An eine Gespielin von Luise Hensel

Kennst du das Land, wo düstre Ulmen stehen
Den starken Stamm mit Eppichgrün umwebt,
Wo rauhe Stürme durch die Wälder wehen,
Die Eiche kräftig auf zum Himmel strebt?
 
Kennst du das Land, wo wilde Stürme rauschen
Und mancher Felsen hoch empor sich thürmt,
Wo Falschheit nicht und Trug und Tücke lauschen,
Wo strenge Zunft des Volkes Adel schirmt?
 
Kennst du das Land, wo Sitt' und Reinheit walten,
10 
Für jede Tugend hoch die Herzen glüh'n,
11 
Wo oft der Väter trotzige Gestalten
12 
Ermunternd-ernst dem Blick vorüber zieh'n?
 
13 
Kennst du das Land, wo Stärk' und Milde wohnen,
14 
Wo hoher Muth aus blauen Augen sprüht,
15 
Wo Lieb' und Unschuld, Treu' und Glauben thronen,
16 
Wo Kunst und Fleiß und reiner Frohsinn blüht?
 
17 
Kennst du das Land, wo stille Größe handelt,
18 
Wo dir Vertrau'n in jedem Busen quillt,
19 
Bescheidenheit und Stolz verschwistert wandelt
20 
Und Freiheit mehr als Gold und Leben gilt?
 
21 
Kennst du das Land, das gegen Feindes Wüthen
22 
So oft beschirmte seiner Streiter Hand,
23 
Wo sanfte Frauen heiß in Lieb' erglühten
24 
Die Wehr ergreifend für das Vaterland?
 
25 
Kennst du das Land, wo große Helden glänzen,
26 
Wo sanfte Mütter sanfte Töchter zieh'n,
27 
Wo man Verdienste lohnt mit Eichenkränzen,
28 
Wo Harfenklänge durch die Fluren zieh'n?
 
29 
Kennst du das Land, das Vaterland der Lieder,
30 
Gepriesen oft von seiner Barden Schaar?
31 
Das Volk so treu, so redlich, stolz und bieder,
32 
Stark wie der Bär, frei wie im Forst der Aar?
 
33 
Du kennst das Land. - Die Weiber prangen nimmer
34 
In eit'lem Schmuck, versäumend Kopf und Herz;
35 
Ach, du nur strahlst in Frankreich's Flitterschimmer,
36 
Ach, du nur prangst mit Frankreich's Affenscherz.
 
37 
Erhebe dich! ach, tief bist du gesunken
38 
Und ganz getrennt ist uns'rer Freundschaft Band;
39 
Durchglüh'n dich einst der Deutschheit lichte Funken,
40 
Dann reich' ich dir zu neuem Bund die Hand.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „An eine Gespielin“

Autor
Luise Hensel
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
291
Entstehungsjahr
1812
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An eine Gespielin“ wurde von Luise Hensel verfasst, eine deutsche Dichterin, die vom Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt hat. Ihre Schreibzeit fällt somit in die Epoche der Romantik und des Biedermeier.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das lyrische Ich in jeder Strophe dieselbe Frage stellt: „Kennst du das Land...?“. Mit dieser Wiederholung erweckt die Autorin das Interesse des Lesers und kündigt an, dass das gesuchte Land im Zentrum des Gedichts steht.

Vom Inhalt her listet das lyrische Ich eine Reihe von idealisierten Eigenschaften und Merkmalen auf, die dieses Land ausmachen. Es handelt sich um einen Ort, der durch Tugend, Reinheit, Stärke, Treue, Kunst, Fleiß, Freiheit, Großzügigkeit, Bescheidenheit und Stolz gekennzeichnet ist. Es wird auch auf die bewundernswerten Charaktereigenschaften der Bewohner hingewiesen, wie Mut, Liebe, Vertrauen und Unschuld. Weiterhin wird die Bereitschaft zur Verteidigung des Landes und der Stolz auf nationale Helden hervorgehoben. Langsam offenbart sich, dass es sich bei dem beschriebenen Land um Deutschland handelt - das „Vaterland der Lieder“. Im Gegensatz dazu wird die Gespielin von Frankreichs „Flitterschimmer“ und „Affenscherz“ verblendet.

Die Form des Gedichts ist streng und regelmäßig, mit vierzeiligen Strophen und einem konsequenten Wechsel von Jambus und Trochäus. Die Sprache ist klar und direkt, geprägt von starken Begriffen, die Tugenden und Ideale der damaligen Zeit repräsentieren. Der wiederholte Gebrauch der Frageform dient als rhetorisches Mittel und schafft eine Atmosphäre der Vertrautheit zwischen dem lyrischen Ich und der Gespielin.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Luise Hensel in „An eine Gespielin“ ein idealisiertes Bild von Deutschland zeichnet und dieses mit den Verlockungen und Oberflächlichkeiten Frankreichs kontrastiert. Sie ruft ihre Gespielin auf, sich von diesen abzuwenden und die „Deutschheit“ neu zu entdecken. Das Gedicht kann daher als ein Appell zur nationalen Wertschätzung und Selbstidentifikation interpretiert werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An eine Gespielin“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Luise Hensel. Geboren wurde Hensel im Jahr 1798 in Linum. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1812. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik oder Romantik zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 291 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Luise Hensel ist auch die Autorin für das Gedicht „Herz, mein Herz, wie schwer die Schuld!“, „Nach Ihm nur einzig streben“ und „Süßer Jesus, kehre wieder“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „An eine Gespielin“ weitere 255 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Luise Hensel (Infos zum Autor)

Zum Autor Luise Hensel sind auf abi-pur.de 255 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.