Lollus von Heinrich Seidel
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War ein Gastwirth einst in Hessen |
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Von dem heissen Wunsch besessen, |
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Reich zu werden möglichst bald; |
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Und so trieb er's mit Gewalt: |
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Schänkte den getauften Wein |
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In Gemässen, winzig klein, |
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Und verfälschte alle Dinge; |
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Keines schien ihm zu geringe. |
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Knapp und theuer war das Essen! |
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Hafer, den er zugemessen, |
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Stahl er nächtlich wieder fort |
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Und betrog so hier als dort. |
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Aber sieh, ihn floh das Glück! |
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Immer mehr kam er zurück |
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Und gerieth in grosse Noth, |
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Hatte selber kaum das Brod. |
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Und da half kein Mühn und Placken, |
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Half kein Knausern und kein Zwacken; |
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Plagte er sich noch so sehr, |
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Blieb sein Beutel dennoch leer. |
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Eines Tages kam gefahren |
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Kecken Muths und jung an Jahren |
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Ein Student aus fremdem Land, |
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Der die schwarze Kunst verstand. |
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Diesem klagte lang und breit |
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Nun der Gastwirth all sein Leid, |
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Sprach: "Dass nichts mir will gelingen, |
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Geht nicht zu mit rechten Dingen. |
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Drum erweiset mir die Gunst, |
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Helft mir doch mit Eurer Kunst!" |
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Doch es lachte der Student: |
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"Ei, Herr Wirth, potz Element! |
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Wollt Ihr freie Zeche geben, |
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Will ich wohl den Zauber heben. |
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Ihr habt unten einen Gast, |
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Der das Eure Euch verprasst; |
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Habt Ihr Neigung, ihn zu sehn, |
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Lasst uns in den Keller gehn." |
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Beide stiegen dann hinab. |
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Der Student zog auf und ab |
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In dem Keller seine Kreise, |
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Murmelte sein Sprüchlein leise, |
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Bis er endlich laut beschwor: |
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"Lollus, Lollus, komm hervor!" |
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Aus des Kellers finstren Ecken |
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Kam mit Gähnen und mit Recken, |
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Als der Studio so gesprochen, |
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Nun ein Unthier angekrochen: |
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Dick und schwammig, riesengross, |
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Wie ein Hippopotamos, |
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Ganz entsetzlich anzusehn, |
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Konnte kaum vor Fett noch gehn. |
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Und es sprach der Studio |
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Zu dem Wirthe nun also: |
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"Seht Ihr wohl? Das kommt vom Panschen, |
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Kommt vom Mogeln und vom Manschen! |
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Alles, was Ihr falsch gemessen, |
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Das hat dieses Thier gefressen, |
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Alles hat es aufgesogen, |
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Was den Gästen Ihr entzogen, |
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Denn es nährt sich von Betrug! |
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Und es wurde fett genug, |
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Denn bei Euren bösen Sitten |
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Hat es niemals Noth gelitten. |
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Darum - jetzt noch ist es Zeit |
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Haltet's mit der Ehrlichkeit! |
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Dann wird dieser Fluch genommen, |
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Und das Thier herunterkommen. |
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Alles nämlich kann sein Magen, |
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Nur nichts Ehrliches vertragen!" |
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Sprach's, und liess den Wirth allein. |
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Diesem bebte das Gebein, |
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Und er schwur, erschreckt genung, |
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Reuevolle Besserung. |
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Abermals nach ein'gen Jahren |
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Kam desselben Wegs gefahren, |
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Als ein Doctor wohlbestallt, |
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Der Student, und alsobald |
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Kehrte dort er wieder ein. |
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Gleich den allerbesten Wein |
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Trug der Gastwirth aus dem Keller: |
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Malvasier und Muskateller, |
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Und gar bald aus seiner Küche |
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Drangen liebliche Gerüche. |
