Ich will die entschwundenen nackten Zeiten loben von Charles Baudelaire
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Ich will die entschwundenen nackten zeiten loben |
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Wo Phöbus die säulen mit goldenem schimmer umwoben · |
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Als mann und weib geniessend in leichtem zug |
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Noch lebten ohne bedrängnis und ohne betrug · |
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Als die von des liebreichen himmels kosen berührten |
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Die volle kraft ihrer edlen leiber verspürten. |
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Und Cybele · fruchtbar und freigebig ohne rast · |
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Empfand ihre söhne noch nicht als beschwerliche last |
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Und gab · eine wölfin schwellend mit zärtlichen lüsten · |
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Der ganzen erde den trank von den braunen brüsten. |
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Der mensch in schlanker und stolzer kraft war bestellt |
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Sich könig zu heissen über die schönheit der welt · |
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Die früchte rein von flecken und ohne risse |
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Mit glattem und festem fleische luden zum bisse. |
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Und ist in unseren tagen der dichter die pracht |
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Ursprünglicher grösse an orten zu finden bedacht |
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Wo mann und weib in ihrer nacktheit sich zeigen |
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So fühlt er finsteren frost in die seele steigen. |
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O düsteres bild das alle schrecknis vereint! |
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O formlosigkeit die nach ihren kleidern weint! |
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Gestalten würdig der masken · armselige stümpfe! |
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Verdrehte aufgeschwemmte und magere rümpfe! |
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Der Gott des nutzens in seinem grausamen scherz |
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Hat sie schon als kinder gewickelt in windeln aus erz. |
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Ihr frauen an zernagenden wollüsten reiche |
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Und ach! ihr jungfrauen wie die wachskerzen bleiche! |
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Ihr seid durch der eltern vererbte laster erschlafft |
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Und mahnt an die hässlichkeiten der mutterschaft. |
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Wol haben wir völker die in verfall gerieten |
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Den Alten verschlossene schönheiten auch zu bieten: |
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Gesichter zermartert durch innerer kämpfe schlag |
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Und die man als sieche schönheiten preisen mag. |
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Doch dies geschenk das die späten musen uns spenden |
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Wird niemals uns · die kränklichen rassen · verblenden. |
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Wir bringen der jugend die tiefste huldigung dar · |
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Der heiligen jugend · dem wesen einfach und klar · |
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Dem auge heiter und sanft gleich der fliessenden quelle |
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Die überall um sich verbreiten sorglos und helle |
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Wie vögel wie blumen wie azurne himmelsluft |
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Ihr lied ihre sanfte wärme und ihren duft. |
Details zum Gedicht „Ich will die entschwundenen nackten Zeiten loben“
Charles Baudelaire
3
40
310
nach 1837
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Ich will die entschwundenen nackten Zeiten loben“ wurde von Charles Baudelaire verfasst, einem der bedeutendsten französischen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Baudelaire lebte von 1821 bis 1867 und seine Werke stehen im Kontext der literarischen Strömung des Symbolismus.
Auf den ersten Blick fällt die klassische Struktur und der Klang der Worte auf. Aspekte der Natur und der Schönheit werden in einer Weise vermittelt, die in der Poesie des 19. Jahrhunderts üblich ist.
Der Inhalt des Gedichts teilt sich in drei Teile. Im ersten Teil feiert das lyrische Ich die angeblich idyllische Vergangenheit, in der die Menschen in Einklang mit der Natur und sich selbst lebten, ohne die Widerwärtigkeiten der modernen Zeiten. Das Bild, das geschaffen wird, ist eines der Harmonie, der Apollonische Ordnung und von Cybele, die symbolisch für die fruchtbare Erde steht.
Im zweiten Teil tritt der Kontrast auf: das lyrische Ich drückt seinen Verzweiflung und Ekel über die Gegenwart aus, in der die Menschen entstellt, deformiert und bedauernswert sind, ein Schatten ihrer selbst. Diese Menschen werden als Opfer der Industrialisierung und des Kapitalismus dargestellt, körperlich und geistig gequält durch die Anforderungen der modernen Gesellschaft.
Im dritten und letzten Teil des Gedichts, nachdem das lyrische Ich das Elend der Gegenwart dargestellt hat, kehrt es zu einer Art nostalgischer Ahnung und Verehrung der Jugend zurück. Die Jugend wird als relikt der verlorenen Schönheit und Harmonie der Vergangenheit betrachtet, symbolisiert durch die Bilder der Natur und des Flusses.
Betrachtet man die Struktur und Sprache des Gedichts, bemerkt man den Wechsel zwischen langen und kurzen Versen, die einen Rhythmus und eine Melodie erzeugen. Die Wortwahl und Ausdrucksweise sind elegant, mit einer schweren Dosis von Pathos und Dramatik. Die Sprache ist reich an Metaphern und allgemein reich an Bildern, die den Kontrast zwischen der idealisierten Vergangenheit und der abstoßenden Gegenwart hervorheben. Insgesamt ist das Gedicht von Baudelaire ein starkes Beispiel für Poesie, die gesellschaftliche Zustände bekrittelt, und bietet tiefe Einblicke in die subjektive Erfahrung des lyrischen Ichs.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Ich will die entschwundenen nackten Zeiten loben“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Charles Baudelaire. Baudelaire wurde im Jahr 1821 in Paris geboren. Zwischen den Jahren 1837 und 1867 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 310 Worte. Die Gedichte „Darstellung“, „Das Faß des Hasses“ und „Das Gebet eines Heiden“ sind weitere Werke des Autors Charles Baudelaire. Zum Autor des Gedichtes „Ich will die entschwundenen nackten Zeiten loben“ haben wir auf abi-pur.de weitere 101 Gedichte veröffentlicht.
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