Wolken von Georg Heym

Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse,
Zum überladnen Kahn der Wesenlosen
Der Bote führt. Euer Rufen hallt im Tosen
Des Sturms und in des Regens wildem Gusse.
 
Des Todes Banner wird im Zug getragen.
Des Heers carroccio führt die Wappentiere.
Und graunhaft weiß erglänzen die Paniere,
Die mit dem Saum die Horizonte schlagen.
 
Es nahen Mönche, die in Händen bergen
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Die Totenlichter in den Prozessionen.
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Auf Toter Schultern morsche Särge thronen.
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Und Tote sitzen aufrecht in den Särgen.
 
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Ertrunkene kommen. Ungeborner Leichen.
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Gehenkte blaugeschnürt. Die Hungers starben
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Auf Meeres fernen Inseln. Denen Narben
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Des schwarzen Todes umkränzen rings die Weichen.
 
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Es kommen Kinder in dem Zug der Toten,
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Die eilend fliehn. Gelähmte vorwärts hasten.
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Der Blinden Stäbe nach dem Pfade tasten.
20 
Die Schatten folgen schreiend dem stummen Boten.
 
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Wie sich in Windes Maul des Laubes Tanz
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Hindreht, wie Eulen auf dem schwarzen Flug,
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So wälzt sich schnell der ungeheure Zug,
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Rot überstrahlt von großer Fackeln Glanz.
 
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Auf Schädeln trommeln laut die Musikanten,
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Und wie die weißen Segeln blähn und knattern,
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So blähn der Spieler Hemden sich und flattern.
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Es fallen ein im Chore die Verbannten.
 
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Das Lied braust machtvoll hin in seiner Qual,
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Vor der die Herzen durch die Rippen glimmen.
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Da kommt ein Haufe mit verwesten Stimmen,
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Draus ragt ein hohes Kreuz zum Himmel fahl.
 
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Der Kruzifixus ward einhergetragen.
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Da hob der Sturm sich in der Toten Volke.
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Vom Meere scholl und aus dem Schoß der Wolke
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Ein nimmer endend grauenvolles Klagen.
 
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Es wurde dunkel in den grauen Lüften.
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Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen.
39 
Es wurde Nacht, da noch die Wolken gingen
40 
Dem Orkus zu, den ungeheuren Grüften.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Wolken“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
273
Entstehungsjahr
1911
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wolken“ wurde von Georg Heym geschrieben, einem deutschen Lyriker des frühen 20. Jahrhunderts. Heym war einer der bedeutendsten Vertreter des Expressionismus in der Literatur, einer Stilbewegung, die von etwa 1910 bis 1920 ihren Höhepunkt hatte.

Auf den ersten Blick mag das Gedicht düster und beeindruckend erscheinen. Es entführt uns in eine Welt voller Toten und Geistern, in der die Naturgewalten eine gewichtige Rolle spielen. Das lyrische Ich beschreibt diese Szenerie in lebhaften und oftmals beunruhigenden Bildern.

Im Grunde handelt das Gedicht vom Tod und dem Jenseits. Es beschreibt einen endlosen Zug von Geistern und Toten, die als Wolken dargestellt werden, die in einer großen, überwältigenden Prozession in Richtung Tod getrieben werden. Die Wolken werden personifiziert und zur Metapher für das Heer der Verstorbenen, die die Erde verlassen müssen. Die verschiedenen Strophen präsentieren dabei unterschiedliche Szenen, Bilder und Aspekte aus dieser Parade des Todes.

Formal besteht das Gedicht aus zehn Strophen, jede bestehend aus vier Versen. Es gibt keinen festen Reim oder ein festes Metrum, was typisch für die freie Form ist, die oft in der expressionistischen Poesie verwendet wird. Die Sprache ist intensiv und bildhaft, reich an Metaphern und starken visuellen Elementen. Die Wörter sind sorgfältig gewählt, um eine Atmosphäre von beeindruckender Kraft und Schrecken zu erzeugen.

Teilweise assoziiert die Stimmung des Gedichts auch mit der personalen Wahrnehmung des Autors, der oftmals mit Todesängsten zu kämpfen hatte und ein starkes Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit besaß. So kann der Text ebenso als Ausdruck einer persönlichen Todeserfahrung und der Angst vor dem Jenseits gelesen werden.

Schlussendlich präsentiert „Wolken“ den Tod als unausweichlichen Bestandteil des Lebens und der Existenz selbst. Es bildet die Idee ab, dass der Tod nicht nur das Ende, sondern auch ein integraler und notwendiger Teil des Lebens ist.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Wolken“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Georg Heym. Im Jahr 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1911 entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 273 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Georg Heym sind „Berlin II“, „Berlin III“ und „Bist Du nun tot?“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Wolken“ weitere 79 Gedichte vor.

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