Das Bächlein Celigny am Genfersee von Friederike Brun

Es rauscht ein Bächlein durch grüne Kluft,
Ich höre sein Rauschen so gerne;
Durch wehende Wipfel strahlt blaue Luft,
Da weidet der Blick in der Ferne!
O Bächlein so lieb an des Hügels Hang,
Dir möcht' ich lauschen mein Lebenlang!
 
Wie lieblich sinket und steigt und schwillt
In Wies' und Wald das Gestade!
Dort hebt das Gebirge sich duftumhüllt,
10 
Hier locken mich schattige Pfade;
11 
O süße Thäler, o Hügel so schön,
12 
Hier mögen sich Herz und Seel' ergeh'n!
 
13 
Wie lacht aus der Tiefe der blaue See,
14 
Von schneeigen Alpen umraget!
15 
Dort strahlt von Gold die ätherische Höh',
16 
Wenn's tief im Thal noch nicht taget;
17 
Des Frühscheins Schauer mich tief durchbebt,
18 
Der Geist und Sinne so frisch belebt!
 
19 
Hinab den Pfad in die grüne Nacht,
20 
Wo dunkle Schatten nur wanken,
21 
Der Sonnenstrahl nur durch das Dickicht lacht,
22 
Dort wandeln die stillen Gedanken;
23 
Und Fall auf Fall stürzt der Bach dahin,
24 
Es folgt ihm gerne der trunkene Sinn!
 
25 
O weh! wie schweigt's in der öden Kluft,
26 
Wie schweigt's durch die grünenden Hügel!
27 
Die Vöglein flieh'n in die weite Luft,
28 
Entfaltend dem Aether die Flügel!
29 
O süßes Bächlein so grün umlaubt,
30 
Wer hat uns dein liebliches Leben geraubt?
 
31 
Der Neumond sucht und der Abendstern
32 
Die sanfte thauige Welle;
33 
Sie sah'n in der rauschenden Fluth sich gern,
34 
Und gern in der perlenden Quelle;
35 
Nun blicken sie still und trüb hinab
36 
In des kiesigen Bettes ödes Grab!
 
37 
Und alles trauert und alles schweigt,
38 
Und Finsterniß lauscht in den Klüften;
39 
Der Platanus welkende Zweige neigt
40 
Aus sonnendurchglüheten Lüften:
41 
O Bächlein so lieb, o Bächlein so traut
42 
Komm wieder mit fröhlichem Silberlaut!
 
43 
Er kömmt! schon rollt um des Berges Fuß
44 
Die heiter rieselnde Welle!
45 
Es hüpfet und rauschet mit vollem Guß,
46 
Und in der Tiefe wird's helle!
47 
Die Fischlein schlüpfen aus Stein und Moos,
48 
Und scherzen dahin in des Freundes Schooß!
 
49 
Und wir, wir singen mit frohem Schall:
50 
»O Bächlein sey uns willkommen!
51 
Du fehltest uns all' und überall,
52 
Wer hatte dich Bächlein genommen?
53 
O Bächlein so hell und so lieb und so traut,
54 
Nie fehl' uns dein fröhlicher Silberlaut!«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28 KB)

Details zum Gedicht „Das Bächlein Celigny am Genfersee“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
343
Entstehungsjahr
1765 - 1835
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Bächlein Celigny am Genfersee“ wurde von der dänischen Schriftstellerin Friederike Brun verfasst, die im Zeitraum von 1765 bis 1835 lebte. Diese zeitliche Einordnung platziert das Gedicht in den Kontext der literarischen Epochen der Aufklärung und der Romantik.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das lyrische Ich eine intensive Beziehung zur Natur und insbesondere zu einem Bächlein schildert. Dabei wird eine Landschaft rund um den Genfersee beschrieben, in der das Bächlein Celigny fließt. Der Inhalt des Gedichts lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das lyrische Ich beschreibt zunächst, wie es das Rauschen des Bächleins und die ihn umgebende Landschaft wahrnimmt und genießt. Nach einem Moment der Stille und des Verlusts, in dem das Bächlein zeitweise verschwindet, kehrt es schließlich zurück, was beim lyrischen Ich und in der umgebenden Natur große Freude auslöst.

Durch diese Beschreibung vermittelt das lyrische Ich seine tiefe Sehnsucht und Wertschätzung für die Natur. Der kurze Verlust des Bächleins scheint auf die Vergänglichkeit und den stetigen Wandel in der Natur hinzuweisen, während das Wiederkehr des Bächleins Symbole für Hoffnung und Erneuerung darstellt.

In Bezug auf die Form folgt das Gedicht einem geregelten Reimschema und einem gleichbleibenden Metrum, was dem Gesamtwerk einen melodischen und rhythmischen Fluss verleiht - passend zum rauschenden, fließenden Bächlein. Auch die Sprache ist stark naturbezogen und reich an Bildern und Sedimenten, was die innige Beziehung des lyrischen Ichs zur Natur unterstreicht und dem Leser ermöglicht, die beschriebene Landschaft in seiner Vorstellung lebendig werden zu lassen.

Die romantischen Einflüsse in Bruns Gedicht sind deutlich erkennbar, insbesondere im Fokus auf Emotionen und die Natur, sowie in der verwendeten, bildhaften Sprache. Zugleich kann man auch Einflüsse der Aufklärung sehen, etwa in der Wertschätzung und Betonung der individuellen Wahrnehmung und Interpretation der Natur und Wirklichkeit. Aus alledem wird deutlich, dass „Das Bächlein Celigny am Genfersee“ in seiner zeitgenössischen kulturellen und literarischen Kontext betrachtet werden kann.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Bächlein Celigny am Genfersee“ der Autorin Friederike Brun. Die Autorin Friederike Brun wurde 1765 in Gräfentonna geboren. Im Zeitraum zwischen 1781 und 1835 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 343 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 54 Versen. Friederike Brun ist auch die Autorin für das Gedicht „An Schulz und Voß“, „An Selma Gerstenberg“ und „An eine Sängerin“. Zur Autorin des Gedichtes „Das Bächlein Celigny am Genfersee“ haben wir auf abi-pur.de weitere 58 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Friederike Brun (Infos zum Autor)

Zum Autor Friederike Brun sind auf abi-pur.de 58 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.