Über die Bezeichnung Emigranten von Bertolt Brecht

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab:
Emigranten.
Das heißt doch Auswandrer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluß
Wählend ein andres Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da aufnahm.
 
Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe den Grenzen
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Wartend des Tags der Rückkehr, jede kleinste Veränderung
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Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankömmling
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Eifrig befragend, nichts vergessend und nichts aufgebend
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Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend.
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Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie
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Aus ihren Lagern bis hierher. Sind wir doch selber
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Fast wie Gerüchte von Untaten, die da entkamen
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Über die Grenzen. Jeder von uns
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Der mit zerrissenen Schuhn durch die Menge geht
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Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt.
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Aber keiner von uns
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Wird hier bleiben. Das letzte Wort
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Ist noch nicht gesprochen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
22
Anzahl Wörter
166
Entstehungsjahr
1898 - 1956
Epoche
Exilliteratur,
Nachkriegsliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ stammt von Bertolt Brecht, einem der bedeutendsten deutschen Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Er wurde 1898 geboren und starb 1956. Brecht war selbst Emigrant, er floh vor dem NS-Regime und lebte unter anderem in den USA. Er kehrte erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland zurück. Daher lässt sich das Gedicht zeitlich in die Mitte des 20. Jahrhunderts einordnen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht melancholisch und nachdenklich. Das lyrische Ich reflektiert die Bezeichnung und Situation der Emigranten, ihre Gefühle und Erlebnisse.

Inhaltlich beschäftigt sich das Gedicht mit der Situation der Emigranten, genauer gesagt mit ihrer Selbstwahrnehmung und ihrer Einstellung zu ihrer Situation. Der Begriff „Emigranten“ wird zunächst als falsch bezeichnet, da diese Menschen nicht freiwillig auswanderten, sondern flüchteten – „Vertriebene“, „Verbannte“. Sie leben in einem Exil, das zu keinem Heim wird. Sie sitzen unruhig nahe der Grenzen und warten auf die Rückkehr, beobachten jede Veränderung im Heimatland und verzeihen nichts. Trotz der Scham über das, was in ihrem Land geschieht, hält die Hoffnung auf Rückkehr an.

Hinsichtlich Form und Sprache ist das Gedicht schlicht und verzichtet auf Reim oder festes Metrum, was es zu einem freien Vers macht. Der Ton ist ernst und direkt, was das schwerwiegende Thema des Gedichts unterstreicht. Die klare, direkte Sprache unterstreicht die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit der Situation, in der sich die Emigranten befinden.

Insgesamt ist Brechts Gedicht eine starke Reflexion über das Leben im Exil und die Identität von Emigranten. Es bietet einen intensiven Einblick in die Gedanken und Gefühle derjenigen, die ihr Heimatland verlassen mussten, und zeigt, wie tief die Erinnerung an das Heimatland und der Wunsch, zurückzukehren, in ihnen verwurzelt sind.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Bertolt Brecht. Geboren wurde Brecht im Jahr 1898 in Augsburg. Das Gedicht ist in der Zeit von 1914 bis 1956 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Exilliteratur oder Nachkriegsliteratur zu. Bei dem Schriftsteller Brecht handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 166 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 22 Versen mit insgesamt 2 Strophen. Bertolt Brecht ist auch der Autor für Gedichte wie „Von der Freundlichkeit der Welt“, „Die Lösung“ und „Auf einen chinesischen Theewurzellöwen“. Zum Autor des Gedichtes „Über die Bezeichnung Emigranten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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