Das Fieberspital von Georg Heym
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Die bleiche Leinwand in den vielen Betten |
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Verschwimmt in kahler Wand im Krankensaal. |
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Die Krankheiten alle, dünne Marionetten, |
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Spazieren in den Gängen. Eine Zahl |
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Hat jeder Kranke. Und mit weißer Kreide |
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Sind seine Qualen sauber aufnotiert. |
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Das Fieber donnert. Ihre Eingeweide |
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Brennen wie Berge. Und ihr Auge stiert |
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Zur Decke auf, wo ein paar große Spinnen |
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Aus ihrem Bauche lange Fäden ziehn. |
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Sie sitzen auf in ihrem kalten Linnen |
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Und ihrem Schweiß mit hochgezognen Knien. |
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Sie beißen auf die Nägel ihrer Hand. |
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Die Falten ihrer Stirn, die rötlich glüht, |
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Sind wie ein graugefurchtes Ackerland, |
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Auf dem des Todes großes Frührot blüht. |
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Sie strecken ihre weißen Arme vor, |
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Vor Kälte zitternd und vor Grauen stumm. |
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Schon wälzt ihr Hirn sich schwarz von Ohr zu Ohr |
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In ungeheurem Wirbel schnell herum. |
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Dann gähnt in ihrem Rücken schwarz ein Spalt, |
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Und aus der weißgetünchten Mauerwand |
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Streckt sich ein Arm. Um ihre Kehle ballt |
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Sich langsam eine harte Knochenhand. |
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II. |
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Des Abends Trauer sinkt. Sie hocken stumpf |
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In ihrer Kissen Schatten. Und herein |
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Kriecht Wassernebel kalt. Sie hören dumpf |
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Durch ihren Saal der Qualen Litanein. |
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Das Fieber kriecht in ihren Lagern um, |
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Langsam, ein großer, gelblicher Polyp. |
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Sie schaun ihm zu, von dem Entsetzen stumm. |
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Und ihre Augen werden weiß und trüb. |
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Die Sonne quält sich auf dem Rand der Nacht. |
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Sie blähn die Nasen. Es wird furchtbar heiß. |
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Ein großes Feuer hat sie angefacht, |
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Wie eine Blase schwankt ihr roter Kreis. |
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Auf ihrem Dache sitzt ein Mann im Stuhl |
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Und droht den Kranken mit dem Eisenstab. |
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Darunter schaufeln in dem heißen Pfuhl |
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Die Nigger schon ihr tiefes, weißes Grab. |
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Die Leichenträger gehen durch die Reihen |
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Und reißen schnell die Toten aus dem Bett. |
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Die andern drehn sich nach der Wand mit Schreien |
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Der Angst, der Toten gräßlichem Valet. |
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Moskitos summen. Und die Luft beginnt |
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Vor Glut zu schmelzen. Wie ein roter Kropf |
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Schwillt auf ihr Hals, darinnen Lava rinnt. |
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Und wie ein Ball von Feuer dröhnt ihr Kopf. |
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Sie machen sich von ihren Hemden los |
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Und ihren Decken, die sie naß umziehn. |
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Ihr magrer Leib, bis auf den Nabel bloß, |
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Wiegt hin und her im Takt der Phantasien. |
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Das Floß des Todes steuert durch die Nacht |
