Büchner, Georg - Woyzeck (Szenenanalyse, Szene 9)

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Georg Trakl, Analyse, Interpretation, Deutung, Straße, Referat, Hausaufgabe, Büchner, Georg - Woyzeck (Szenenanalyse, Szene 9)
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Referat

Georg Büchner: Woyzeck („Straße“ - Analyse der Szene 9)

Das Drama „Woyzeck“ wurde von Georg Büchner als Fragment hinterlassen und erschien erst nach seinem Tode in einer überarbeiteten Fassung, bestehend aus 27 Szenen, im Jahre 1879. Das gesellschaftskritische offene Drama spielt in der Epoche des Vormärz und handelt von dem Soldaten Franz Woyzeck, welcher zum Mörder wird, nachdem seine Vorgesetzten ihn ausnutzen und seine Freundin Marie Zickwolf ihn betrügt. Mit der Intention, die sozialen Missstände aufzudecken und zugleich Kritik am absolutistischen System zu üben, brach Bücher nach der Uraufführung des Dramenfragmentes am 08. November 1913 das Weltbild sowie die Tradition des klassischen Theaters.

Die neunte Szene des Dramas trägt den Titel „Straße“ und thematisiert die Interaktion zweier sozialer Gesellschaftsschichten, welche durch die Persönlichkeiten des Hauptmanns, des Doktors und Woyzecks repräsentiert werden. Der Hauptmann sowie der Doktor verkörpern die Obrigkeit und stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Woyzeck, welcher repräsentativ für den Pauperismus steht. Im Zuge dessen wird die Unterdrückung durch die Angehörigen der oberen Stände deutlich, welche Woyzeck gemeinsam bloßstellen und somit ihre Machtposition ausnutzen.

Den Anlass der Szene stellt ein Gespräch zwischen dem Doktor und dem Hauptmann dar, welche sich persönlich bekannt sind und auf der Straße aufeinandertreffen. Woyzeck ist ebenfalls unterwegs und wird von seinem Vorgesetzten durch Fragen ins Gespräch einbezogen.

Die vorliegende Szene lässt sich in zwei Textabschnitte gliedern. Zu Beginn der Szene gehen der Doktor und der Hauptmann gemeinsam auf einer Straße entlang und legen sich gegenseitig ihre Weltansicht dar. Während der Hauptmann den schnellen Gang sowie die Unruhe des Doktors kritisiert, welche auf ein schlechtes Gewissen hindeute (vgl. Szene 5), diagnostiziert der Doktor beim Hauptmann eine baldige Lähmung, welche durch einen Schlaganfall ausgelöst werde. Im Zuge dessen verspricht er ihm, ein so interessantes Studienobjekt zu werden, dass die Experimente ihm als Versuchsobjekt unsterblichen Ruhm bringen würden (vgl. S. 17, Z. 1-33). Daraufhin machen sich beide gegenseitig übereinander lustig, bis der Hauptmann Woyzeck entdeckt.

Das Eintreten Woyzeck markiert nicht nur die Grenze zwischen den Textabschnitten, sondern sorgt zugleich auch für einen Wechsel des Gesprächsthemas, wodurch die Aufmerksamkeit von ihren persönlichen Differenzen auf Woyzeck und die mutmaßliche Affäre von Marie gerichtet wird. Der Hauptmann deutet diesem gegenüber Maries Untreue an, woraufhin Woyzeck ihn bittet, keinen Spaß mit ihm zu treiben, da er doch ein armer Kerl sei, welcher sonst nichts auf der Welt habe. Währenddessen analysiert der Doktor erfreut den erregten Gemütszustand Woyzecks und eilt ihm zügig hinterher. Indes sinniert der Hauptmann darüber, wie die beiden Davoneilenden wirken und betont, dass Rennen kein Merkmal eines guten Menschen sei (vgl. Szene 5). Ferner berichtet er, dass er selbst nur in den Krieg gezogen sei, um seine Liebe zum Leben zu festigen und wundert sich zugleich über seine komischen Gedanken. (vgl. S. 18, Z. 1-32).