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Dann mit freudigem Gesichts |
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Trug die köstlichsten Gerichte |
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Er dem fremden Doctor auf, |
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Schmunzelte und sprach darauf: |
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"Ewig muss ich Dank Euch wissen! |
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Ihr habt mich herausgerissen! |
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Seht nur meine Wirthschaft an, |
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Heut bin ich ein andrer Mann! |
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Aber eines möcht' ich sehn, |
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Wie's dem Lollus mag ergehn? |
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Darum bitt' ich: Zeiget mir |
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Doch noch einmal dieses Thier!" |
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Beide stiegen dann hinab, |
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Und der Doctor auf und ab |
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Zog im Keller seine Kreise, |
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Murmelte sein Sprüchlein leise, |
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Bis er endlich laut beschwor: |
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"Lollus, Lollus, komm hervor!" |
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Aus des Kellers finstrem Grunde |
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Kam es nun zur selben Stunde, |
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Kroch es her mit leisem Greinen, |
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Jammervoll auf dünnen Beinen: |
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Miesepetrig, blass und krank, |
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Müd' und hinkend, todesbang. |
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Jeder Schritt schien's zu ermatten, |
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Kaum noch warf es einen Schatten, |
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Dass man klar und deutlich sah: |
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Seinem Ende war es nah. |
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Plötzlich aus des Kellers Thor |
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Kam ein Wirbelwind hervor, |
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Nahm das Thier und trug's hinaus |
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Durch das Fenster vor das Haus, |
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Wo's wie Rauch sich kräuselte |
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Und gemach versäuselte. |
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"Seht Ihr," sprach der Doctor nun, |
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"Lollus hat nichts mehr zu thun, |
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Als zu schnüffeln und zu lungern |
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Und allmälig zu verhungern. |
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Darum folgt er seinem Stern, |
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Sucht sich einen neuen Herrn. |
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Aber Ihr - zu Eurem Frommen |
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Lasst ihn niemals wiederkommen, |
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Denn das zweite Mal - fürwahr |
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Frisst er Euch mit Haut und Haar!" |
Details zum Gedicht „Lollus“
Heinrich Seidel
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639
1842 - 1906
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Lollus“ wurde von Heinrich Seidel verfasst, einem deutschen Ingenieur und Dichter, der von 1842 bis 1906 lebte. Sein Werk fügt sich in die literarische Epoche des Realismus ein, die von etwa 1840 bis 1890 andauerte und sich durch eine realistische Darstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen auszeichnete.
Auf den ersten Blick scheint es sich um eine lustige und unterhaltsame Geschichte zu handeln, die sich auf eine volkstümlichen Erzähltradition bezieht. Die Kombination aus Bürgerlichem und Realistischem mit einer Fabel-Ästhetik ergibt einen einzigartigen Stil.
Das Gedicht erzählt die Geschichte eines gierigen und unehrlichen Gastwirts aus Hessen. Er verkauft überteuerte Speisen und manipuliert den Wein. Es kommt ein Student dazu, welcher in der Lage ist, die 'schwarze Kunst' zu verwenden. Dieser entlockt dem Gastwirt sein ganzes Leid und zeigt ihm mittels Zauberei das Ungeheuer 'Lollus', welches von all seiner Betrügereien profitiert und dadurch groß und fett geworden ist. Der Student warnt den Gastwirt und erzählt ihm, dass, wenn er ehrlich handelt, das Monster verschwinden wird.
Die Form des Gedichts ist recht traditionell mit gereimten Vierzeilern, die eine einfache und klar verständliche Erzählung ermöglichen. Die Sprache ist einfach und direkter Natur, was die leicht moralisierende Message des Gedichts unterstreicht.
Die Moral der Geschichte könnte als eine Warnung vor der Gier und einem Mangel an Ehrlichkeit interpretiert werden. Der Gastwirt, der durch unehrliche Geschäftspraktiken reich zu werden versucht, endet in Armut, während er, nachdem er vom Studenten belehrt wurde und ehrliche Geschäftspraktiken angenommen hat, Wohlstand erlangt. Diese Geschichte könnte auch als Warnung vor übermäßigem Materialismus und Gier gesehen werden, da diese sich letztendlich gegen den Betrüger wenden.
Das Gedicht könnte auch als Kritik an der gesellschaftlichen Ordnung und der Korruption in der Wirtschaft gesehen werden, was der Realismus oft thematisiert. Der Student, möglicherweise ein Symbol für Bildung und Vernunft, hilft dem Gastwirt, seine Fehler zu erkennen und ihn auf den Weg der Ehrlichkeit zu führen.
Ein zentrales Element ist das absurde und groteske Ungeheuer 'Lollus', das als Manifestation der gierigen und betrügerischen Taten des Wirts dient. Durch diese Personifikation der Gier kann das Gedicht auch als Fabel interpretiert werden. Das Monster gibt der abstrakten Idee der Gier eine physische Form und macht sie dadurch greifbarer und verständlicher.
Der Text thematisiert letztendlich die Ambivalenz zwischen individuellem Gewinn und kollektiver Verantwortung, indem er zeigt, dass ehrliches Handeln nicht nur moralisch richtig, sondern auch lohnenswert ist.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Lollus“ ist Heinrich Seidel. 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1858 bis 1906 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 639 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 128 Versen. Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Musik der armen Leute“, „Der Zug des Todes“ und „Der Tod Moltkes“. Zum Autor des Gedichtes „Lollus“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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