Hofmannsthal, Hugo von - Chandos-Brief

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Referat

Hugo von Hofmannsthal - Ein Brief

Ein Brief, auch Brief des Lord Chandos an Francis Bacon oder Chandos-Brief genannt, ist ein Prosawerk des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal. Zentrale Themen des fiktiven Briefs sind die Kritik der Sprache als Ausdrucksmittel und die Suche nach einer neuen Poetik. Der Chandos-Brief gilt darüber hinaus als eines der wichtigsten literarischen Dokumente der kulturellen Krise um die Jahrhundertwende. Er wurde zum Gegenstand zahlloser Interpretationen in der Literaturwissenschaft.

Hugo von Hofmannsthal thematisiert in seinem Prosastück „Ein Brief“, veröffentlicht in der Berliner Literaturzeitschrift „Der Tag“ im Jahre 1902, den Verlust der sicheren Verfügung über Sprache vor dem Hintergrund der Krisenerscheinungen in der Moderne. In einem Brief, verfasst aus der Sicht des fiktiven Lord Chandos an den realen, aber längst verstorbenen Sir Francis Bacon, äußert Lord Chandos seine Zweifel an der Sprache und seine Begriffsskepsis die ihn in eine tiefe Sprachkrise verfallen lassen.

Der Brief beginnt mit einer Zusammenfassung der großen literarischen Leistungen, die Chandos einst vollbracht hat. Dann schreibt Chandos über seinen aktuellen psychischen Zustand. Er hat einen kritischen Punkt in seiner Karriere erreicht, was die Sprache und ihre Fähigkeit betrifft, die menschliche Erfahrung angemessen auszudrücken. Chandos hat alle zukünftigen schriftlichen Projekte, die er einst mit Überfluss vorgeschlagen hat, aufgegeben, weil er nicht in der Lage war, sich sinnvoll auszudrücken. Chandos beschreibt die Entwicklung seiner Krise in Etappen. Zuerst kam der Verlust der Fähigkeit, akademischen Diskurs über Fragen der Moral oder Philosophie zu führen. Als nächstes verlor er die Funktion, alltägliche Gespräche über Meinungen oder Urteile zu führen. Schließlich wandte er sich den Klassikern zu, Werken von Cicero und Seneca, um seine literarische Krankheit zu heilen, konnte sie aber nicht verstehen, und sein Zustand verschlechterte sich weiter. Chandos beschreibt seinen gegenwärtigen Zustand als ".....[die Fähigkeit, kohärent zu denken oder zu sprechen]...". Chandos erlebt extreme Momente der Transzendenz, in denen ihn Epiphanien (Erscheinung einer Gottheit) über das Leben und den Geist überwältigen. Diese Momente sind jedoch von kurzer Dauer und sobald sie für Chandos vorbei sind, ist es nicht mehr möglich, diese Erkenntnisse auszudrücken, die er kurz zuvor entdeckt hat. Diese Offenbarungen sind der Höhepunkt der Existenz von Chandos, und außerhalb von ihnen ist sein Leben stagnierend und unfruchtbar. Chandos hat oft das Gefühl, dass er am Rande der Genesung steht, wenn sich in seinem Kopf Gedanken zu bilden beginnen. Aber wie die Offenbarungen sind sie bald in seiner Unfähigkeit zu schreiben verloren. Dieses Versagen der Sprache hat ihm Selbstvertrauen und Kreativität genommen. Das Endergebnis ist Chandos als gebrochener Mann, der um seine verlorenen Fähigkeiten trauert. Chandos sagt schließlich, dass er nicht mehr in einer bekannten Sprache schreiben wird.

