Weltgeheimnis von Hugo von Hofmannsthal
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Der tiefe Brunnen weiß es wohl, |
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Einst waren alle tief und stumm, |
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Und alle wußten drum. |
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Wie Zauberworte, nachgelallt |
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Und nicht begriffen in den Grund, |
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So geht es jetzt von Mund zu Mund. |
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Der tiefe Brunnen weiß es wohl; |
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In den gebückt, begriffs ein Mann, |
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Begriff es und verlor es dann. |
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Und redet' irr und sang ein Lied – |
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Auf dessen dunklen Spiegel bückt |
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Sich einst ein Kind und wird entrückt. |
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Und wächst und weiß nichts von sich selbst |
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Und wird ein Weib, das einer liebt |
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Und - wunderbar wie Liebe gibt! |
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Wie Liebe tiefe Kunde gibt! – |
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Da wird an Dinge, dumpf geahnt, |
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In ihren Küssen tief gemahnt... |
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In unsern Worten liegt es drin, |
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So tritt des Bettlers Fuß den Kies, |
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Der eines Edelsteins Verlies. |
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Der tiefe Brunnen weiß es wohl, |
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Einst aber wußten alle drum, |
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Nun zuckt im Kreis ein Traum herum. |
Details zum Gedicht „Weltgeheimnis“
Hugo von Hofmannsthal
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142
1896
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Weltgeheimnis“ stammt von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller, der von 1874 bis 1929 lebte. Die Themen in Hofmannsthals Werken sind häufig geprägt von der Jahrhundertwende und der Wiener Moderne, obwohl er auch mit klassizistischen Einflüssen arbeitete.
Auf den ersten Blick präsentiert sich „Weltgeheimnis“ als ein melancholisches und bildhaftes Gedicht, in dem das lyrische Ich von einem tiefen, mystischen Wissen zu berichten scheint, das in der Vergangenheit allen bekannt war, heute jedoch nur noch wenige erreicht.
Im inhaltlichen Zusammenhang des Gedichts spielt der „tiefe Brunnen“ eine wiederkehrende und zentrale Rolle. Er scheint das Symbol für ein altes, verlorenes Wissen zu sein, das einmal allgegenwärtig war, aber In der Gegenwart nur noch flüchtig wahrgenommen wird. Ein Mann, der dieses Wissen erkannte, hat es wieder verloren. Ein Kind, das in den Brunnen schaut, wird entrückt und wächst heran zu einer Frau, die von einem Mann geliebt wird. Die Liebe – verstanden als tiefe, intime Kenntnis und Verbindung zwischen zwei Menschen – wirkt hier als Erinnerer an das verlorene Wissen. Dieses Wissen wird als „Verlies“ eines Edelsteins und „Kreis eines Traumes“ bezeichnet und liegt in unseren eigenen Worten.
Formal besteht das Gedicht aus acht Strophen mit jeweils drei Versen, ein einfacher Aufbau, der den Inhalt jedoch nicht schmälert. Die Sprache des Gedichts ist bildreich, aber klar, was das Lesen erleichtert und interpretierenden Pfade öffnet. Worte wie „Zauberworte“, „dunklen Spiegel“, „wunderbar“ und „Traum“ tragen zur atmosphärischen Dichte bei und fördern ein Gefühl des Geheimnisvollen.
Insgesamt wirkt „Weltgeheimnis“ von Hugo von Hofmannsthal als tiefsinnige Reflexion über das Vergessen und Wiedererinnern von alter, tiefer Weisheit, verhüllt in einer Sprache voller Bilder und Symbole. Das Gedicht hinterlässt einen nachdenklichen, leicht melancholischen Eindruck, vielleicht eine Sehnsucht nach einer verlorenen Tiefe und eine Mahnung, das Wissen und die Weisheit, die wir in der Liebe und unseren eigenen Worten finden, nicht zu übersehen oder zu vergessen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Weltgeheimnis“ des Autors Hugo von Hofmannsthal. Der Autor Hugo von Hofmannsthal wurde 1874 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1896 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Hofmannsthal handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 142 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Die Gedichte „Ein Knabe“, „Ein Traum von großer Magie“ und „Erlebnis“ sind weitere Werke des Autors Hugo von Hofmannsthal. Zum Autor des Gedichtes „Weltgeheimnis“ haben wir auf abi-pur.de weitere 40 Gedichte veröffentlicht.
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