Am Todestag der Mutter von Friedrich Emil Rittershaus

Schon hat es Mitternacht geschlagen,
Und keinen Laut vernimmt mein Ohr;
Es steiget aus vergang'nen Tagen
Ein Bild in meiner Brust empor.
Auf schau' ich zu den Wolkenscharen;
Durch meine Seele schleicht der Schmerz.
An diesem Tag vor dreizehn Jahren
Brach meiner lieben Mutter Herz.
 
Ich denk' des Tags, da du verschieden!
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O Mutter, tief bewegt's mich, tief.
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Du gingest ein zum ew'gen Frieden,
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Als zum Altar die Glocke rief.
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Der Vater brachte mir die Kunde,
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Du trügest nun die Himmelskron'
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Und hättest in der Sterbestunde
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Gebetet für den einz'gen Sohn.
 
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Ich hab's, o Mutter, nicht vergessen,
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Was du mir einst gewesen bist,
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Wenn ich an deiner Seit' gesessen
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Und du erzählt vom heil'gen Christ,
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Von dem Palast im Meeresgrunde
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Und von des Elfenkönigs Thron.
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Wie hat so gern gelauscht der Kunde
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Dein kleiner Sohn, dein einz'ger Sohn!
 
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Dann kam die Nacht mit ihren Träumen.
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Ich schlief, von Sehnsucht oft gequält,
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Und träumte von den Palmenbäumen,
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Wovon du abends mir erzählt.
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Wenn ich die Augen aufgeschlagen,
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So saßest du am Bett. Mir deucht,
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Ich hätt' gesehn in jenen Tagen
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Oft deine Wimpern thränenfeucht.
 
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O! kehrtest du zum Leben wieder!
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Wo ward solch Mutterherz erspäht?
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Du, Mutter, hast die Saat der Lieder
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In diese Brust hineingesät;
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Du zeigtest mir die Sonnenbahnen,
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Wo licht die Geistesblume sproß.
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Mich dünkt, um früher Trennung Ahnen
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Vom Auge dir die Thräne floß!
 
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Dann sah ich dich im Leichenkleide,
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Wie lagst du da so starr und bleich!
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Ich stand am Sarg, erfüllt vom Leide
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Du lagest drinnen friedensreich.
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Du warst erlöst von allen Schmerzen,
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Mit Blumen warst du wie besät;
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Mir aber war's, als wär' im Herzen
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Mein Blumengarten abgemäht!
 
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Schlaf', Mutter, sanft im Grabesgrunde!
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Umsonst des Sohnes Thräne taut.
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Ein tumpfer Seufzer tönt vom Munde;
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Die alten Klagen werden laut.
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Komm, Gott der Träume, still' den Kummer
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Und kränz' die Schläfe mir mit Mohn!
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Wer weiß, es küßt vielleicht im Schlummer
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Der Mutter Geist den einz'gen Sohn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.8 KB)

Details zum Gedicht „Am Todestag der Mutter“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
322
Entstehungsjahr
1834 - 1897
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorgegebene Gedicht stammt von Friedrich Emil Rittershaus, einem deutschen Dichter aus dem 19. Jh.

Beim ersten Lesen entsteht gleich der Eindruck tiefer Trauer und Sehnsucht. Es ist Nacht und das lyrische Ich reflektiert alleine über den Tod seiner Mutter, das vor dreizehn Jahren stattfand. Mit trauerndem Herzen gedenkt das Ich seiner Mutter und den Erinnerungen, die es an sie hat.

Im Inhalt dreht sich das Gedicht um die tiefe Trauer des lyrischen Ichs um den Verlust seiner Mutter. Es erinnert sich an ihre gemeinsamen Tage, ihre Geschichten vom „heil'gen Christ“, ihre liebevolle Gegenwart und die Werte, die sie ihm vermittelt hat. Es denkt auch an ihren Tod und daran, wie sie ihm - symbolisch - den „Blumengarten“ in seinem Herzen hinterlassen hat. Am Ende sucht das Ich Trost im Schlaf und hofft, im Traum von seiner Mutter geküsst zu werden.

Hinsichtlich der Form besteht das Gedicht aus sieben Oktaven (Strophen mit acht Versen) und folgt dem regelmäßigen Reimschema ababcddc innerhalb jeder Strophe. Es nutzt die traditionelle Verseform des Alexandriners, was bedeutet, dass jeder Vers aus zwölf Silben besteht.

Das Gedicht ist in pathetischer Sprache verfasst, die tiefgründige Emotionen ausdrückt und das Leiden des lyrischen Ichs unterstreicht. Rittershaus verwendet viele metaphorische Ausdrücke und Naturelemente, um die Emotionen des Ichs zu verstärken - nackte Nacht, Wolken, Herbst, Blumen etc. Durch die Worte des Dichters wird ein Bild von einem liebevollen und innigen Verhältnis zwischen Mutter und Sohn geschaffen, das durch den Tod getrennt wurde.

Der Autor nutzt auch religiöse Motive und zeigt ein Verständnis für das Leben nach dem Tod. So zeichnet er die Mutter als eine Himmelskönigin, die nach dem Tod Frieden gefunden hat und in der Lage ist, ihren Sohn zu erfassen und zu beschützen.

Insgesamt kann gesagt werden, dass „Am Todestag der Mutter“ ein emotionales und eindringliches Gedicht über den Verlust, die Erinnerung und die unauslöschliche Liebe zu einer Mutter ist. Die lyrischen und metaphysischen Elemente des Gedichts vermitteln ein tiefes Mitgefühl und ein Verständnis für die universellen Gefühle der Trauer und des Verlusts.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Am Todestag der Mutter“ des Autors Friedrich Emil Rittershaus. Im Jahr 1834 wurde Rittershaus in Barmen geboren. Zwischen den Jahren 1850 und 1897 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 322 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 56 Versen. Die Gedichte „Morgenfrühe“, „Auf dem Berge“ und „Das Auge“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Emil Rittershaus. Zum Autor des Gedichtes „Am Todestag der Mutter“ haben wir auf abi-pur.de weitere 13 Gedichte veröffentlicht.

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