Das Wichtigste in Stichpunkten

  • Allgemeine Infos:
    • Autor: Hugo von Hofmannsthal (28 Jahre zu dem Zeitpunkt)
    • im August 1902 geschrieben und am 18. & 19. Oktober 1902 in der unbekannten Berliner Zeitung "Der Tag" veröffentlicht
  • Hugo von Hofmansthal:
    • * 1. Februar 1874 in Wien und † 15. Juli 1929 in Rondaun bei Wien
    • Österreichischer Schriftsteller, Dramatiker & Lyriker &Repräsentant der Wiener Moderne
    • veröffentlichte bereits ab 16 Jahren Gedichte unter dem Pseudonym Loris Melikow
  • fiktiver Brief → spielt 1603
  • Philip Lord Chandos schreibt einen Brief als Antwort auf eine besorgte Anfrage Francis Bacons hinsichtlich des Fortkommens seiner Literatur
  • Eine literarische Brieferzählung:
    • Kompliziertes Erzählkonzept:
      Fiktiver Schreiber und historischer Adressat
  • Sprache wird infrage gestellt: ist sie noch fähig, die sich verändernde Welt adäquat zu erfassen?
  • Bewusstseinskrise manifestiert sich als Sprachkrise
  • Krise der ästhetizistischen Literatur = persönliche Krise Hofmannsthals = Brief als Aufkündigung der ästhetizistischen Literatur
  • Sprachkrise als Urkrise der Moderne
  • Chandosbrief als Zeugnis der Sprachskepsis der Jahrhundertwende
  • Hofmannsthal: Vereinsamungsfurcht, Gefühl der Andersartigkeit, Verbundenheit mit der Vergangenheit, aristokratisches Verhalten, Brief als sprachkritisches Traktat, beginnt später mit dem Theater; „Chandos“, um den faktischen Sachverhalt ins Anonyme zu rücken
  • Bacon = Empiriker = sucht unverstellten Blick auf naturwissenschaftliche Zusammenhänge; Begründer der modernen Wissenschaft durch Falsifikationsprinzip; er als Adressat wird Chandos verstehen; Ideen, die Menschen mit Wörtern verbinden, seien kein getreues Abbild der Wirklichkeit -> diese Sprache kann nicht als Sprache der Wissenschaft dienen -> es bedarf eines neuen Sprachsystems

Epochale Einordnung:

  • Jahrhundertwende 1900
  • Literarische Moderne war der Sturz der Dichter aus dem Haus der Sprache & der Versuch eine neue poetische Sprache aus der Kritik und Überwindung der alten zu gewinnen
  • Schlüsselbegriff Sprachskepsis und Sprachkrise
  • Lebenspathos: das Leben war Grundbegriff der Zeit

Francis Bacon:

  • reale Person (* 22.Janur 1561 in London)
  • Philosoph und Staatsmann
  • verfasste zahlreiche philosophische, literarische und juristische Schriften
  • Empfänger des Briefes
  • Übergang von Barock zur Aufklärung: vernunftbeherrschtes Denken, Kritik an alten Traditionen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse

Lord Chandos:

  • der Erzähler des Briefes ist der fiktive Philipp Lord Chandos ein 26- jähriges Dichtergenie
  • 2 jährige schreibpause → diese wird in dem Brief begründet

Das Spiel mit der Realität und Fiktionalität der Figuren

  • Hofmannsthal projiziert seinen eigenen realen Charakter auf den fiktiven Charakter „Lord Chandos“
  • Lord Chandos schreibt zwar an einen realen, aber längst verstorbenen Charakter (Sir Francis Bacon)
  • Hofmannsthal verfasst den Brief um 1902, Lord Chandos datiert seinen Brief mit dem Jahre 1603 und schreibt an Sir Francis Bacon (1561 – 1626), der im Elisabethanischen Zeitalter lebte (1558 – 1603)

Inhalt des Chandos-Briefes

Z. 1-5: Vorwort/ Einleitung:

  • Anlass des Briefes: Wunsch sich bei seinem Mentor dafür zu entschuldigen, dass er nicht mehr literarisch schreibend tätig sein kann.

Z. 6-35: Damaliger Zustand, wie er dem Schreiber des Briefes erschien:

  • das gesamte Dasein = eine große Einheit
    → empfunden wie: „andauernde Trunkenheit“
  • auch offenbar Gegensätzliches (z.B. Körper – Geist; Einsamkeit – Gesellschaft)
    = Einheit
  • „[…] in allem fühlte ich Natur […].“ (Z. 11-12)
    → Natur als alles und jeden verbindendes Prinzip
    → Einheit Welt - Natur
    → tiefe Verbundenheit des Schreibers mit der Natur und der Welt
    → jeder hat aufgrund der inneren Verbundenheit theoretisch Zugang zu allen anderen Wesen und Dingen („den Schlüssel“)

Z. 36-38: Kurze Diagnose des Ist-Standes (seines Problems):

  • Verlust der Fähigkeit, in (größeren) Zusammenhängen zu denken und zu sprechen

Z.39-54: Wie ist es dazu gekommen?

