Hippolyt im Thale von Aricia von Friederike Brun
1 |
Durch des düstern Waldthals Schauer |
2 |
Wankt ein holdes Schattenbild, |
3 |
Ihm hat tiefumflorte Trauer |
4 |
Stirn und Augen trüb umhüllt: |
5 |
Dicht verschränkte Eichenäste |
6 |
Senken Nacht aus heit'rer Luft, |
7 |
Mattverhauchte kühle Weste |
8 |
Flüstern wie aus offner Gruft. |
|
|
9 |
Wo des Felsens wilde Trümmer |
10 |
Tausendjähr'ges Moos umkeimt, |
11 |
Sitzt im dämmerlichen Schimmer |
12 |
Bleich der Jüngling da und träumt; |
13 |
Träumt von jüngstentschwundnen Tagen, |
14 |
Träumet Jagd und Jünglingsspiel, |
15 |
Staubumwallte Siegeswagen |
16 |
Und den Preis am hohen Ziel. |
|
|
17 |
Wenn aus Thetis' Purpurwogen |
18 |
Titan kühn zum Aether steigt, |
19 |
Und am blauen Himmelsbogen |
20 |
Seine Strahlenhöh' erreicht; |
21 |
Sinkt von einem blassen Tage |
22 |
Kaum ein Schimmer in die Gruft, |
23 |
Wo mit anmuthsvoller Klage |
24 |
Hippolyt der Vorzeit ruft. |
|
|
25 |
Ha! er rufet den Genossen: |
26 |
»Auf zum Wettkampf, auf zum Streit! |
27 |
Eilt herbei mit Flammenrossen, |
28 |
Öffnet weit die Rennbahn, weit! |
29 |
Von Trözenä's engem Strande |
30 |
Zum umwogten Isthmos hin, |
31 |
Wo im heitern Sonnenlande |
32 |
Meine Siegespalmen blühn!« |
|
|
33 |
Ihm verstummt die Felsenhöhle, |
34 |
Es verstummt der Waldgesang |
35 |
Und die heiligtiefe Seele |
36 |
Rasch ein Pfeil des Weh's durchdrang! |
37 |
Nur das leise Bächlein trauert |
38 |
In sein tiefes Seelenweh, |
39 |
Und von Wehmuth trüb umschauert |
40 |
Kömmt's herab von grüner Höh'! |
|
|
41 |
»Bin ich noch? im Schattenlande, |
42 |
Leb' ich in der Oberwelt? |
43 |
Wer, entführt dem Heimathsstrande, |
44 |
Hat dem Nichts mich zugesellt? |
45 |
Schatten dicht an Schatten wallen |
46 |
Still in Plutos finster'm Land; |
47 |
Doch in diese Felsenhallen |
48 |
Bin ich einsam hingebannt! |
|
|
49 |
»Harter Vater! deinem Zorne, |
50 |
Folgt ihm nicht der herbe Tod? |
51 |
War aus meines Lebens Borne |
52 |
Nicht Trözens Gestade roth? |
53 |
Göttin mit dem Silberbogen, |
54 |
Nahmst du mich in deinen Schooß, |
55 |
Als dem Scheusal aus den Wogen |
56 |
Reines Blut der Unschuld floß?« |
|
|
57 |
So erscheint in wirren Träumen |
58 |
Ihm des ersten Lebens Bild; |
59 |
Wie aus duftumflorten Räumen |
60 |
Nachtgebilde trüb' umhüllt; |
61 |
»Göttin! - gabst du mir das Leben, |
62 |
Gieb mir auch des Lebens Glück! |
63 |
Laß mich leicht als Schatten schweben, |
64 |
Oder sende mich zurück!« |
|
|
65 |
Und ein weißes Reh erscheinet |
66 |
In dem dichtverwachs'nen Wald, |
67 |
Naht dem Jüngling und vereinet |
68 |
Sich ihm zur Gespielin bald. |
69 |
Streifet rasch an ihm vorüber, |
70 |
Hüpft auf Felsen vor ihm hin; |
71 |
Und je länger und je lieber |
72 |
Wird's des Jünglings trübem Sinn. |
|
|
73 |
Endlich ruht's an einer Quelle, |
74 |
Die durch Felsen niederrollt; |
75 |
In der reinergoss'nen Welle |
76 |
Schwimmt des fernen Aethers Gold; |
77 |
Myrt' und Lorbeerwipfel neigen |
78 |
Flüsternd sich darüber hin, |
79 |
Und aus duft'gen Blüthenzweigen |
80 |
Säuseln Schlummerphantasie'n |
|
|
81 |
Schmachtend sinkt der Jüngling nieder |
82 |
An bemoos'ter Felsenwand; |
83 |
Sanft entstrickt die schönen Glieder |
84 |
Ihm des Schlummers leise Hand, |
85 |
Laue Abendwinde wanken |
86 |
Durch das mildumglänzte Grün, |
87 |
Und mit traubenvollen Ranken |
88 |
Schirmt des Felsens Epheu ihn. |
|
|
89 |
Düfte wallen, Blumen sprießen; |
90 |
Schnee und Gold und Purpurglanz, |
91 |
