Nach dem Tode meines geliebten Bruders von Friederike Brun

1786

„Strahlender Jüngling, woher?„ –
– Schwester!
„Bruder du mir? Jüngling im Silbergewand?
„Ach! dieß Auge! der Blick ist sein!„
 
Ich taucht’ im frölichen Jugendspiel,
Die heissen Glieder im kühlenden Strom,
Da brauste die Woge schwellend empor –
Schwester! ich sank tief in des Stromes Schoos.
Weine nicht, Du, die ich liebte,
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Als ich, ein Pilger noch, wallte;
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Du, die ich nun inniger liebe!
 
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Leicht, wie Blumenduft,
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Fühlt’ ich empor mich gehoben –
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Es schwebten Engel über der Flut!
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Ach! mehr als Engel – es schwebten
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Freund’ um mich!
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Wie tönte, gleich Harfengelispel,
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Lieblich die zärtliche Stimm’
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Unsers Tiresias mir!
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„Willkommen, willkommen, Geliebter!
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Steig’ empor aus der Endlichkeit Strom,
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Unsterblicher Jüngling!
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O, labe dich an der Ewigkeit Born„.
 
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O Geliebte! ich trank,
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Trank aus der Ewigkeit Strom,
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Der silbern hernieder
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Sich vom Thron des Erbarmers gießt!
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Jeder Schatten entfloh’.
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Ach! die Thräne,
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Die Thräne der Trennung von Euch,
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Sie löste sanft in Entzückung sich auf!
 
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In kindlich schüchterner Unschuld
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Schwebte zwischen den Blüten
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Ein wonniges Knäblein um uns.
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„Siehe der Deinen Einen!„
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Rief Tiresias, hob das schimmernde Knäblein,
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Und küßte mit dem Kusse des Friedens ihn;
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Und glänzender blühten die Rosen
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Auf den Wangen des Knäbleins auf.
 
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Du gebahrst ihn, dein Leben!
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Traure nicht, Schwester! um uns.
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Laß deine Klage seyn
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Wie der sanften Laute Nachhall,
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Die bald emportönt zum höhern,
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Seelenvolleren Lied;
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Zum Liede meines Erwachens,
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Meines Jubels am Thron!
 
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Jammernde Mutter, die mich gebahr,
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Ein winselndes, hülfloses Kindlein,
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Mutter! Vater! freuet euch mein,
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Und seegnet die Flut, die von Schlacken
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Hat gereinigt das Gold!
 
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Schwester ich scheide!
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Wenn einst die große Stunde dir kömmt;
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Wenn in die Nacht des Todes
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Dahinsinkt dein Haupt,
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Zum Leben emporstrebt dein Geist,
58 
Siehst du mich wieder!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28 KB)

Details zum Gedicht „Nach dem Tode meines geliebten Bruders“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
58
Anzahl Wörter
278
Entstehungsjahr
1786
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Der Autor des vorgelegten Gedichts ist Friederike Brun, eine Schriftstellerin der Spät-Aufklärung und frühen Romantik, die von 1765 bis 1835 lebte. Daher kann das Gedicht zeitlich in dieses Zeitalter eingeordnet werden.

Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck von intensiver Trauer und intensivem Schmerz. Dieses Gefühl wird in leidenschaftlichen und emotiven Bildern dargestellt, die den Tod ihres Bruders reflektieren.

Hinsichtlich des Inhalts handelt es sich um den Geist eines Bruders, der mit seiner Schwester aus dem Jenseits spricht, seine Erlebnisse im Tod schildert und seine Liebe zum Ausdruck bringt. Er erzählt von seiner Transformation in der Ewigkeit und verspricht ein Wiedersehen.

Formal beinhaltet das Gedicht acht Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl. Sie sind in freien Versen verfasst. Die unregelmäßige Abfolge der Verslänge lässt auf eine starke Expressivität schließen, die den emotionalen Inhalt widerspiegelt.

Die Sprache des Gedichts ist poetisch, metaphorisch und gefühlvoll. Es verwendet Bilder des Todes und der Wiederkehr, um ein hoffnungsvolles Bild vom Jenseits und die ewige Bindung zwischen Geschwistern zu geben. Die beiden Figuren, Tiresias und der Bruder, sind Allegorien für den Tod und die Unsterblichkeit. Sie interagieren mit dem lyrischen Ich und vermitteln Botschaften von Trost und Versöhnung.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass Bruns Gedicht „Nach dem Tode meines geliebten Bruders“ ein anspruchsvolles und emotionales Werk ist, das sich mit Tod, Trauer und der spirituellen Wiedervereinigung befasst. Es greift Themen der Romantik wie die Präsenz des Unbekannten, den Tod als Übergang und die Sehnsucht nach dem Unendlichen auf. Seine komplexe Struktur und sein metaphorischer Sprachgebrauch sind ein starkes Mittel zur Darstellung von Emotion und Gefühl.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Nach dem Tode meines geliebten Bruders“ ist Friederike Brun. Die Autorin Friederike Brun wurde 1765 in Gräfentonna geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1786 zurück. Erschienen ist der Text in Zürich. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 278 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 58 Versen. Die Dichterin Friederike Brun ist auch die Autorin für Gedichte wie „Abendlandschaft von der Bellevüe am Genfersee, vor dem Gervaisthore“, „Abendphantasie“ und „An Augusta“. Zur Autorin des Gedichtes „Nach dem Tode meines geliebten Bruders“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 58 Gedichte vor.

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