Die Musik von Franz Grillparzer

Sei mir gegrüßt, o Königin!
Mit der strahlenden Herrscherstirn,
Mit dem lieblich tönenden Munde
Und dem Wahnsinn sprühenden Blick,
Schwingend das zarte Plektron,
Ein mächtiger Szepter in deiner Hand.
 
Sei mir gegrüßet, Herrlichste
Unter den herrlichen Schwestern!
 
Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,
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Die am Throne des Lichts gezeugt,
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Von unsterblichen Müttern geboren,
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Gerne nieder zur Erde steigen;
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Boten einer vergangenen,
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Verkünder einer künftigen Welt.
 
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Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,
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Wenn sie, der Sterblichkeit Nebelkleid
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Um die leuchtenden Schultern geworfen,
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Wie Apollon unter den Hirten
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In dem Kreise der Menschen weilen;
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Und in der Fremde rauhen Boden
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Palmenreiser der Heimat pflanzen;
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Menschen ähnlich und dennoch Götter,
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Beide Welten liebend verbinden,
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Hernieder zur Erde den Himmel ziehn
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Und den Menschen zu Göttern erhöhn.
 
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Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,
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Doch wie die Rose unter den Blumen
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Strahlst du hervor aus dem Chore der Schwestern.
 
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Als das Recht von der Erde verschwunden,
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Und die Unschuld gen Himmel geflohn,
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Dienen lernte die freie Gebärde,
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Lügen das Aug, des Himmels Bild,
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Und das Wort, das heilige, wahre,
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Sich in schändende Fesseln schlug:
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Da wardst du von den Göttern gesendet,
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Als Vertraute für bessere Seelen,
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Deine Sprach ihrem Munde zu leihn.
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Freudig eilten sie dir entgegen,
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Sanken vertrauend in deinen Arm,
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Und Lieb und Hoffnung, und Scham und Reue
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Flüsterten leis in deinen Busen,
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Was sie erreicht und was sie verloren,
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Was sie geträumt und wie sie gefühlt.
 
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Seitdem stehst du dem Menschen zur Seite,
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Eine helfende Trösterin!
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Wo er weilt und wo er wandelt,
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An des Unglücks gähnendem Absturz,
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Auf der Freude Blumenhöhn,
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Überall tönt deine Stimm ihm entgegen,
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Wie ein Ruf aus besseren Welten,
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Klagend, tröstend, freundlich erhebend,
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Von der Wiege bis ins Grab.
 
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Sanft stehst du an der Wiege des Knaben,
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Der kaum dem Schoß sich der Mutter entwand,
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Dem noch in einer trüben Welle
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Taumelnd sein Ich und die Außenwelt schwimmt,
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Dem kaum der Schmerz noch ahndend gelehret,
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Daß er zum Leben - voll Schmerzen! - erwacht.
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Wie er so daliegt und jammert und klaget,
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Da tönt ein Laut in seine Ohren
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Der erste Strahl in der irdischen Nacht
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Aus der Wärterin einfachem Liede
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Spricht dein Mund dem Klagenden zu:
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»Dulde! Lerne beizeiten dulden,
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Ist doch Leiden des Lebens Name,
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Wenige Stunden, und es ist vollbracht!«
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Und du legst in des Kleinen Wiege
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Einen treuen, liebenden Bruder,
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Der durch das Leben ihn begleitet,
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Hülfreich und treu ihm zur Seite steht.
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Jeden Kummer halb ihm abnimmt,
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Jede Freude vertausendfacht,
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Und am Ziele der Lebensbahn
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Ihn in die offenen Arme nimmt,
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Legst den Schlummer ihm an die Seite,
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Und der Knabe lächelt und - schläft.
 
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In der Trompete mutigen Tönen
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Rufst du den Jüngling ins Schlachtgewühl,
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Leitest die Stärke, ermutigst das Zagen,
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Jubelst ob dem geschlagenen Feind,
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Verkündest die Siegesbotschaft dem Lande,
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Weinst dem Gefallenen nach ins Grab.
 
