickte hold mir zu. - Vorüber schwand sie |
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Und floss, wie aufgetrunken von der Luft |
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Hinweg! Die Welt war leer! |
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Wie oftmals noch |
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An schönen Sommertagen weilt' ich dort |
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Und wartete, das Herz von Sehnsucht voll. |
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Vergeblich war's - sie kehrte niemals wieder, |
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Denn alles Göttliche ist einmal nur! |
Details zum Gedicht „Die Heide“
Heinrich Seidel
4
84
562
1842 - 1906
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Heide“ stammt von Heinrich Seidel, der von 1842 bis 1906 lebte. Damit ist das Gedicht zeitlich in die Epoche des Realismus einzuordnen, in der häufig Alltags- und Naturszenen thematisiert wurden.
Bei der ersten Durchsicht des Gedichts ist auffällig, dass sich der Autor intensiv mit der Landschaft auseinandersetzt und sie sowohl objektiv als auch subjektiv beschreibt.
Das Gedicht beginnt damit, dass das lyrische Ich den Leser direkt anspricht und fragt, ob dieser die Heide kennt. Es unterstellt dem Leser zwar die Bekanntschaft mit der Heide, allerdings auf eine eher negative Art und Weise. Es folgt eine detaillierte Beschreibung einer Wanderung des lyrischen Ichs durch die Heide, die von einer intensiv wahrgenommenen und geschätzten Ruhe geprägt ist. Das Ich erreicht schließlich einen Hügel, auf dem es sich niederlässt und die umgebende Ruhe und Natur wie in Trance beobachtet. Danach erscheint eine weibliche Gestalt, die von einer fast göttlichen Anmut ist und nach einer kurzen Begegnung wieder verschwindet.
Die Sehnsucht nach ihr und ihr einmaliges Auftreten weisen auf romantische und idealisierened Elemente in dem Gedicht. Das lyrische Ich zeigt tiefgehendes Bewusstsein für die Natur und ihre Schönheit und erhält durch die Erscheinung der Frau eine Art spirituelle Bereicherung.
Die Form des Gedichts besteht aus vier Strophen, wobei die Anzahl der Verse pro Strophe variiert. Die Sprache des Gedichts ist eher einfach und auf natürliche Wörter fokussiert, und es werden zahlreiche naturbezogene Metaphern und Vergleiche verwendet. Dies unterstreicht das Themenfeld des Werks, nämlich die intensive Begegnung mit und Beobachtung der Natur. Die eingehende Beschreibung der Landschaft und der Natur sowie die mystische Begegnung mit der Frau zeigen, dass Heinrich Seidel eine romantische und transzendente Auffassung von Natur in das Gedicht einfließen lässt.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Die Heide“ ist Heinrich Seidel. Der Autor Heinrich Seidel wurde 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Zwischen den Jahren 1858 und 1906 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 562 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 84 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Der Dichter Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Arbeit ist das Zauberwort“, „Die schönen Bäume“ und „Meine Puppe kriegst du nicht!“. Zum Autor des Gedichtes „Die Heide“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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