  • zunächst: empfundene Unmöglichkeit, über ein „höheres und allgemeineres Thema“ zu sprechen und zu urteilen, d.h. über abstraktere Themen, wie „Geist“, „Seele“, „Körper“

Z.55-77: „Allmählich…“

  • Übergreifen der empfundenen Unfähigkeit auch auf familiäre, private, alltägliche Gespräche und Themen
    → Meiden von Gesprächen, Rückzug aus der Gesellschaft, Isolation
  • Verlust der Fähigkeit, die Wirklichkeit als Einheit wahrzunehmen, d.h. Menschen, Handlungen, Dinge als zusammengehörig wahrzunehmen und zu beschreiben
  • „Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen.“ (Z. 69-71)
  • „Worte schwammen um mich“, werden zu „Wirbeln, in die hinab zu denken mich schwindelt“ (Z. 72-75)

Z.78-124: Ist-Stand und Konsequenzen

  • ein Dasein, welches „geistlos, ja gedankenlos“ dahinfließt
  • die wenigen schönen Augenblicke des Lebens können nicht in Worte gefasst werden
  • Sprache ist nicht in der Lage, das Empfundene auszudrücken („das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen“)
  • letzte, schmerzhafteste Konsequenz
    • gänzliche Unfähigkeit, jetzt oder in Zukunft literarisch tätig zu werden
    • Grund: Unzulänglichkeit aller vorhandenen Sprachen
      → Notwendigkeit einer ganz neuen Sprache

Z.125-131 (Ende): Schluss

  • Entschuldigung für die empfundene sprachliche Unzulänglichkeit auch dieses Briefes

Zentrale Gedanken des Chandos-Briefes

  • Grundsätzliche Zweifel an der Sprache als Medium der Erkenntnis und Verständigung
  • Abstraktheit des Begriffs verschließt den Zugang zu den Dingen
  • Vorgefertigte Worte entsprechen nicht der Wirklichkeit und führen nicht ins Innere der eigenen Person

Konsequenz:

  • Entwicklung einer anderen, „stummen“ Sprache
  • Sprachkrise

Weitere Themen des Briefes :

  • Sprachkritik
  • Auseinanderfallen von Ich und Sprache
  • Sprache vs. Leben
  • Unverständnis gegenüber der Sprache
  • Sprache als Mittler
  • Sprache der Dinge
  • Begriffsskepsis

Die Situation des Lord Chandos

  • Chandos‘ Sicht der Welt
    • damals: das ganze Dasein ist eine große Einheit
      es bestehen keine Gegensätze
      Chandos fühlt in allem Natur
    • heute: detaillierte / zergliederte Weltansicht
      das Detailreichtum von Gegenständen und Gefühlen kann nicht durch Worte erfasst werden
      Worte „zerfielen ihm im Mund wie modrige Pilze“ → Sprachnot
  • Persönliches Befinden
    • damals: Sicherheit in der Natur
      Grundsicherheit in der Welt
      Chandos kennt seinen Platz in der Welt
      nimmt am Leben teil
    • heute: Sprachohnmacht
      Sprachnot → Angst vor andauernder Blockade
      keine Ausdrucksmöglichkeit
      innere Leere
  • Chandos hält für wichtig im Leben
    • damals: zunächst prunkhafte Dichtung
      → Dann faktenorientierte Dichtung
    • heute: komplexe, philosophische Ausdrucksmöglichkeit
      gesellschaftliche Stellung
      Wahrnehmung der Fülle der Details
  • Chandos weist der Sprache folgende Aufgabe zu:
    • damals: Sprache ist die Nahrung des Geistes
      definiert die Welt
      soll das Wissen objektiv erfassen
    • heute: Kommunikationsmöglichkeit
      Einheit zwischen Subjekt und Sprache
      soll Bezauberung auslösen
  • Die existierende Sprache kann diese Aufgabe erfüllen / nicht erfüllen, weil..
    • damals: Die Sprache kann die zugewiesene Aufgabe erfüllen
    • heute: kann Aufgabe nicht erfüllen, da Gegenstände zu detailliert sind
      Sprache hat keinen Zugang zu der wahren Wirklichkeit der Dinge
      Sprache scheint als unbeweisbar, lügenhaft und löcherig

Vor der Krise:

  • Einheit von Geist & Körper, Tier & Mensch → alles war Natur
  • war überall mittendrin
  • Literatur kann die Welt erklären

In der Krise:

