Die Heimat der Toten von Georg Heym
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Der Wintermorgen dämmert spät herauf. |
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Sein gelber Turban hebt sich auf den Rand |
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Durch dünne Pappeln, die im schnellen Lauf |
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Vor seinem Haupte ziehn ein schwarzes Band. |
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Das Rohr der Seen saust. Der Winde Pfad |
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Durchwühlt es mit dem ersten Lichte grell. |
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Der Nordsturm steht im Feld wie ein Soldat |
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Und wirbelt laut auf seinem Trommelfell. |
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Ein Knochenarm schwingt eine Glocke laut. |
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Die Straße kommt der Tod, der Schifferknecht. |
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Um seine gelben Pferdezähne staut |
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Des weißen Bartes spärliches Geflecht. |
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Ein altes totes Weib mit starkem Bauch, |
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Das einen kleinen Kinderleichnam trägt. |
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Er zieht die Brust wie einen Gummischlauch, |
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Die ohne Milch und welk herunterschlägt. |
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Ein paar Geköpfte, die vom kalten Stein |
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Im Dunkel er aus ihren Ketten las. |
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Den Kopf im Arm. Im Eis den Morgenschein, |
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Das ihren Hals befror mit rotem Glas. |
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Durch klaren Morgen und den Wintertag |
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Mit seiner Bläue, wo wie Rosenduft |
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Von gelben Rosen, über Feld und Hag |
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Die Sonne wiegt in träumerischer Luft. |
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Des goldenen Tages Brücke spannt sich weit |
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Und tönt wie einer großen Leier Ton. |
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Die Pappeln rauschen mit dem Trauerkleid |
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Die Straße fort, wo weit der Abend schon |
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Mit Silberbächen überschwemmt das Land, |
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Und grenzenlos die ferne Weite brennt. |
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Die Dämmerung steigt wie ein dunkler Brand |
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Den Zug entlang, der in die Himmel rennt. |
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Ein Totenhain, und Lorbeer, Baum an Baum, |
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Wie grüne Flammen, die der Wind bewegt. |
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Sie flackern riesig in den Himmelsraum, |
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Wo schon ein blasser Stern die Flügel schlägt. |
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Wie große Gänse auf dem Säulenschaft |
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Sitzt der Vampyre Volk und friert im Frost. |
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Sie prüfen ihrer Eisenkrallen Kraft |
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Und ihre Schnäbel an der Kreuze Rost. |
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Der Epheu grüßt die Toten an dem Tor, |
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Die bunten Kränze winken von der Wand. |
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Der Tod schließt auf. Sie treten schüchtern vor, |
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Verlegen drehend die Köpfe in der Hand. |
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Der Tod tritt an ein Grab und bläst hinein. |
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Da fliegen Schädel aus der Erde Schoß |
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Wie große Wolken aus dem Leichenschrein, |
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Die Bärte tragen rund von grünem Moos. |
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Ein alter Schädel flattert aus der Gruft, |
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Mit einem feuerroten Haar beschwingt, |
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Das um sein Kinn, hoch oben in der Luft, |
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Der Wind zu feuriger Krawatte schlingt. |
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Die leere Grube lacht aus schwarzem Mund |
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Sie freundlich an. Die Leichen fallen um |
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Und stürzen in den aufgerissenen Schlund. |
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Des Grabes Platte überschließt sie stumm. |
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II. |
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Die Lider übereist, das Ohr verstopft |
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Vom Staub der Jahre, ruht ihr eure Zeit. |
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Nur manchmal ruft euch noch ein Traum, der klopft |
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Von fern an eure tote Ewigkeit, |
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In einem Himmel, der wie Schnee so fahl |
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Und von dem Zug der Jahre schon versteint. |
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Auf eurem eingefallenen Totenmal |
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Wird eine Lilie stehn, die euch beweint. |
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Der Märznacht Sturm wird euren Schlaf betaun. |
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Der große Mond, der in dem Osten dampft, |
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Wird tief in eure leeren Augen schaun, |
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Darin ein großer, weißer Wurm sich krampft. |
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So schlaft ihr fort, vom Flötenspiel gewiegt |
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Der Einsamkeit, im späten Weltentod, |
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Da über euch ein großer Vogel fliegt |
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Mit schwarzem Flug ins gelbe Abendrot. |
Details zum Gedicht „Die Heimat der Toten“
Georg Heym
18
73
489
1911
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Heimat der Toten“ wurde von Georg Heym verfasst. Es lässt sich zeitlich in die Epoche des Expressionismus einordnen, da Heym einer der wichtigen Vertreter dieser Zeit war. Das Gedicht wurde vermutlich zwischen 1910 und 1912 geschrieben, da Heym im Januar 1912 verstarb.
Der erste Eindruck des Gedichts ist düster und unheimlich. Die Beschreibung von winterlicher Landschaft und morbiden Szenen erzeugt eine bedrückende Atmosphäre.
Der Inhalt des Gedichts ist eine düstere Vision des Todes und des Jenseits. Das lyrische Ich beschreibt eine Landschaft voller Toten, die sich in verschiedenen Szenen zeigen. Dabei werden unter anderem ein Wintermorgen, ein Schifferknecht, tote Frauen und Enthauptete beschrieben. Das lyrische Ich scheint den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren und beschreibt die Toten mit einer gewissen Faszination. Es wird deutlich, dass der Tod allgegenwärtig ist und die Toten eine eigene, morbide Welt bevölkern.
Das Gedicht besteht aus 18 Strophen mit jeweils 4 Versen, was eine erwartbare und regelmäßige Struktur aufweist. Die Sprache des Gedichts ist metaphorisch, eindringlich und bildhaft. Heym verwendet starke Bilder wie „Schädel aus der Erde Schoß“ oder „der Wind zu feuriger Krawatte“. Dadurch wird die morbide Atmosphäre verstärkt. Die Sprache ist insgesamt dunkel und melancholisch.
Insgesamt ist das Gedicht „Die Heimat der Toten“ eine düstere Vision des Todes und des Jenseits. Heym vermittelt eine morbide Atmosphäre und beschreibt verschiedene Szenen, die von Toten bevölkert werden. Das lyrische Ich akzeptiert den Tod als Teil des Lebens und findet eine gewisse Faszination in den morbiden Bildern. Die Form des Gedichts ist regelmäßig und die Sprache gehalten in einer bildhaften, düsteren und eindringlichen Art.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Heimat der Toten“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Georg Heym. Im Jahr 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1911 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Heym handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 489 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 73 Versen mit insgesamt 18 Strophen. Georg Heym ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Baum“, „Der Blinde“ und „Der Fliegende Holländer“. Zum Autor des Gedichtes „Die Heimat der Toten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 79 Gedichte vor.
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