Die Mörder sitzen in der Oper von Walter Hasenclever

Der Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren.
Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.
Darüber ist kein Wort zu verlieren.
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
 
Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen.
Generäle prangen im Ordensstern.
Deserteure, die vor dem Angriff fliehen,
Erschießt man im Namen des obersten Herrn.
 
Auf, Dirigent, von deinem Orchesterstuhle!
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Du hast Menschen getötet. Wie war dir zu Mut?
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Waren es viel? Die Mörder machen Schule.
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Was dachtest du beim ersten spritzenden Blut?
 
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Der Mensch ist billig, und das Brot wird teuer.
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Die Offiziere schreiten auf und ab.
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Zwei große Städte sind verkohlt im Feuer.
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Ich werde langsam wach im Massengrab.
 
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Ein gelber Leutnant brüllt an meiner Seite:
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"Sei still, du Schwein!" Ich gehe stramm vorbei:
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Im Schein der ungeheuren Todesweite
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Vor Kälte grau in alter Leichen Brei.
 
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Das Feld der Ehre hat mich ausgespieen;
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Ich trete in die Königsloge ein.
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Schreiende Schwärme schwarzer Vögel ziehen
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Durch goldene Tore ins Foyer hinein.
 
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Sie halten blutige Därme in den Krallen,
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Entrissen einem armen Grenadier.
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Zweitausend sind in dieser Nacht gefallen!
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Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
 
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Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern.
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Der Mob schreit: "Sieg!" Die Betten sind verwaist.
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Stabsärzte halten Musterung bei Gespenstern;
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Der dicke König ist zur Front gereist.
 
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"Hier, Majestät, fand statt das große Ringen!"
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Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.
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Die Tafel klirrt. Champagnergläser klingen.
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Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub.
 
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Noch strafen Kriegsgerichte das Verbrechen
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Und hängen den Gerechten in der Welt.
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Geh hin, mein Freund, du kannst dich an mir rächen!
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Ich bin der Feind. Wer mich verrät, kriegt Geld.
 
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Der Unteroffizier mir Herrscherfratze
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Steigt aus geschundenem Fleisch ins Morgenrot.
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Noch immer ruft Karl Liebknecht auf dem Platze:
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"Nieder der Krieg!" Sie hungern ihn zu Tod.
 
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Wir alle hungern hinter Zuchthaussteinen,
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Indes die Opfer tönt im Kriegsgewinn.
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Misshandelte Gefangene stehn und weinen
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Am Gittertor der ewigen Knechtschaft hin.
 
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Die Länder sind verteilt. Die Knochen bleichen.
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Der Geist spinnt Hanf und leistet Zwangsarbeit.
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Ein Denkmal steht im Meilenfeld der Leichen
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Und macht Reklame für die Ewigkeit.
 
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Man rührt die Trommel. Sie zerspringt im Klange.
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Brot wird Ersatz und Blut wird Bier.
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Mein Vaterland, mir ist nicht bange!
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Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Zum Andenken an Karl Liebknecht

Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.4 KB)

Details zum Gedicht „Die Mörder sitzen in der Oper“

Anzahl Strophen
14
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
356
Entstehungsjahr
1890 - 1940
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Die Mörder sitzen in der Oper“ ist Walter Hasenclever. 1890 wurde Hasenclever in Aachen geboren. In der Zeit von 1906 bis 1940 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Bei Hasenclever handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 356 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 14 Strophen. Walter Hasenclever ist auch der Autor für Gedichte wie „Der politische Dichter“, „Christus“ und „1917“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Mörder sitzen in der Oper“ weitere 10 Gedichte vor.

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