Testament von Erich Mühsam

Nein, ich will nicht eher zu Grabe,
eh ich nicht auch die letzten Sprossen
irdischen Glückes erstiegen habe,
eh ich das Leben nicht ganz genossen;
 
eh ich nicht alle Frauen umschlungen,
die mich durch meine Träume begleiten,
eh ich nicht alle Lieder gesungen,
die sich in meinem Herzen bereiten;
 
eh ich nicht alle Werke gestaltet,
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die sich dem schaffenden Geiste entbinden,
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eh ich der Führerpflicht nicht gewaltet,
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daß die Menschen ihr Wegziel finden;
 
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eh ich nicht fröhliche Augen sehe,
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die von Erhebung und Stolz verjüngt sind,
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eh ich nicht über Äcker gehe,
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die statt mit Tränen mit Freude gedüngt sind.
 
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Nimmt der Erlöser dann und Vernichter
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von meinen Tagen die lastenden Ketten,
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sollt ihr den seligsten Menschen und Dichter
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tief in befreites Erdreich betten.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Testament“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
124
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Testament“ wurde von Erich Mühsam verfasst, einem deutschen Dichter und Anarchisten. Er wurde am 6. April 1878 geboren und starb am 10. Juli 1934. Dieses Gedicht kann demnach dem späten 19. bis frühen 20. Jahrhundert zugeordnet werden, einer Zeit der industriellen und politischen Umbrüche.

Angesichts des Titels „Testament“ und des Inhalts des Gedichts könnte der erste Eindruck darauf hindeuten, dass der Autor seine letzten Wünsche, Hoffnungen und Ziele darstellt, bevor er stirbt.

In diesem Gedicht vermittelt das lyrische Ich seinen Wunsch, das Leben vollständig auszuschöpfen, bevor er stirbt. Er möchte Freude, Liebe und Kunst in vollem Umfang erleben, neben der Führung und Unterstützung anderer auf ihrem Lebensweg. Es klingt ein starker Wille zur Transformation und positiven Veränderung durch, sei es durch die Kultivierung fröhlicher Augen oder fruchtbarer Äcker. Ein bedeutender Aspekt scheint auch seine Bedeutung und Rolle in der Gesellschaft zu sein.

Formal zeichnet sich das Gedicht durch den konsequenten Vierzeiler in jeder Strophe aus, bei dem abwechselnd männliche und weibliche Kadenzen verwendet werden. Die Sprache des Gedichts ist einfach und verständlich, dennoch reich an Bildern und Metaphern. Es enthält eine Vielzahl von Verben, die Aktivität und Streben verdeutlichen, wie „genießen“, „umarmen“ und „singen“. Auch religiöse Anspielungen, wie die des „Erlösers“ und „Vernichters“ sind vorhanden, welche die Endlichkeit des Lebens thematisieren.

Zusammenfassend scheint Mühsam in dieses Lyrik die Leidenschaft für das Leben, das Streben nach Veränderung, die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung sowie die Sorge um die gesellschaftliche Verantwortung einzufangen. Diese Themen, in Verbindung mit der klaren und kraftvollen Sprache, verleihen dem Gedicht ein Gefühl von Entschlossenheit und Optimismus, gemischt mit einer Prise Melancholie hinsichtlich der unvermeidlichen Vergänglichkeit des Lebens.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Testament“ ist Erich Mühsam. Geboren wurde Mühsam im Jahr 1878 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1920 zurück. Der Erscheinungsort ist München. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Mühsam handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 124 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Weitere Werke des Dichters Erich Mühsam sind „... Der für die Menschheit starb“, „1919“ und „An die Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „Testament“ haben wir auf abi-pur.de weitere 57 Gedichte veröffentlicht.

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