Nächtliche Fahrt von Eduard Mörike
1 |
Jüngst im Traum ward ich getragen |
2 |
Über fremdes Heideland; |
3 |
Vor den halbverschlossnen Wagen |
4 |
Schien ein Trauerzug gespannt. |
|
|
5 |
Dann durch mondbeglänzte Wälder |
6 |
Ging die sonderbare Fahrt, |
7 |
Bis der Anblick offner Felder |
8 |
Endlich mir bekannter ward. |
|
|
9 |
Wie im lustigen Gewimmel |
10 |
Tanzt nun Busch und Baum vorbei! |
11 |
Und ein Dorf nun - guter Himmel! |
12 |
O mir ahnet, was es sei. |
|
|
13 |
Sah ich doch vorzeiten gerne |
14 |
Diese Häuser oft und viel, |
15 |
Die am Wagen die Laterne |
16 |
Streift im stummen Schattenspiel. |
|
|
17 |
Ja, dort unterm Giebeldache |
18 |
Schlummerst du, vergeßlich Herz! |
19 |
Und daß dein Getreuer wache, |
20 |
Sagt dir kein geheimer Schmerz. |
21 |
Ferne waren schon die Hütten; |
22 |
Sieh, da flattert's durch den Wind! |
23 |
Eine Gabe zu erbitten |
24 |
Schien ein armes, holdes Kind. |
|
|
25 |
Wie vom bösen Geist getrieben |
26 |
Werf ich rasch der Bettlerin |
27 |
Ein Geschenk von meiner Lieben, |
28 |
Jene goldne Kette, hin. |
|
|
29 |
Plötzlich scheint ein Rad gebunden, |
30 |
Und der Wagen steht gebannt, |
31 |
Und das schöne Mädchen unten |
32 |
Hält mich schelmisch bei der Hand. |
|
|
33 |
»Denkt man so damit zu schalten? |
34 |
So entdeck ich den Betrug? |
35 |
Doch den Wagen festzuhalten, |
36 |
War die Kette stark genug. |
|
|
37 |
Willst du, daß ich dir verzeihe, |
38 |
Sei erst selber wieder gut! |
39 |
Oder wo ist deine Treue, |
40 |
Böser Junge, falsches Blut?« |
|
|
41 |
Und sie streichelt mir die Wange, |
42 |
Küßt mir das erfrorne Kinn, |
43 |
Steht und lächelt, weinet lange |
44 |
Als die schönste Büßerin. |
|
|
45 |
Doch mir bleibt der Mund verschlossen, |
46 |
Und kaum weiß ich, was geschehn; |
47 |
Ganz in ihren Arm gegossen |
48 |
Schien ich selig zu vergehn. |
|
|
49 |
Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde, |
50 |
In die graue Welt hinein! |
51 |
Unter uns vergeh die Erde, |
52 |
Und kein Morgen soll mehr sein! |
Details zum Gedicht „Nächtliche Fahrt“
Eduard Mörike
12
52
259
1804 - 1875
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Nächtliche Fahrt“ wurde von Eduard Mörike, einem deutschen Lyriker des Biedermeiers, verfasst. Diese Epoche liegt zwischen 1815 und 1848. Das romantische Gedicht erzählt die nächtliche Fahrt des lyrischen Ichs durch eine von Mondlicht beschienene Landschaft in einem halbverschlossenen Wagen.
Das lyrische Ich wird zu Beginn des Gedichts von einem unbekannten Ort zu einem vertrauten Ort geführt. Es erblickt ein Dorf, in dem es sich offensichtlich zu Hause fühlt. Es scheint nostalgische Gefühle zu haben, wenn es die Häuser betrachtet, die es in der Vergangenheit oft gesehen hat. Das lyrische Ich wird sich bewusst, dass jemand, den es sehr liebt und der ihm fehlt, in diesem Dorf schläft. Eine Bettlerin unterbricht die Fahrt, und das lyrische Ich wirft ihr eine goldene Kette zu, die es von seiner Liebsten hat.
Das Gedicht driftet dann in eine Traumvision ab, in der die Bettlerin das lyrische Ich festhält und es beschuldigt, es betrogen zu haben. Nach einem emotionalen Austausch nehmen sie ihre Reise wieder auf. Das Gedicht endet damit, dass das lyrische Ich den Wunsch ausspricht, dass sie und die Bettlerin ständig unterwegs sind und kein Morgen mehr sein soll.
Die Sprache und Form des Gedichts sind typisch für die Zeit des Biedermeiers. Die Verse sind in einem regelmäßigen Versmaß verfasst und reimen sich meistens paarweise. Die Sprache ist recht schlicht und bildhaft, wodurch die nächtliche Landschaft und die emotionalen Zustände des lyrischen Ichs gut dargestellt werden. Die wiederholte Verwendung des Wortes „Traum“ und das surreale Element des plötzlich handlungsfähigen Bettlermädchens deuten außerdem darauf hin, dass die Erzählung möglicherweise vom Unterbewusstsein und nicht von einer realen Erfahrung stammt.
Zusammengefasst, könnte das Gedicht die innere Unruhe und das Bedauern des lyrischen Ichs über eine verlorene Liebe darstellen. Es scheint diese Fahrt als einen Traum zu verwenden, um diese Emotionen zu verarbeiten. Der wünschte ewige Reisezustand am Schluss könnte als Wunsch nach Vergessen und Flucht vorm Erwachen, zurück in die Realität interpretiert werden.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Nächtliche Fahrt“ ist Eduard Mörike. Mörike wurde im Jahr 1804 in Ludwigsburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1820 und 1875. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Biedermeier zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Mörike handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 259 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 52 Versen. Die Gedichte „An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang“, „Elfenlied“ und „Er ist’s“ sind weitere Werke des Autors Eduard Mörike. Zum Autor des Gedichtes „Nächtliche Fahrt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 171 Gedichte vor.
+ Mehr Informationen zum Autor / Gedicht einblenden.
+ Wie analysiere ich ein Gedicht?
Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Eduard Mörike
Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Eduard Mörike und seinem Gedicht „Nächtliche Fahrt“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.
- Mörike, Eduard - Um Mitternacht (Gedichtsanalyse)
- Mörike, Eduard - Am Walde (Gedichtinterpretation)
- Gedichtvergleich - Auf einer Wanderung (Eduard Mörike) und Abseits (Theodor Storm)
Weitere Gedichte des Autors Eduard Mörike (Infos zum Autor)
- An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang
- Elfenlied
- Er ist’s
- Gebet
- Im Frühling
- Septembermorgen
- Nimmersatte Liebe
- Lose Ware
- Gesang Weylas
- Auf eine Christblume
Zum Autor Eduard Mörike sind auf abi-pur.de 171 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
Freie Ausbildungsplätze in Deiner Region
besuche unsere Stellenbörse und finde mit uns Deinen Ausbildungsplatz
erfahre mehr und bewirb Dich direkt