Der Nachtschwärmer von Gottfried Keller
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Von heißer Lebenslust entglüht |
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hab ich das Sommerland durchstreift, |
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darüber ist der Tag verblüht |
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und zu der schönsten Nacht gereift. |
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Ich steige auf des Berges Rücken |
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zur Kanzel von Granit empor |
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und beuge mich mit trunknen Blicken |
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in die entschlafne Landschaft vor. |
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Am andern Berge drüben steht |
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im Sternenschein der Liebe Haus, |
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aus seinem offnen Fenster weht |
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ein Vorhang in die Nacht hinaus; |
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das ist fürwahr ein luftig Gitter, |
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das mir das Fräulein dort verschließt, |
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nur schade, daß mir armen Ritter |
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der tiefe Strom dazwischen fließt! |
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So will ich ihr ein Ständchen bringen, |
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das weithin durch die Lüfte schallt, |
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und spiele Du zu meinem Singen, |
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o Geist der Nacht, auf Tal und Wald! |
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Den Wind laß mit den Tannen kosen, |
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die wie gespannte Saiten stehn, |
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und mit der Wellen fernem Tosen |
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der Nachtigallen Chor verwehn! |
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Im Osten zieht ein Wetter hin, |
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das stellen wir als Helfer an, |
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wie leuchtend schwingt sein Tamburin |
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am Horizonte der Titan! |
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Die Mühlen sind die Zitherschläger |
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beim Wassersturz im Felsengrund; |
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im Wagen fährt mein Fackelträger |
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hoch vor mir her am Himmelsrund! |
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Nun will ich singen überlaut |
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vor allem Land, das grünt und blüht; |
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es ist kein Turm so hoch gebaut, |
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darüberhin mein Sang nicht zieht! |
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So, eine kühne Brücke schlagend, |
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such ich zu ihrem Ohr den Weg. |
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Betritt im Traum das Seelchen zagend |
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des wilden Lärmers schwanken Steg? |
Details zum Gedicht „Der Nachtschwärmer“
Gottfried Keller
5
40
223
1819 - 1890
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Nachtschwärmer“ wurde von Gottfried Keller geschrieben, einem schweizerischen Dichter und Schriftsteller der Neuromantik. Er lebte im 19. Jahrhundert, genauer gesagt von 1819 bis 1890.
Beim ersten Lesen wirkt das Gedicht sehr bildhaft und atmosphärisch. Es scheint, dass der Dichter versucht, eine nächtliche Szene zu beschreiben, indem er die Landschaft, die Sterne und die Nacht als romantische Kulisse nutzt.
Keller erzählt von der Reise des lyrischen Ichs durch eine nächtliche Landschaft, um einer unbekannten Dame ein Ständchen zu bringen. Ungeachtet der Hindernisse, wie den zwischen ihnen liegenden Strom, findet das lyrische Ich Wege, über das Singen und die Hilfe der Natur selbst, seine Botschaft zu übermitteln. Dabei wird das anfängliche Bild einer sorglosen, sommerlichen Begebenheit mit jeder Strophe intensiver und dramatischer in seiner Darstellung.
In Bezug auf Form und Sprache ist Kellers Gedicht in traditionelle Verse unterteilt, wobei jede Strophe aus acht Versen besteht. Keller nutzt starke, lebendige Bilder und Metaphern, um das Eindringen der Nacht und die immense Entfernung zwischen dem lyrischen Ich und seiner Geliebten zu verdeutlichen. Zudem setzt der Autor die Natur als Instrument ein, um Gefühle und Stimmungen abzubilden und die Handlungsintentionen des lyrischen Ichs zu unterstützen. So wird zum Beispiel der aufziehende Sturm als musikalischer Begleiter und die Mühle als Zitherspieler personifiziert.
Unter Berücksichtigung aller oben genannten Aspekte, scheint Kellers Gedicht die Themen der Sehnsucht, der Liebe und des unermüdlichen Strebens nach Verbindung trotz Entfernungen und Hindernissen zu behandeln. Es ist eine romantische Ode an die Kraft der Liebe und die Ausdauer des Geistes, die durch die Natur und Musik zum Ausdruck gebracht wird.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Nachtschwärmer“ des Autors Gottfried Keller. Im Jahr 1819 wurde Keller in Zürich geboren. In der Zeit von 1835 bis 1890 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Realismus zuordnen. Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 223 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Weitere Werke des Dichters Gottfried Keller sind „Der Kirchenbesuch“, „Auf den Tod der Luise Scheidegger (1866)“ und „Abendregen“. Zum Autor des Gedichtes „Der Nachtschwärmer“ haben wir auf abi-pur.de weitere 48 Gedichte veröffentlicht.
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