Ach, armer Paul von Heinrich Seidel
1 |
Sass im Fegefeuer eine arme Seele, |
2 |
Die nicht klagte ob der eignen Schmerzen, |
3 |
Sondern unablässig seufzend rief sie |
4 |
Einzig immer: "Paul, ach, armer Paul!" |
5 |
Als vom Himmel nun ein lichter Engel |
6 |
Niederschwebte, mildiglich zu trösten |
7 |
Die so viel gequälten armen Seelen, |
8 |
Blieb doch diese eine stets untröstlich, |
9 |
Rief nur immer: "Paul ach, armer Paul!" |
10 |
Und es fragte sie der Engel, liebreich |
11 |
Kühlung hauchend in die Feuersflammen: |
12 |
"Sprich, was fehlt dir liebe, arme Seele?" |
13 |
Und sie sprach: "Ich liess zurück auf Erden |
14 |
Meinen theuren guten Mann untröstlich. |
15 |
Er verzehrt in Jammer sich und Klagen, |
16 |
Einmal nur, ach, nur noch einmal' möcht' ich |
17 |
Wiederkehren auf ein Viertelstündlein, |
18 |
Trost zu bringen seinen wilden Schmerzen." |
19 |
"Nun, wohlan, es sei!" so sprach der Engel, |
20 |
"Aber tausend Jahre länger musst du |
21 |
Dann in Fegefeuerflammen büssen." |
22 |
"Gern, und wären's hunderttausend Jahre" |
23 |
Und der Engel löste nun die Ketten, |
24 |
Nahm das Seelchen in die weissen Arme, |
25 |
Flog mit ihm zur alten Erdenheimath. |
26 |
Aber weh, du liebe arme Seele, |
27 |
Weh, im Kreise wüster Zechgenossen |
28 |
Und von einer Dirne Arm umschlungen |
29 |
Fand sie jenen, den ihr Herz begehrte. |
30 |
"Lieber guter Engel," sprach sie tonlos, |
31 |
"Führe mich zurück ins Fegefeuer!" |
32 |
Milde strahlte nun des Engels Antlitz: |
33 |
"Mehr als tausend Jahre Feuersqualen |
34 |
Hast du hier im Augenblick erduldet!" |
35 |
Sprach's und trug mit sanftem Arm sie aufwärts |
36 |
Zu des Himmelreiches goldnen Höhn! |
Details zum Gedicht „Ach, armer Paul“
Heinrich Seidel
1
36
219
1842 - 1906
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Ach, armer Paul“ stammt von Heinrich Seidel, einem deutschen Ingenieur und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Das Gedicht folgt dem Format einer Ballade und thematisiert die Schwierigkeiten und Enttäuschungen von Verlust und Trennung in einer Beziehung.
Das lyrische Ich ist eine weibliche Seele, die sich im Fegefeuer befindet. Sie leidet nicht wegen ihrer eigenen Qualen, sondern verkündet in stetigen Seufzern den Namen „Paul, ach, armer Paul!“. Ein Engel steigt herab, um die Seelen im Fegefeuer zu trösten, doch das lyrische Ich bleibt untröstlich, ruft weiterhin den Namen Pauls und teilt dem Engel mit, dass sie auf der Erde ihren Mann Paul zurückgelassen hat und wünscht, dass sie für eine kurze Zeit zurückkehren könnte, um ihn zu trösten.
Der Engel erfüllt ihren Wunsch, doch warnt er sie durch die Warnung, sie müsse für tausend Jahre länger im Fegefeuer bleiben. Doch als sie sich auf der Erde wiederfindet, findet sie Paul in den Armen einer anderen Frau. Schockiert und entsetzt wünscht sie sich zurück ins Fegefeuer und der Engel erkennt, dass sie bereits mehr als tausend Jahre Feuerqual in diesem Moment der Entdeckung erfahren hat.
In Bezug auf die Form folgt das Gedicht einer strengen Struktur, aufgebaut aus 36 Versen und gereimten Abfolgen. Die Sprache ist gleichzeitig einfach und bildhaft, was dazu beiträgt, die emotionalen Nuancen der Erzählung zu unterstreichen.
Das lyrische Ich möchte ausdrücken, dass das Leiden, das durch den Verrat eines geliebten Menschen verursacht wird, schmerzhafter sein kann als tausend Jahre im Fegefeuer. Seidel stellt eine moralische Frage über die Natur von Betrug, über die Beziehungen und die Reaktion auf ein gebrochenes Herz. Darüber hinaus zeigt es die Beständigkeit der Liebe, dass selbst im Fegefeuer die Sorge der Seele mehr auf die Leiden eines anderen gerichtet sind und nicht auf ihre eigenen.
Die Ballade, die ihre Wurzeln in populären narrativen Gedichtformen hat, ist gut geeignet, um eine Geschichte wie diese zu erzählen, die eine Moralgeschichte hat, aber auch eine tiefe emotionale Resonanz. Sie hat ein überraschendes und trauriges Ende, das dem Leser Unbehagen und Mitgefühl vermittelt. Die Ballade bietet eine Gesellschaftskritik, die zur moralischen Reflexion anregt.
Weitere Informationen
Heinrich Seidel ist der Autor des Gedichtes „Ach, armer Paul“. Im Jahr 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. In der Zeit von 1858 bis 1906 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 219 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 36 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Seidel sind „Die Musik der armen Leute“, „Der Zug des Todes“ und „Der Tod Moltkes“. Zum Autor des Gedichtes „Ach, armer Paul“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.
+ Mehr Informationen zum Autor / Gedicht einblenden.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Seidel (Infos zum Autor)
- Arbeit ist das Zauberwort
- Die schönen Bäume
- Meine Puppe kriegst du nicht!
- Hänschen auf der Jagd
- Die Gaben
- Der Luftballon
- April
- Die Musik der armen Leute
- Der Zug des Todes
- Der Tod Moltkes
Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
Freie Ausbildungsplätze in Deiner Region
besuche unsere Stellenbörse und finde mit uns Deinen Ausbildungsplatz
erfahre mehr und bewirb Dich direkt