Ton' und Farb' und Duft umschließen |
92 |
Ihn mit einem Wonnekranz! |
93 |
Friedlich auf- und abgehoben |
94 |
Wallt entfesselt seine Brust, |
95 |
Und im Schlummer leis' umwoben |
96 |
Hat der Traumgott ihn mit Lust. |
|
|
97 |
Um die schroffen Felsengipfel |
98 |
Schwebt des Abends Purpurschein, |
99 |
Durch der Ulmen luft'ge Wipfel |
100 |
Tröpfelt Sonnengold herein: |
101 |
Aus der tiefen Felsengrotte |
102 |
Blickst du fern in's Meeresblau, |
103 |
Und dem heitern Sonnengotte |
104 |
Folgt die Nacht mit Schlummerthau. |
|
|
105 |
An der hohen Aetherhalle |
106 |
Steigen still emporgelenkt |
107 |
Nach und nach die Sternlein alle, |
108 |
Sanft die Augen abgesenkt, |
109 |
Wo vom süßen Schlaf umfangen |
110 |
Hold der traute Schläfer liegt, |
111 |
Und die hochentglühten Wangen |
112 |
Leis' ein Ahndungstraum umfliegt. |
|
|
113 |
Alle sind vorbeigezogen; |
114 |
Luna nur aus hoher Luft |
115 |
Blickt vom blauen Himmelsbogen |
116 |
Auf Aricia's Felsengruft; |
117 |
Rührt mit reinen Silberpfeilen |
118 |
Sanft des Jünglings Augenlid, |
119 |
Und von süßem Weh zu heilen, |
120 |
Ach! erwachet Hippolyt. |
|
|
121 |
»Welcher Wohllaut, welch ein Schimmer |
122 |
Welcher Stimme Himmelston! |
123 |
Ist es Stern', ist's Mondgeflimmer? |
124 |
Wohn' ich bei den Göttern schon? |
125 |
Silberbogen seh ich schweben |
126 |
Nah und näher stets um mich, |
127 |
Und ein niegefühltes Leben |
128 |
Überströmt mit Sehnsucht mich. |
|
|
129 |
Und in sanft're Schatten tauchet |
130 |
Sich der Glanz, das Silberlicht; |
131 |
Süß'rer Liebeston umhauchet |
132 |
Philomela's Wiege nicht! |
133 |
Und der Bach ist Lied geworden, |
134 |
Alle Wipfel Melodie! |
135 |
Und von süßeren Accorden |
136 |
Hallte Sappho's Leier nie! |
|
|
137 |
»Sind Elysium diese Thale? |
138 |
Bist du Lethe, holder Bach? |
139 |
Trank aus des Vergessens Schale |
140 |
Ich mich süß vom Schlummer wach? |
141 |
Welch ein Licht um meine Seele, |
142 |
Welch ein Frieden in der Brust! |
143 |
Aus der finstern Schmerzenshöhle |
144 |
Stieg ich auf zu Götterlust. |
|
|
145 |
»Ward ich sanft empor gehoben, |
146 |
Ach, in reine Göttergluth! |
147 |
Und von Wonneglanz umwoben |
148 |
Taucht' ich in die heil'ge Fluth; |
149 |
Im Olymp, im Schattenlande, |
150 |
Bei des Schicksals finster'm Blick, |
151 |
In des trübsten Daseyns Stande, |
152 |
Überall ist Liebe Glück!« |
|
|
153 |
Glanz und Ton sind hingeschwunden, |
154 |
Doch des Busens inn'res Licht, |
155 |
Dieser Traum von Götterstunden |
156 |
Schwindet ewig, ewig nicht! |
157 |
Wer im reinen Herzen fühlet |
158 |
Heil'ger Liebe Himmelslust, |
159 |
Keine Erdenquelle kühlet |
160 |
Ihm die Flamm' in hoher Brust! |
Details zum Gedicht „Hippolyt im Thale von Aricia“
Friederike Brun
20
160
721
1765 - 1835
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Hippolyt im Thale von Aricia“ wurde von Friederike Brun verfasst, die in der Zeit der Weimarer Klassik und der Romantik wirkte, zwischen 1765 und 1835. Nach der zeitlichen Einordnung und der Bekanntmachung mit dem Autor lässt das Gedicht bereits durch seinen Titel einen ersten Eindruck entstehen. Es beschäftigt sich mit der Figur des Hippolyt, einer Gestalt aus der antiken Mythologie. Damit könnte es sich um ein Gedicht handeln, das sich auf klassische Themen und Motive bezieht, eine Vermutung, die durch die bildhafte, expressive Sprache, das vorgebrachte Natur- und Landschaftsbild sowie die Anklänge an den Heroismus des Hippolyt verstärkt wird.