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Heran durch Meere Schlamms und dunkles Moor. |
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Sie hören bang, wie seine Stange kracht |
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Lauthallend unten am Barackentor. |
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Zu einem Bette kommt das Sakrament. |
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Der Priester salbt dem Kranken Stirn und Mund. |
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Der Gaumen, der wie rotes Feuer brennt, |
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Würgt mühsam die Oblate in den Schlund. |
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Die Kranken horchen auf der Lagerstatt |
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Wie Kröten, von dem Lichte rot gefleckt. |
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Die Betten sind wie eine große Stadt, |
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Die eines schwarzen Himmels Rätsel deckt. |
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Der Priester singt. In grauser Parodie |
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Krähn sie die Worte nach in dem Gebet. |
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Sie lachen laut, die Freude schüttelt sie. |
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Sie halten sich den Bauch, den Lachen bläht. |
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Der Priester kniet sich an der Bettstatt Rand. |
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In das Brevier taucht er die Schultern ein. |
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Der Kranke setzt sich auf. In seiner Hand |
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Dreht er im Kreise einen spitzen Stein. |
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Er schwingt ihn hoch, haut zu. Ein breiter Riß |
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Klafft auf des Priesters Kopf, der rückwärts fällt. |
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Und es erfriert sein Schrei auf dem Gebiß, |
77 |
Das er im Tode weit noch offen hält. |
Details zum Gedicht „Das Fieberspital“
Georg Heym
19
77
528
1911
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Der Autor des vorgestellten Gedichts ist Georg Heym, ein deutscher Schriftsteller und Lyriker der literarischen Epoche des Expressionismus, der zwischen 1887 und 1912 lebte. Das Gedicht „Das Fieberspital“ gehört zu seinen bekanntesten Werken und ist im Kontext seines kurzen Lebens und seines literarischen Schaffens zu sehen.
Bei einigen ersten Lesungen hinterlässt das Gedicht einen ziemlich erschreckenden und düsteren Eindruck. Es scheint das erbarmungslose Leiden von Menschen in einem Krankenhaus, genauer gesagt in einem Fieberspital, darzustellen. Die Leser werden mit der düsteren und brutale Realität konfrontiert, in der die Krankheiten als „dünne Marionetten“ und die Qualen sauber aufnotiert werden.
Inhaltlich thematisiert das Gedicht die beinahe unerträglichen Qualen der Kranken. Neben den physischen Schmerzen stellt das lyrische Ich auch die geistige Qual und das psychologische Leiden der Kranken dar. Die agressiven Metaphern und Übertreibungen sollen die Intensität des Leids betonen. Dabei zeichnet der Dichter ein sehr klares und eindringliches Bild von der schrecklichen Atmosphäre im Krankenhaus, perspektiviert durch das Leiden der Kranken.
Formal ist das Gedicht in freie Verse geschrieben. Die Strophenlänge variiert, was dem Gedicht einen unregelmäßigen, zum Thema passenden Rhythmus gibt. Die Worte sind überwiegend ungereimt, was die Unordnung und das Chaos nicht nur inhaltlich, sondern auch formal aufgreift und unterstreicht.
Die Sprache des Gedichts beinhaltet viele metaphorische und symbolhafte Elemente. Heym nutzt harte, aggressive Worte, um eine Düsternis und Trostlosigkeit zu schaffen, wie etwa „Qualen“, „Fieber“, „Schmerzen“, „Tod“. Diese und andere Ausdrücke verstärken das Gefühl der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, das das Gedicht zu vermitteln versucht. Es ist zudem geprägt von vielen anschaulichen und eindringlichen Metaphern und davon, wie mit der Form, den Worten und den Bildern Stimmungen und Assoziationen ausgelöst werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Das Fieberspital“ ein kraftvolles und dunkles Gedicht ist, das auf eine beängstigende und dennoch tiefgreifende Weise das Leid und die Angst der Kranken in einem Fieberspital darstellt. Es bietet einen eindringlichen Einblick in die Grausamkeit und Unbarmherzigkeit der Krankheit und hinterlässt einen bleibenden, nachdenklichen Eindruck.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Fieberspital“ des Autors Georg Heym. 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Im Jahr 1911 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 528 Wörter. Es baut sich aus 19 Strophen auf und besteht aus 77 Versen. Georg Heym ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Fliegende Holländer“, „Der Gott der Stadt“ und „Der Hunger“. Zum Autor des Gedichtes „Das Fieberspital“ haben wir auf abi-pur.de weitere 79 Gedichte veröffentlicht.
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