  • es gelingt ihm nicht mehr, sich zu einfachsten Gegenständen zu äußern
  • Poetik ist Vergangenheit → keine Einheit mehr zwischen Natur und Kunst, Körper und Seele oder Sprache und Empfindung
  • es gelingt Chandos nicht mehr, die Welt durch Sprache zu ordnen
  • Empfindungen werden immer größer

dargestellte Sprachproblematik des Chandos-Briefes

  • Schreibblockade, Unfähigkeit zusammenhängend zu denken und zu schreiben
  • Relation von Denken und Sprache: Denken ist sprachlich
  • Ausgangspunkt: unreflektiertes Einheitsgefühl, Keine Differenz zwischen Welt und Sprache, Natur und Geist (Schäumende laue Milch und Foliant als schäumende Nahrung des Geistes)
  • Sprache als Naturphänomen und Natur als sprachförmig (wurde nie ein Scheinhaftes gewahr/ alles wäre Gleichnis und jede Kreatur Schlüssel der anderen)
  • wird als Trunkenheit, d.h. als Täuschung empfunden
  • Sprachverlust als fortschreitende Entwicklung (um sich fressender Rost)
  • Anfangspunkt: abstrakte Worte zerfallen im Mund wie modrige Pilze d.h. sie werden schlecht, unbrauchbar, veralten etc.
  • Problem: Abstrakta haben keine Entsprechung in der außersprachlichen Wirklichkeit (Beispiel: Lüge der Tochter)
  • Begriffe verlieren Eindeutigkeit, werden mehrdeutig (schillernde Färbung)
  • Begriffe verlieren Genauigkeit , die scheinbar klare Abgrenzung zu anderen Begriffen verschwimmt (ineinander überflossen)
  • Verlust des vereinfachenden Blickes der Gewohnheit: die scheinbar selbstverständliche Subsummierung von Wahrnehmungen/Empfindungen unter einem Begriff wird unmöglich, da er nur auf Konventionen (Gewohnheit) beruht und da Begriffe und Dinge sich nicht entsprechen (Arbitrarität)
  • Zerfall in Teile und Teile von Teilen: Verlust der Verallgemeinerungsfunktion begrifflicher Kategorien, da jede Wahrnehmung/Empfindung einmalig ist
  • nichts lässt sich mehr mit einem Begriff umspannen: Die sprachinduzierte Einheit des Gegenstandes löst sich mit dem Glauben an die Sprache auf
  • Worte werden bedrohlich (starrende Augen, Wirbel)
  • Worte als Wirbel, durch die hindurch man ins Leere kommt: sie bezeichnen nichts
  • Aber: Verlust der Sprache führt auch zum Verlust der Distanz zu den Dingen (zunächst unheimliche Nähe → Beispiel mit dem Vergrößerungsglas, dann Gefäß der Offenbarung)
  • positive Seite der Entwicklung: die individuellen Dinge selbst werden wieder relevant (lassen sich nicht mehr durch die Zuordnung mit einem Begriff abhaken)
  • Unmittelbarkeit; die stummen Dinge sprechen in eigener Sprache zu ihm
  • Seliges Gefühl

Sprache, Form und Aufbau des Briefes

  • sehr strukturiert, chronologisch
    → Beschreibung ähnelt der Beschreibung eines Krankheitsverlaufs
    → Ausdruck der Dringlichkeit der empfundenen Sprachkrise
  • Auffallend viele Metaphern und Vergleiche
    (z.B. Worte „zerfielen mir im Mund wie modrige Pilze“, Z.52 ff.)
  • gut verständliche (aber gehobene) Sprache
    → gehobene, sehr durchdachte, bildhafte, d.h. sehr kunstvolle Sprache
    → eigentlich Widerspruch der Sprache des Briefes zu seinem Inhalt
    → keine wirkliche Sprachunfähigkeit des Schreibers
    → empfundene Unzulänglichkeit der Sprache als Mittel zur Wirklichkeitsdarstellung
    = Sprachskepsis / Sprachkrise (um die Jahrhundertwende)
    → Chandos-Brief = poetologische (=dichtungstheroretische) Schrift → dichterische Auseinandersetzung mit der Sprachkrise durch den Autor Hugo von Hofmannsthal
  • Erster Teil: zahlreiche Andeutungen, Anspielungen und Zitate der bis in die Neuzeit reichenden humanistischen Texttradition
  • weiter Teil: Metaphern, Vergleiche
  • keine Sprachkrise, sondern Krise der Begriffssprache

Sprachzerfall und virtuose Sprachgestaltung:

  • Sprachnot wird in eloquenter Weise beschrieben (Widerspruch)
  • der empirisch orientierter Intellektueller Bacon steht im Widerspruch zu Chandos, der die Fähigkeit des begrifflich rationalen Denkens verliert
    → Dichter steht mit seiner Sprache und Sprachauffassung konträr zum Wissenschaftler
  • Chandos beschreibt genau die Werke, die Bacon in der Realität noch schreiben wird als „aufgeschwollen Anmaßung“ → Ironie, Kritik an wissenschaftlicher Arbeit Bacons

Mystik & Epiphanie ohne Gott:

  • in Erlebnissen offenbaren sich ihm Dinge, sprechen zu ihm & veranschaulichen ihm das Wesen der Dinge
  • all diese Dinge beschwören die unio mystica, das mystische All-Eins-Erlebnis
  • die begriffliche Sprache kann diese Erlebnisse nicht erfassen, aber auch die bildliche kann sich nicht vollständig erfassen → er versucht sie durch Bilder des Hinübergleitens zu beschreiben
  • in kleinen Dingen erscheint für kurze Augenblicke die Fülle des Lebens
  • das sprachlich-begriffliche Unterscheiden der Dinge, welchen damit ihre Individualität genommen wird, steht im Gegensatz zu diesen mystischen Erlebnissen

Autobiographische Züge?

