Jugendgedenken von Gottfried Keller

Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen,
Klar, doch bebend, gab den ersten Ton,
Der mein Leben lang,
Erst heut noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon;
 
Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde,
Blank wie Schnee vor dieser Sonne lag,
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Wo dem Kindesauge noch die Blinde
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Lind verbarg den blendend hellen Tag:
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Du entschwundne Welt,
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Klingst über Wald und Feld
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Hinter mir wie ferner Wachtelschlag.
 
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Wie so fabelhaft ist hingegangen
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Jener Zeit bescheidne Frühlingspracht,
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Wo, von Mutterliebe noch umfangen,
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Schon die Jugendliebe leis erwacht
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Wie, vom Sonnenschein
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Durchspielt, ein Edelstein,
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Den ein Glücklicher ans Licht gebracht.
 
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Wenn ich scheidend einst muß überspringen
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Jene Kluft, die keine Brücke trägt,
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Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen,
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Das bekannt und ahnend mich erregt?
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O die Welt ist weit!
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Ob nicht die Jugendzeit
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Irgendwo noch an das Herz mir schlägt?
 
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Träumerei! Was sollten Jene hoffen,
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Die nie sahn der Jugend Lieblichkeit,
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Die ein unnatürlich Los getroffen,
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Frucht zu bringen ohne Blütenzeit?
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Ach, was man nicht kennt,
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Danach das Herz nicht brennt
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Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit!
 
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In den Waldeskronen meines Lebens
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Atme fort, du kühles Morgenwehn!
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Heiter leuchte, Frühstern guten Strebens,
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Laß mich treu in deinem Scheine gehn!
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Rankend Immergrün
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Soll meinen Stab umblühn,
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Nur noch einmal will ich rückwärts sehn!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Jugendgedenken“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
217
Entstehungsjahr
1819 - 1890
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Jugendgedenken“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Gottfried Keller. Geboren wurde Keller im Jahr 1819 in Zürich. Das Gedicht ist in der Zeit von 1835 bis 1890 entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 217 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Gottfried Keller ist auch der Autor für Gedichte wie „Herbstnacht“, „Herbstlied“ und „Die Zeit geht nicht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Jugendgedenken“ weitere 48 Gedichte vor.

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