Trauerweide von Gottfried Keller
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Es schneit und eist den ganzen Tag, |
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der Frost erklirret scharf und blank, |
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und wie ich mich gebärden mag |
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es liegt ein Mägdlein ernstlich krank. |
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Das Rosengärtlein ist verschneit, |
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das blühte als ihr Angesicht, |
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noch glimmt, wie aus der Ferne weit, |
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der Augen mildes Sternenlicht. |
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Noch ziert den Mund ein blasses Rot |
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und immer eines Kusses wert; |
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sie läßts geschehen, weil die Not |
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die Menschenkinder beten lehrt. |
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?Ich lieb auch Deinen lieben Mund, |
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lieb Deine Seele nicht allein |
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im Frühling wollen wir gesund |
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und beide wieder fröhlich sein! |
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Ich liebe auch Deiner Füße Paar, |
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wenn sie in Gras und Blumen gehn; |
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in einem Bächlein sommerklar |
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will ich sie wieder baden sehn! |
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Auf dem besonnten Kieselgrund |
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stehn sie wahrhaftig wie ein Turm, |
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obgleich der Knöchel zartes Rund |
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bedroht ein kleiner Wellensturm!" |
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Da scheint die Wintersonne bleich |
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durchs Fenster in den stillen Raum, |
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und auf dem Glase, Zweig an Zweig, |
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erglänzt ein Trauerweidenbaum! |
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O Erde, du gedrängtes Meer |
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unzähliger Gräberwogen, |
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wie viele Schifflein kummerschwer |
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hast du hinuntergezogen, |
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hinab in die wellige grünende Flut, |
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die reglos starrt und doch nie ruht! |
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Ich sah einen Nachen von Tannenholz, |
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sechs Bretter von Blumen umwunden, |
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drin lag eine Schifferin bleich und stolz, |
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sie ist versunken, verschwunden! |
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Die Leichte fuhr so tief hinein, |
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und oben blieb der schwere Stein! |
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Ich wandle wie Christ auf den Wellen frei, |
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als die zagenden Jünger ihn riefen; |
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ich senke mein Herz wie des Lotsen Blei |
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hinab in die schweigenden Tiefen; |
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ein schmales Gitter von feinem Gebein, |
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das liegt dort unten und schließt es ein. |
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Die Trauerweide umhüllt mich dicht, |
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rings fließt ihr Haar aufs Gelände, |
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verstrickt mir die Füße mit Kettengewicht |
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und bindet mir Arme und Hände: |
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Das ist jene Weide von Eis und Glas, |
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hier steht sie und würgt mich im grünen Gras. |
Details zum Gedicht „Trauerweide“
Gottfried Keller
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1819 - 1890
Realismus
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht trägt den Titel „Trauerweide“ und stammt aus der Feder des schweizerischen Dichters Gottfried Keller. Keller lebte im 19. Jahrhundert, genauer vom 19. Juli 1819 bis zum 15. Juli 1890, und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des bürgerlichen Realismus.
Bei der ersten Lektüre des Gedichts wird sofort spürbar, dass es von einem paraodischen, bittersüßen und tiefsinnigen Ton geprägt ist. Es erzeugt ein klares Bild einer wehmütigen, bedrückenden Winterszene, versehen mit Anzeichen von Hoffnung und Auswegen inmitten der Schwere und Dunkelheit.
Inhaltlich handelt das Gedicht von einer depressiven Situation, die einen jungen Mann an der Bettseite eines schwer kranken Mädchens und seiner eigenen Ängste zeigt. Er pflegt eine tiefe Zuneigung zu ihr und schmerzt, da er ihre verlorene Gesundheit und Schönheit wahrnimmt. Der Gedichtsprotagonist sehnt sich nach der kommenden Jahreszeit, dem Frühling und der damit verbundenen Hoffnung auf Genesung. Er spricht liebevolle Worte aus und erinnert dabei an gemeinsame, glückliche Momente. Jedoch scheint seine Hoffnung in Rollenwellen des Desasters zu versinken, wenn wir das Schlussbild des Gedichts betrachten: ein einsamer, verdrehter Weidenbaum, der das Zimmer durch das Fenster überprüft, vielleicht ein Omen für die unvermeidliche traurige Zukunft, die dem lyrischen Ich bevorsteht.
Sprachlich nutzt Gottfried Keller klare, einfache, aber markante Bilder, um sowohl das Äußere als auch die inneren Gefühle des lyrischen Ichs zu projizieren. Die vierzeiligen Strophen folgen einem metrischen Schema, das jedoch hin und wieder durchbrochen wird, was den asynchronen Rhythmus des Gedichts noch verstärkt. Die stärkste Verwendung der sprachlichen Bilder findet sich in den letzten sechs Strophen, in denen ein Schiff als Metapher für den Tod und die Trauerweide als Symbol für Trauer und Leid verwendet wird. Zusammen erzielen sie einen starken emotionalen Effekt und ziehen den Leser tiefer in die Atmosphäre der Verlustangst und der Erinnerung an glücklichere Zeiten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Trauerweide“ eine geschickte, tief bewegende Darstellung von Leid, Angst, Hoffnung und Liebe ist. Durch seine einfache, aber wirkungsvolle Sprache und seine konsequenten, oft kühnen Bilder schafft Gottfried Keller ein Gedicht von bleibender Wirkung.
Weitere Informationen
Gottfried Keller ist der Autor des Gedichtes „Trauerweide“. Der Autor Gottfried Keller wurde 1819 in Zürich geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1835 und 1890. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Der Schriftsteller Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 293 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Die Gedichte „Die Zeit geht nicht“, „Die kleine Passion“ und „Die Entschwundene“ sind weitere Werke des Autors Gottfried Keller. Zum Autor des Gedichtes „Trauerweide“ haben wir auf abi-pur.de weitere 48 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Gottfried Keller sind auf abi-pur.de 48 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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