Fortschritt-Männer von Franz Grillparzer

1	Euch kann mein Lied, ich fühls, nicht mehr gefallen,
2	Es ist zu karg, zu dürftig und zu klein,
3	Die ihr so weit in jedem und in allen,
4	Faßt euch nicht gern in enge Schranken ein.
5	Die Außenwelt verführte meine Blicke,
6	In der sich alles rundet und ergänzt,
7	Kein Leeres irgend, nirgends eine Lücke,
8	Und jede Bildung voll und scharf begrenzt.
9	Das sucht ich nun im Geiste nachzuahmen,
10	Und da die Kraft mir nicht so reichlich quillt,
11	Wählt ich bescheidne, strenggeschloßne Rahmen
12	Für mein dem Leben nachgeschaffnes Bild.
13	Ihr aber habt der Wesen Grund ergründet,
14	Die Gottheit selber liegt euch auf der Hand,
15	Wenn ja ihr etwas unbegreiflich findet,
16	Ists, daß so lang mans unbegreiflich fand.
17	Das Schöne, das ein Rätsel uns, den Schwachen,
18	Ihr habts gelöst durch Vordersatz und Schluß,
19	Zwar könnt ihrs vorderhand nicht wirklich machen,
20	Doch wißt ihr, wie mans machen soll und muß.
21	So schreitet ihr denn vor mit Riesenschritte,
22	Die Tat selbst, die sonst Denkern schwer gelingt,
23	Habt ihr erfaßt, ob zwar nach Dichter-Sitte,
24	Der Handlung nennt, auch Fabel, was er singt.
25	Der Baum der Selbstmacht ward durch euch gerüttelt,
26	Nur ist er knorrig und bewahrt die Frucht,
27	Doch wenn sie je der Sturm vom Aste schüttelt,
28	Ihr lest sie auf und habt dann, was gesucht.
29	Für euch nun, die dem Überfluß im Schoße,
30	Die ihr versteht der Schöpfung Allmachtruf,
31	Vor denen klar das Kleine und das Große,
32	Ist freilich arm, was ich bescheiden schuf.
33	Allein bedenkt doch! die Natur ist sparsam,
34	Mit Gleichem, seit dem Anfang hält sie Haus,
35	Was allzuviel, nimmt rück sie in Gewahrsam
36	Und gleicht durch Kargheit die Verschwendung aus.
37	Auf jede Zeit von Recken und Heroen
38	Folgt eine andre, die wie andre klein,
39	Und die Giganten, die dem Himmel drohen,
40	Sie schrumpfen auf das Maß von Menschen ein.
41	So folgt - die Form, die euch erzeugt, gebrochen
42	Ein Enkelvolk, das sich um euch bewegt,
43	Wie um fossile, mächtge Mammutknochen
44	Von Tieren, wie die Welt sie nicht mehr trägt.
45	Das, von den Worten flüchtend zu den Sachen
46	Und nur, was ist, als wirklich sprechend an,
47	Sich etwa gar erfrecht euch auszulachen,
48	Als ob ihr viel geschwatzt und nichts getan.
49	Das euern Fortschritt selber macht zum Spiele
50	Und fragt: ob ihr auf Reisen nicht gelernt?
51	Ein Fortschritt sei, was näher bringt dem Ziele,
52	Zuviel sei, wie zu wenig, gleich entfernt?
53	Da sich entschuldgen eurer Dichtung Jünger,
54	»Nur Übergang sei jetzge Zeit und Frist«,
55	Euch gelten läßt als einer Zukunft Dünger,
56	Doch nicht für Blumen hält, was annoch - Mist.
57	Die eure Lust am Weiten, Allgemeinen
58	Für Mangel hält an eigen-kräftgen Geist,
59	Und eure »Sagen, die zum Lied sich einen«
60	Ins Reich des Mörtels und des Kalks verweist.
61	Wenn dann die Sonne, deren Anschaun blendet,
62	Den Kreis erhellt, in dem das Leben wohnt,
63	Wenn neu sie wieder Wärmestrahlen sendet,
64	Sich spiegelt im Gefühl, als ihrem Mond,
65	Dann kehrt die Zeit der Selbstbegrenzung wieder,
66	Die Gräber, die ihr grubt, sie öffnen sich.
67	Für eure Enkel sollen meine Lieder,
68	Die klein, wie eure Väter und wie ich.

Details zum Gedicht „Fortschritt-Männer“

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Fortschritt-Männer“ des Autors Franz Grillparzer. Im Jahr 1791 wurde Grillparzer in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1807 und 1872. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Biedermeier oder Realismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Grillparzer ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 68 Versen mit insgesamt 17 Strophen und umfasst dabei 501 Worte. Franz Grillparzer ist auch der Autor für Gedichte wie „Entsagung“, „Vorzeichen“ und „Werbung“. Zum Autor des Gedichtes „Fortschritt-Männer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

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