Land im Herbste von Gottfried Keller

Die alte Heimat seh' ich wieder,
Gehüllt in herbstlich feuchten Duft;
Er träufelt von den Bäumen nieder,
Und weithin dämmert grau die Luft.
 
Und grau ragt eine Flur im Grauen,
Drauf geht ein Mann mit weitem Schritt
Und streut, ein Schatten nur zu schauen,
Ein graues Zeug, wohin er tritt.
 
Ist es der Geist verschollner Ahnen,
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Der kaum erstrittnes Land besät,
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Indes zu seiten seiner Bahnen
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Der Speer in brauner Erde steht?
 
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Der aus vom Kampf noch blut'gen Händen
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Die Körner in die Furche wirft,
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So mit dem Pflug von End' zu Enden
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Ein jüngst vertriebnes Volk geschürft?
 
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Nein, den Genossen meines Blutes
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Erkenn' ich, da ich ihm genaht,
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Der langsam schreitend, schweren Mutes
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Die Flur bestäubt mit Aschensaat.
 
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Die müde Scholle neu zu stärken,
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Lässt er den toten Staub verwehn;
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So seh' ich ihn in seinen Werken
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Gedankenvoll und einsam gehn.
 
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Grau ist der Schuh an seinem Fusse,
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Grau Hut und Kleid, wie Luft und Land;
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Nun reicht er mir die Hand zum Grusse
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Und färbt mit Asche mir die Hand.
 
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Das alte Lied, wo ich auch bliebe,
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Von Mühsal und Vergänglichkeit!
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Ein wenig Freiheit, wenig Liebe,
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Und um das Wie der arme Streit!
 
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Wohl hör' ich grüne Halme flüstern
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Und ahne froher Lenze Licht!
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Wohl blinkt ein Sichelglanz im Düstern,
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Doch binden wir die Garben nicht!
 
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Wir dürfen selbst das Korn nicht messen,
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Das wir gesät aus toter Hand;
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Wir gehn und werden bald vergessen,
40 
Und unsre Asche fliegt im Land!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Land im Herbste“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
243
Entstehungsjahr
1819 - 1890
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Gottfried Keller, ein wichtiger Vertreter des bürgerlichen Realismus in der deutschsprachigen Literatur, ist der Autor des Gedichts „Land im Herbst“. Er lebte im 19. Jahrhundert von 1819 bis 1890.

Auf den ersten Blick fällt die melancholische Stimmung des Gedichts auf, die durch das dominante Grau und die herbstliche Landschaft sowie die einsame Figur verstärkt wird.

In seinem Gedicht beschreibt Keller eine alltägliche herbstliche Landschaft und einen Landarbeiter, der allein seine Arbeit verrichtet. Der herbstliche, graue Nebel hüllt die Landschaft ein und der Bauer verteilt Aschensaat in seinen Feldern, um den Boden zu stärken. Dabei erinnert er an alte Zeiten, als das Land noch von einem kriegführenden Volk besetzt war, das nun vertrieben ist.

Keller bezieht sich auf den Zyklus der Natur und die Vergänglichkeit des Lebens. Die Verwendung der Farbe Grau, die ständig wiederkehrt, spiegelt dieses Gefühl der Tristesse und Vergänglichkeit wider. Gleichzeitig weist der Bauer, der seine Felder bestellt, auf die Hoffnung und den Kreislauf des Lebens hin und ahnt das fröhliche Licht des Frühlings.

Die Struktur des Gedichts ist durch zehn Strophen mit jeweils vier Versen gekennzeichnet. Dies verleiht dem Gedicht eine strikte Form und Kontinuität. Keller verwendet einen einfachen, direkten Sprachstil ohne den Einsatz von auffälligen Reimen. Trotz der Einfachheit der Sprache gelingt es Keller, eine Atmosphäre von Melancholie und Einsamkeit zu erzeugen, die durch die graue Landschaft und die einsame Figur des Bauern unterstrichen wird.

Alles in allem bildet das Gedicht „Land im Herbst“ eine Reflexion über den Zyklus des Lebens und den unaufhaltsamen Lauf der Zeit. Es thematisiert die Vergänglichkeit des Lebens und das stete Wechselspiel von Leben und Tod anhand der Natur und der Arbeit des Bauern. Das lyrische Ich zeigt sich dabei reflektiert und weist auf die Endlichkeit des menschlichen Daseins hin.

Weitere Informationen

Gottfried Keller ist der Autor des Gedichtes „Land im Herbste“. Keller wurde im Jahr 1819 in Zürich geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1835 bis 1890 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Realismus zuordnen. Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 243 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Der Dichter Gottfried Keller ist auch der Autor für Gedichte wie „Herbstnacht“, „Herbstlied“ und „Die Zeit geht nicht“. Zum Autor des Gedichtes „Land im Herbste“ haben wir auf abi-pur.de weitere 48 Gedichte veröffentlicht.

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