Gespräch von Hugo von Hofmannsthal

Ihr gleicht nun völlig dem vertriebnen Herzog,
Der zaubern kann und eine Tochter hat:
Dem im Theaterstück, dem Prospero.
Denn ihr seid stark genug, in dieser Stadt
Mit eurem Kind so frei dahinzuleben,
Als wäret ihr auf einer wüsten Insel.
Ihr habt den Zaubermantel und die Bücher,
Mit Geistern zur Bedienung und zur Lust
Euch und die Tochter zu umgeben, nicht?
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Sie kommen, wenn Ihr winkt, und sie verblassen,
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Wenn Ihr die Stirne runzelt. Dieses Kind
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Lernt früh, was wir erst spät begreifen lernten:
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Daß alles Lebende aus solchem Stoff
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Wie Träume und ganz ähnlich auch zergeht.
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Sie wächst so auf und fürchtet sich vor nichts:
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Mit Tieren und mit Toten redet sie
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Zutraulich wie mit ihresgleichen, blüht
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Schamhafter als die festverschloßne Knospe,
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Weil sie auch aus der leeren Luft so etwas
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Wie Augen stets auf sich gerichtet fühlt.
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Allmählich wird sie größer, und ihr lehrt sie:
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»Hab du das Leben lieb, dich nicht zu lieb,
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Und nur um seiner selbst, doch immerfort
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Nur um des Guten willen, das darin ist.«
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In all dem ist für sie kein Widerspruch,
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Denn so wie bunte Muscheln oder Vögel
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Hat sie die Tugend lieb. Bis eines Tages
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Ihr sie vermählt mit Einem, den Ihr völlig
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Durchschaut, den ihr geprüft auf solche Art,
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Die kein unedler Mensch erträgt, als wäre er
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Schiffbrüchig ausgeworfen auf der Insel,
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Die ihr beherrscht, und ganz euch zugefallen
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Wie Strandgut.
 
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DER ÄLTERE:
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Nun meine ich, ist mir ein Maß geschenkt,
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Ein unveränderlich und sichres Maß,
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Das mich für immer und untrüglich abhält,
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Ein leeres Ding für voll zu nehmen, mich
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Für Schales zu vergeuden, fremdem Fühlen
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Und angelerntem Denken irgend Platz
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In einer meiner Adern zu gestatten.
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Nun kann zwar Krankheit, Elend oder Tod
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Mich noch bedrohen, aber Lüge kaum.
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Dazu ist dies mein neues Amt zu voll
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Einfacher Hoheit. Und daran gemessen
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Vergeht erlogne Wichtigkeit zu Nichts.
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Ins Schloß gefallen sind die letzten Türen,
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Durch die ich hatte einen schlimmen Weg
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Antreten können. Durch und durch verstört,
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Im Kern beschmutzt und völlig irr an Güte
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Werd ich nun nicht mehr. Denn mich hat ein Glanz
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Vom wahren Sinn des Lebens angeglüht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.7 KB)

Details zum Gedicht „Gespräch“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
353
Entstehungsjahr
1897
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gespräch“ stammt von Hugo von Hofmannsthal, einem österreichischen Schriftsteller, der von 1874 bis 1929 lebte. Er gehört damit der Epoche des Symbolismus und der Wiener Moderne an.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht reich an Metaphern und Vergleichen ist und wie ein Dialog geführt ist. Es erzählt die Geschichte über eine Elternschaft und das Zusammenleben in einer Stadt, verglichen mit dem Leben auf einer einsamen Insel und der Figur des Prospero, einer Figur aus Shakespeares „Der Sturm“. Hauptthemen sind das Erwachsenwerden und die Wahrnehmung von Wirklichkeit.

In einfachen Worten lässt sich das Gedicht so zusammenfassen: Das lyrische Ich spricht zu einer Person, die ihm nahe steht und beschreibt deren Leben mit einem Kind in der Stadt. Es lobt die Fähigkeit dieser Person, frei und unabhängig zu leben, als sei sie auf einer einsamen Insel. Die Tochter wird früh dafür sensibilisiert, dass alles Lebendige vergänglich ist, ein Thema, mit dem wir uns oftmals erst im späteren Leben auseinandersetzen. Darüber hinaus betrachtet sie Tiere, Tote und Geister als ihre Gleichen und wird behutsam darauf vorbereitet, das Leben mehr zu schätzen als sich selbst.

In der zweiten Strophe geht das lyrische Ich dann auf sich selbst ein. Es beschreibt, wie es durch diese Beobachtungen zu einem tieferen Verständnis des Lebens gelangt ist. Gefühle von Krankheit, Elend oder Tod bedrohen es zwar noch, aber eine Lüge kann es kaum noch erschüttern. Es hat seinen „wahren Sinn des Lebens“ gefunden.

Das Gedicht ist reich an literarischen Elementen. Es besteht aus zwei Strophen mit insgesamt 52 Versen. Die Sprache ist poetisch und metaphorisch reich, wie zum Beispiel „Zaubermantel“, „wüste Insel oder „Schiffbrüchig ausgeworfen auf der Insel“. Das lyrische Ich spricht direkt zu der anderen Person, es herrscht eine unmittelbare, private Atmosphäre. Die Sprache illustriert das Innenleben der Charaktere, ermöglicht einen tieferen Einblick in ihre Gefühle und Gedanken und kann als Symbol für den Zugang zu tiefer innerer Wahrheit gesehen werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Gespräch“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Hugo von Hofmannsthal. Hofmannsthal wurde im Jahr 1874 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1897 zurück. Erschienen ist der Text in Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Hofmannsthal ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 353 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 52 Versen. Die Gedichte „Der Kaiser von China spricht“, „Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt“ und „Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer“ sind weitere Werke des Autors Hugo von Hofmannsthal. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Gespräch“ weitere 40 Gedichte vor.

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