  • pro:
    • wie Chandos konnte Hofmannsthal auf ein hoch gelobtes Frühwerk zurückblicken
    • schrieb keine Lyrik mehr
  • contra:
    • schrieb noch Dramen
    • der Abfassung des Chandos-Briefes ging keine zweijährige Schreibpause voraus

Chandos Brief Zeugnis der Zeit um 1900?

  • Ja, denn Kritik an der Sprache als Ausdrucksmittel ist Thema des Briefes und auch zur Zeit der Entstehung des Briefes
  • Um 1600 wurden zwar neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften erworben & das Denken wurde durch die Vernunft bestimmt, jedoch gab es keine Sprachkrise

Kritische Analyse bzw. Ansätze für eine Analyse

Erwin Kobel ist ein Beispiel für einen Kritiker, der anhand biographischer Zeugnisse aus Hofmannsthals Leben die autobiographischen Verbindungen zwischen seinem Leben und dem Brief von Lord Chandos aufzeigt. Thomas Kovach argumentiert, dass so viele Kritiker den Lord Chandos Brief als autobiographisches Dokument betrachteten, weil Hofmannsthals persönliche literarische Krise aus seinem eigenen Selbstzweifel resultierte, er jedoch weiterhin argumentiert, dass es zwar scheinbare autobiographische Elemente des Werkes gibt, die meisten Kritiker aber zustimmen, dass der Lord Chandos Brief tatsächlich ein fiktionales Werk ist. Er stützt diese Behauptung, indem er die Anomalie aufdeckt, dass Hofmannsthal in der Lage ist, eloquent über eine Krise der Sprache zu schreiben. Dass es sich bei diesem Werk um eine Fiktion handelt, wird durch die Tatsache gestärkt, dass Hofmannsthal eine literarische Karriere nach der Veröffentlichung des Chandos Briefes hatte, während Lord Chandos verspricht, nie wieder zu schreiben.

Kovach stellt eine weitere mögliche Interpretation des Werkes vor. Er schreibt, dass die Krise der Sprache als tiefer angesehen werden sollte als nur ein Dilemma der Kommunikation und die Grenzen der Sprache. Da die Sprache verwendet wird, um Gedanken auszudrücken, kommt er zu dem Schluss, dass die von Hofmannsthal untersuchte Krise nicht nur als eine der Sprache, sondern auch als eine der Erkenntnis zu betrachten ist; er behauptet, dass Chandos nicht in der Lage ist, klar zu schreiben, weil er nicht in der Lage ist, klar zu denken.

Eine weitere Meinung zum Lord Chandos Brief ist, dass er ein Beweis für eine existenzielle Krise ist. Diese existenzielle Krise steht im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Wiener Fin-de-Siècle und der daraus resultierenden Krise der Gesellschaft. Mit dem Übergang zur Industriegesellschaft waren die bisher als effektiv geltenden Ausdrucksformen und -weisen nicht mehr in der Lage, die Gedanken und Ideen der Wiener Gesellschaft zu artikulieren.

Michael Morton, ein weiterer Kritiker, betrachtet die Krise, die sich in Chandos Brief widerspiegelt, als eine Reihe von Schwierigkeiten. Er glaubt, dass Hofmannsthal Probleme mit dem Selbst und der Sprache ausdrückt. Er argumentiert, dass Chandos Krise ein Konflikt zwischen der Betrachtung des Selbst als Subjekt oder als Objekt ist. Der zweite Konflikt, den er in der Arbeit sieht, ist ein Konflikt über die Funktionalität und Nützlichkeit von Sprache. In Bezug auf den Nutzen der Sprache stellt Morton die Spannung zwischen Ideen, die um die Sprache herum aufgebaut werden, und umgekehrt, Sprache, die versucht, mehr Macht zu haben, als sie haben soll, und Sprache, die versucht, Ideen und Wahrheiten über ihre Fähigkeiten hinaus zu erklären.

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