Aufgrund seines unzureichenden Soldatenlohnes ist Woyzeck auf weitere Verdienstmöglichkeiten angewiesen, um sich selbst sowie seine Freundin Marie und ihr gemeinsames Kind Christian versorgen zu können. Angesichts dessen rasiert Woyzeck den Hauptmann und nimmt an einem Erbsendiät-Experiment des Doktors teil, bei welchem sich der Soldat lediglich von Erbsen ernähren darf. Sowohl der Hauptmann als auch der Doktor nutzen die Abhängigkeit Woyzecks gezielt aus und demütigen ihn trotz seines labilen psychischen sowie physischen Zustandes. Hinzu kommt der Verdacht, dass Marie Woyzeck mit einem wohlhabenden Tambourmajor betrügt, worauf der Hauptmann in dieser Szene Anspielungen macht. Die vorliegende Szene spielt innerhalb des Dramas eine essenzielle Rolle, da sie die sozialen Missstände binnen der damaligen Zeit verdeutlicht und zugleich zeigt, wie sehr die Gesellschaft ein Individuum zerstören kann. Ebenso hätte Woyzeck ohne die Anspielungen des Hauptmanns womöglich niemals von dem Betrug Maries erfahren, wodurch sein psychisches Gleichgewicht vielleicht niemals vollends zerstört worden wäre. Sowohl die Schikanen des Hauptmanns als auch die Erbsendiät des Doktors tragen dazu bei, dass sich Woyzeck psychischer Zustand enorm verschlechtert und er sogar letztendlich die Entscheidung fällt, einen kaltblütigen Mord zu begehen.

Schon zu Beginn der Szene wird deutlich, dass der Hauptmann und der Doktor wenig Sympathie füreinander empfinden. Zwar begrüßt der Doktor den Hauptmann respektvoll, allerdings beleidigt er ihn kurz darauf als „Hohlkopf“ (S. 17 Z. 31). Daraufhin reagiert dieser mit dem Falten seiner Stirn (vgl. S. 17 Z. 32) und formt daraus ein Wortspiel mit dem beleidigend gemeinten Wort „Einfalt“ (vgl. S. 17 Z. 33), wodurch die gegenseitige Abneigung der beiden hervorgehoben wird. Im Zuge dessen lenkt der Hauptmann das Gespräch auf den vorbeigehenden Woyzeck, welcher laut ihm „wie ein offenes Rasiermesser“ (S. 18 Z. 5f.) herumläuft und beschwert sich zugleich über die Schnelligkeit und Unruhe, welche Woyzeck verkörpert. Nachdem der Hauptmann eine Bemerkung über „lange Bärte“ (vgl. S. 18 Z. 9f.) machte, bezieht sich der Doktor auf den römischen Gelehrten „Plinius“ (vgl. S. 18 Z. 11ff.), welcher laut ihm ebenfalls Bärte im Militär ablehnte. Aufgrund dieser Information möchte der Doktor erneut seine Intelligenz hervorheben und sich sowohl vor dem Hauptmann als auch vor Woyzeck profilieren.