Inhaltlich zeigt das Gedicht das lyrische Ich in einer melancholischen, fast traumhaften Atmosphäre. Es scheint, als ob sich das lyrische Ich in einer Art Zwischenzustand oder Übergangsphase befindet, die von träumerischen Bildern, der Erinnerung an vergangene Zeiten, der emotionalen Tiefe sowie der Konfrontation mit dem eigenen inneren Leid und der Vergänglichkeit geprägt ist.
Der Inhalt des Gedichts, der durch die metaphorische und symbolhafte Sprache und den einsichtigen, reflektierenden Ton des lyrischen Ichs zum Ausdruck kommt, zeigt die tiefe Empfindsamkeit und die Sehnsucht des Sprechers nach überirdischen, verlorenen oder unerreichbaren Seinszuständen und Erfahrungen. Es könnte also als Ausdruck der romantischen Sehnsucht und der Auseinandersetzung mit den Themen des Unendlichen, der Vergänglichkeit, der Melancholie und der tiefen Emotionen gesehen werden.
Die Form des Gedichts mit seinen verschiedenen, gleichmäßig strukturierten Strophen, die alle acht Verse enthalten, könnte als Ausdruck des strengen, gleichförmigen Rhythmus und der Harmonie gesehen werden, die das lyrische Ich in seiner träumerischen und melancholischen Stimmung zu spüren scheint. Die Sprache ist reich an Metaphern, Symbolen und bildhaften Beschreibungen, die das emotionale Erleben des lyrischen Ichs und seine inneren Zustände imaginativ und anschaulich zum Ausdruck bringen. Zudem wird durch die ästhetische Gestaltung, die melodischen Klänge und Rhythmen und die Verwendung von antiken und mythologischen Anspielungen eine Atmosphäre von Schönheit, Emotionalität und tiefer Empfindsamkeit geschaffen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Hippolyt im Thale von Aricia“ der Autorin Friederike Brun. Geboren wurde Brun im Jahr 1765 in Gräfentonna. Im Zeitraum zwischen 1781 und 1835 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 721 Wörter. Es baut sich aus 20 Strophen auf und besteht aus 160 Versen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Friederike Brun sind „An Schulz und Voß“, „An Selma Gerstenberg“ und „An eine Sängerin“. Zur Autorin des Gedichtes „Hippolyt im Thale von Aricia“ haben wir auf abi-pur.de weitere 58 Gedichte veröffentlicht.
+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Weitere Gedichte des Autors Friederike Brun (Infos zum Autor)
- Abendlandschaft von der Bellevüe am Genfersee, vor dem Gervaisthore
- Abendphantasie
- An Augusta
- An Schulz und Voß
- An Selma Gerstenberg
- An eine Sängerin
- An meine Freundinn Charlotte, Gräfin von Dernath, geborne Bernstorf
- An meinen Brun
- An meinen Mann auf der Reise
- Bey Henriettens Grabe
Zum Autor Friederike Brun sind auf abi-pur.de 58 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
Freie Ausbildungsplätze in Deiner Region
besuche unsere Stellenbörse und finde mit uns Deinen Ausbildungsplatz
erfahre mehr und bewirb Dich direkt