Herbstnacht von Gottfried Keller

Als ich, ein Kind, am Strome ging,
Wie ich da fest am Glauben hing,
Wenn ich den Wellen Blumen gab,
So zögen sie zum Meer hinab.
 
Nun hält die schwarz verhüllte Nacht
Erschauernd auf den Wäldern Wacht,
Weil bald der Winter, kalt und still,
Doch tödlich mit ihr ringen will.
 
Schon rauscht und wogt das weite Land
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Geschüttelt von des Sturmes Hand,
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Es braust von Wald zu Wald hinauf
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Entlang des Flusses wildem Lauf.
 
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Da schwimmt es auf den Wassern her,
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Wie ein ertrunknes Völkerheer
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Schwimmt Leich' an Leiche, Blatt an Blatt,
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Was schon der Streit verschlungen hat.
 
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Das ist das tote Sommergrün,
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Das zieht zum fernen Weltmeer hin
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Ade, ade, du zarte Schar,
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Die meines Herzens Freude war!
 
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Sing's in die Niedrung, dunkle Flut:
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Hier oben glimmt ein heisses Blut,
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Wie Heidefeuer einsam glüht,
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An dem die Welt vorüber zieht
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Herbstnacht“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
141
Entstehungsjahr
1819 - 1890
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Herbstnacht“ wurde von Gottfried Keller, einem Schweizer Dichter aus dem 19. Jahrhundert, geschrieben. Die zeitliche Einordnung in das Biedermeier beziehungsweise die Epoche des Realismus ist vor allem daran erkennbar, dass Keller aus dem einfachen Leben erzählt und dabei Emotionen und Stimmungen durch Landschaftsbeschreibungen zum Ausdruck bringt.

Der erste Eindruck des Gedichts ist leicht melancholischer und nachdenklicher Natur. Das lyrische Ich reflektiert nostalgisch über Kindheitserinnerungen und stellt diese in den Kontrast zur herbstlichen, düsteren Gegenwart. Die sich nähernde Winterzeit wird bedrohlich dargestellt, sie ringt „tödlich“ mit der Nacht.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich zuerst eine Kindheitserinnerung („Als ich, ein Kind, am Strome ging“), wie es Blumen ins Wasser wirft, die dann zum Meer getragen werden. Dieses Bild wird später auf die toten Blätter im Herbst angewandt, die symbolisch „wie ein ertrunkenes Völkerheer“ den Fluss hinabtreiben. Diese Vergänglichkeit des Sommers und der Natur, die demodes Wildheit und Brutalität des Winters weichen muss, spiegelt möglicherweise auch eine innere Veränderung des lyrischen Ichs wider. Ein Hauch von Abschiedsschmerz und Melancholie schwingt mit, als es den toten Sommergrün Adieu sagt, welche „die meines Herzens Freude war“.

Formell ist das Gedicht in sechs Strophen mit jeweils vier Versen unterteilt und weist einen harmonischen, ruhigen Rhythmus auf. Dieser steht in Kontrast zur turbulenten Natur, die in dem Gedicht beschrieben wird. Die Sprache Kellers ist bildreich und metaphorisch, besonders auffällig ist die Personifizierung der Natur („Nun hält die schwarz verhüllte Nacht / Erschauernd auf den Wäldern Wacht“). Diese sprachlichen Mittel dienen dazu, eine düstere, herbstliche Stimmung zu erzeugen.

Zusammenfassend handelt es sich bei „Herbstnacht“ um ein Gedicht, das sich mit den Themen Veränderung, Vergänglichkeit und Melancholie auseinandersetzt. Es vermittelt die Atmosphäre einer Jahreszeit, überträgt diese aber auch auf die Innenwelt des lyrischen Ichs, was das persönliche, introspektive Element der Dichtung verdeutlicht. Form und Sprache unterstützen den Inhalt, der dem Leser einerseits durch die Verwendung einfacher und klarer Bilder zugänglich gemacht wird und andererseits durch die Verwendung von Metaphern und Personifizierung an Tiefe gewinnt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Herbstnacht“ des Autors Gottfried Keller. Geboren wurde Keller im Jahr 1819 in Zürich. Zwischen den Jahren 1835 und 1890 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Der Schriftsteller Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 141 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Gottfried Keller sind „Die Zeit geht nicht“, „Die kleine Passion“ und „Die Entschwundene“. Zum Autor des Gedichtes „Herbstnacht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 48 Gedichte vor.

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