Nachdem Woyzeck die Straße herunterrennt, wechselt die Gesprächssituation und es scheint, als wäre die Auseinandersetzung zwischen dem Doktor und dem Hauptmann nie geschehen. Der Hauptmann beginnt zunächst durch die Frage Woyzecks, ob dieser noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schüssel gefunden habe (vgl. S. 18, Z. 15f.), indirekt auf den Betrug Maries anzuspielen. Durch den Klimax „vom Bar eines Sapeur, eines Unteroffizieres, eines – eines Tambourmajors“ (S. 18 Z. 17f.), spricht der Hauptmann die Affäre Maries direkt an, wodurch nicht nur seine Eloquenz erneut zum Vorschein kommt, sondern zugleich auch seine Skrupellosigkeit und fehlende Empathie hervorgehoben wird. Allerdings versteht Woyzeck die Seitenhiebe des Hauptmannes aufgrund seiner geringen Bildung nicht, weshalb er lediglich mit einem militärischen „Jawohl“ (S. 18 Z. 21) antwortet. Dieses Verhalten zeigt erneut, dass Woyzeck dem Hauptmann vollends untergeordnet ist. Mit den Worten „wenn Woyzeck sich eilt und um die Eck geht, so kann er vielleicht noch auf ein paar Lippen eins finden“ (S. 18 Z. 24f.) wird das zynische Verhalten des Hauptmannes erneut deutlich. Woyzeck wird „kreideweiß“ (S. 18 Z. 26) und bezeichnet sich selbst als einen „armen Teufel“ (vgl. S. 18. Z. 27), welcher „sonst nichts auf der Welt hat“ (vgl. S. 18 Z. 27f.). Dies zeigt, dass der scheinbare Verrat Maries Woyzecks Leben zerstören würde, da er außer ihr und ihrem Sohn nichts hat, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Jener Zusammenbruch seiner Welt wird durch das Adjektiv „höllenheiß“ (S. 19 Z. 1) untermalt, welcher das Ausmaß seines Schmerzes verdeutlicht. Während die Konversation zwischen dem Hauptmann und Woyzeck stattfindet, hält sich der Doktor im Hintergrund des Geschehens auf und kommentiert allein den physischen Zustand des Soldaten. Anhand der Worte des Doktors „Gesichtsmuskeln, starr, gespannt, zuweilen hüpfend, Haltung aufgerichtet, gespannt“ (S. 19 Z. 8f.) zeigt sich allerdings, dass der Doktor sich keineswegs um den Zustand Woyzecks sorgt, sondern sich lediglich für seinen Körper interessiert. Auch wenn sich der Doktor des labilen physischen Zustandes Woyzecks bewusst ist, greift er nicht ein und vergnügt sich vielmehr an dessen Leiden. Nachdem der Hauptmann Woyzeck auf den möglichen Verrat anspricht, beschließt dieser zu gehen (vgl. S. 19 Z. 10ff.), wobei offen bleibt, ob jene Aussage oder doch seine fehlende Eloquenz für das Gehen verantwortlich waren. Weiterhin spricht Woyzeck indirekt den Tod an (vgl. S. 19 Z. 14f.) und beruft sich dabei auf die Bibel, wodurch zum einen dessen Verbundenheit zur Religion sowie womöglich der bevorstehende Mord angekündigt wird. Nachdem der Doktor und Woyzeck abgegangen sind, schwebt der Hauptmann in Gedanken und spricht erneut die Hektik der Menschheit an, welche eine Rahmenkomposition zum Beginn der Szene darstellt, in welcher diese ebenfalls thematisiert wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Szene „Straße“ die Missstände binnen der Gesellschaft untermalt. Während der Hauptmann sowie der Doktor die Obrigkeit verkörpern, steht Woyzeck repräsentativ für den Pauperismus der damaligen Zeit. Die Überlegenheit der beiden wird innerhalb der Szene durch ihre eloquente Wortwahl unterstrichen, welche dem einfachen, ungebildeten Woyzeck gegenüberstehen. Aufgrund der zynischen Bemerkungen sowie psychischer Erniedrigungen gegenüber Woyzeck, wird deutlich, dass sowohl der Hauptmann als auch der Doktor einen essenziellen Teil zu Woyzecks psychischer und physischer Lage beitragen. Hätte der Hauptmann die Affäre Maries nicht angesprochen, wäre Woyzecks Welt womöglich nicht zerbrochen, weshalb diese Szene eine essenzielle Rolle innerhalb des Dramenfragments darstellt und die Entwicklung Woyzecks zu einem gebrochenen Menschen untermalt.

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