Die Löwenmacher von Heinrich Seidel
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Drei Brahmanensöhne gingen, |
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Wohl geschickt in allen Dingen, |
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Wandernd in die weite Welt. |
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Sie gedachten vieles Geld |
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Dort vermöge ihrer Kunst, |
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Ehrenstellen, Fürstengunst, |
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Ruhm und Beifall zu erlangen |
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Und dereinst im Glück zu prangen. |
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Was im Kopf nur wollte haften |
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Von geheimen Wissenschaften |
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Hatten alles sie gelernt, |
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Jahre lang der Welt entfernt. |
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In der schwarzen Kunst Bereich |
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That es ihnen keiner gleich, |
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Und was ist, und was gewesen, |
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Alles hatten sie gelesen. |
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Eines Tags mit schnellen Tritten |
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Kam ein Wandersmann geschritten, |
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Schloss sich diesen dreien an. |
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"Sprich, wer bist du, fremder Mann?" |
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Dieser gab das Wort zurück: |
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""Fürstengunst und Ruhm und Glück |
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In der Welt mir zu gewinnen, |
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Zieh' ich aus mit leichten Sinnen!"" |
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"Sprich, was lerntest du, was weisst du? |
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Welcher Künste Meister heisst du?" |
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""Lernen that ich nichts, ihr Herrn! |
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Ich vertraue meinem Stern. |
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Ich bin pfiffig und gewandt |
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Und gesund ist mein Verstand. |
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Das genügt bei allen Sachen, |
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Um damit sein Glück zu machen!"" |
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"Ach, umsonst ist all dein Streben! |
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Dafür wird kein Mensch was geben! |
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Wandre nur in guter Ruh |
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Wieder deiner Heimath zu! |
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Aber wir - wir sind gelehrt! |
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Unsre Kunst ist Goldes werth! |
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Der Verstand ist das Gemeine, |
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Doch Gelehrsamkeit das Feine!" |
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Als sie eben so gesprochen, |
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Fanden eines Löwen Knochen |
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Sie am Wege rings verstreut, |
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Und der eine rief erfreut: |
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"Ha, nun zeiget diesem Mann, |
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Was ein Jeder von uns kann! |
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Ward uns doch die Kunst gegeben, |
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Diesen Löwen zu beleben!" |
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Und die Knochen nahm der eine, |
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Legte sorgsam Bein zu Beine, |
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Und der zweite fügte dann |
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Fleisch und Fell behutsam an. |
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Doch der dritte sprach: "Nun seht, |
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Was ein weiser Mann versteht! |
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Jetzt will ich in seine Nasen |
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Den lebend'gen Odem blasen!" |
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Doch der Fremde rief: ""Ihr wisst es! |
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Denkt daran, ein Löwe ist es! |
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Glaubet mir, er frisst euch auf!"" |
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Doch der dritte schrie darauf: |
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"Meinest du, der Weisheit Kraft |
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Und die Kunst der Wissenschaft |
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Soll in meinen Händen schlafen, |
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Da wir es so günstig trafen?!" |
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""Ach, entschuldigt,"" sprach der vierte, |
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""Wenn ich ungelehrsam irrte. |
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Gebet mir ein Weilchens Raum, |
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Bis ich stieg auf jenen Baum!"" |
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Als er sass auf sichrem Ast, |
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Rief der dritte: "Aufgepasst! |
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Jetzt wird meine Kunst das Leben |
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Diesem todten Löwen geben!" |
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Hei! wie sich das Unthier reckte |
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Und die mächt'gen Glieder streckte, |
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Mit dem Schweif die Flanken schlug, |
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Und so stolz die Mähne trug! |
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Brüllte darauf grauenhaft, |
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Schlug mit seiner Pranken Kraft |
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Alle drei zu Boden nieder |
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Und verzehrte ihre Glieder. |
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Als der Löwe fortgegangen, |
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Stieg der Fremde ohne Bangen |
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Von dem sichern Ast herab, |
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Griff zu seinem Wanderstab, |
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Sprach: "Zwar bin ich ungelehrt, |
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Doch Verstand ist auch was werth |
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Hätt' ich solche Kunst besessen, |
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Wär' auch ich mit aufgefressen!" |
Details zum Gedicht „Die Löwenmacher“
Heinrich Seidel
11
88
444
1842 - 1906
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Löwenmacher“ wurde von Heinrich Seidel verfasst und kann der Zeit des späten 19. bis frühen 20. Jahrhunderts zugeordnet werden, als Seidel aktiv schrieb.
Das Gedicht macht auf den ersten Eindruck einen leicht humoristischen Eindruck in Anbetracht der Tatsache, dass die Hauptfiguren, einige leicht arrogant erscheinende Gelehrte, durch ihren Misserfolg den Lacher auf ihrer Seite haben.
Der Inhalt des Gedichts ist schnell zusammengefasst: Drei Brahmanensöhne – Gelehrte – reisen um die Welt, um Ruhm und Glück zu finden. Sie begegnen einem vierten Reisenden, der nicht gebildet ist, aber klug genug, um seinen gesunden Menschenverstand zu nutzen. Als die Gelehrten die Knochen eines Löwen wieder zum Leben erwecken, warnt der vierte Mann sie vor den Gefahren, wird jedoch ignoriert. Die Gelehrten erwecken den Löwen zum Leben und werden prompt gefressen, während der vierte Mann, der sich in Sicherheit gebracht hat, überlebt und die Geschichte erzählt. Seidels lyrisches Ich scheint hier durch den vierten Mann repräsentiert zu sein, der die Vernunft und den gesunden Menschenverstand vertritt, im Gegensatz zu den überheblichen traditionellen Gelehrten, die sich auf ihre kunstvolle Weisheit verlassen, aber kein praktisches Wissen oder gesunden Menschenverstand haben und deswegen scheitern.
Formal besteht das Gedicht aus elf Strophen, die jeweils acht Verse enthalten. Die Sprache ist durch eine einfache, erzählende Diktion gekennzeichnet, wobei der Erzählfluss durch gelegentliche direkte Reden unterbrochen wird, die die lebendige Atmosphäre des Gedichts unterstreichen. Die Verse weisen ein durchgehendes Reimschema auf (ABAB-Format), wodurch das Gedicht einen leichten und melodiösen Ton erhält. Die Sprache des Gedichts reflektiert das Humoristische und Ironische der Geschichte und bildet einen wirkungsvollen Kontrast zur tragischen und törichten Handlung der Charaktere.
Die Botschaft des Gedichts könnte als Warnung vor der selbstsicheren Überheblichkeit und Engstirnigkeit von Gelehrten verstanden werden, die auf ihre Weisheit und Kenntnisse vertrauen, aber den gesunden Menschenverstand ignorieren. Dies wird besonders deutlich durch das ironische Ende, in dem die Gelehrten durch ihr eigenes Wissen und ihre Fähigkeiten zu Tode kommen, während der „unwissende“ vierte Mann überlebt.
Weitere Informationen
Heinrich Seidel ist der Autor des Gedichtes „Die Löwenmacher“. Seidel wurde im Jahr 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. In der Zeit von 1858 bis 1906 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 444 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 88 Versen. Die Gedichte „Der Tod Moltkes“, „Wälder im Walde“ und „Die Schwalbe“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Seidel. Zum Autor des Gedichtes „Die Löwenmacher“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 216 Gedichte vor.
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