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Aus der Zither melodischen Saiten
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Klagst du dem Mädchen des Liebenden Glut,
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Wo die Sprache das Wort verweigert,
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Borgest du hülfreich den lieblichen Klang.
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Und das Mädchen höret die Klage,
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Von Ahndung und Scham den Busen bestürmt,
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Zögernd folgt sie dem süßen Zuge,
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Gleich den Saiten bebet ihr Herz,
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Und auf der Töne goldenen Schwingen
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Ziehet die Liebe als Sieger ein.
 
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An des Altars geschmückten Stufen
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Empfängst du jauchzend die schamhafte Braut,
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Scheuchst von der Stirn ihr das zagende Bangen,
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Zeigst ihr die nahende Seligkeit.
 
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So durch alle Gewinde des Lebens
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Geleitest du liebreich den Erdensohn,
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Hilfst ihm erklimmen die steilen Stufen,
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Und streuest auf jede mit mildem Sinn
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Deine Rosen oder Zypressen,
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Freuden- oder Mitleidstränen,
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Und wenn endlich das Leben verklungen,
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Der letzte Seufzer der Brust entflohn,
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Zum Staub gekehrt der Staubgeborne,
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Wankst du stöhnend hinter der Bahre,
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Hinüberzeigend in lichte Fernen,
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Glaub und Hoffnung an leitender Hand.
 
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Wo ist eine Macht, die deiner gleichet,
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Eine Gewalt, die deiner sich naht,
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Wenn du auf Sturmesflügeln einherbraust,
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Wenn du mit Zephyrslispeln säuselst;
113 
Wenn du des Mutes glimmenden Funken
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In die zagende Seele schleuderst
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Und den Funken zur Tat entflammst,
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Wenn du im duftenden Myrtenhain
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Mit süßer Ahndung das Herz beschleichst.
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Wo ist eine Macht, die deiner gleicht!
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Bewehrt mit deinem flammenden Schwert,
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Schlug Tyrtäus der Feinde Gewalt,
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Felsen gehorchten deinem Worte,
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Als du aus Amphions Leier gebotst,
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Aus der Unterwelt heulenden Klüften
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Zog die Geliebte des Orpheus Gesang.
 
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Wie bildsamer Ton, wie weiches Wachs
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Ist des Menschen Herz in deiner Hand,
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Timotheus' Leier tönt,
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Und Persepolis flammt,
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Händel greift in die Saiten
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Und Persepolis flammt noch einmal
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Vor den Sinnen der trunknen Hörer!
 
132 
Wer vermag deinen Zauber zu schildern,
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Liebliche, milde, freundlich holde,
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Fühlende Freundin fühlender Seelen:
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Herrlichste unter den herrlichen Schwestern!
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Was der Mime nur schwankend stammelt,
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Was der Dichter zu laut verrät,
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Lispelt vernehmlich dein Saitenspiel.
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Sei die Dichtkunst noch so gepriesen,
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Sie spricht doch nur der Menschen Sprache,
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Du sprichst, wie man im Himmel spricht!
 
142 
Darum sei mir dreimal gesegnet,
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Hohe, strahlende Königin!
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Ewig soll meine Lippe dich preisen,
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Und in den Klang meiner Weihgesänge
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Mische sich jauchzend der Jubel der Welt!

Details zum Gedicht „Die Musik“

Anzahl Strophen
16
Anzahl Verse
146
Anzahl Wörter
821
Entstehungsjahr
1791 - 1872
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Franz Grillparzer ist der Autor des Gedichtes „Die Musik“. Der Autor Franz Grillparzer wurde 1791 in Wien geboren. In der Zeit von 1807 bis 1872 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Biedermeier oder Realismus zugeordnet werden. Grillparzer ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 146 Versen mit insgesamt 16 Strophen und umfasst dabei 821 Worte. Franz Grillparzer ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Wunderbrunnen“, „Entsagung“ und „Vorzeichen“. Zum Autor des Gedichtes „Die Musik“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

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