Als Sie, zuhörend, am Klavier saß von Franz Grillparzer
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Still saß sie da, die Lieblichste von allen, |
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Aufhorchend, ohne Tadel, ohne Lob; |
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Das dunkle Tuch war von der Brust gefallen, |
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Die, nur vom Kleid bedeckt, sich atmend hob; |
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Das Haupt gesenkt, den Leib nach vorn gebogen, |
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Wie von den fliehnden Tönen nachgezogen. |
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Nenn ich sie schön? Ist Schönheit doch ein Bild, |
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Das selbst sich malt und nur sich selbst bedeutet, |
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Doch Höheres aus diesen Zügen quillt, |
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Die wie die Züge einer Schrift verbreitet, |
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An sich oft bildlos, unscheinbare Zeichen, |
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Doch himmlisch durch den Sinn, den sie erreichen. |
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So saß sie da, das Regen nur der Wangen |
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Mit ihren zarten Muskeln rund und weich, |
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Der Wimpern Zucken, die das Aug umhangen, |
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Der Lippen Spiel, die Purpurlädchen gleich, |
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Den Schatz von Perlen hüllen jetzt, nun zeigen, |
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Verriet Gefühl, von dem die Worte schweigen. |
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Und wie die Töne brausend sich verwirren, |
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In stetem Kampfe stets nur halb versöhnt, |
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Jetzt klagen, wie verflogne Tauben girren, |
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Jetzt stürmen, wie der Gang der Wetter dröhnt, |
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Sah ich ihr Lust und Qual im Antlitz kriegen |
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Und jeder Ton ward Bild in ihren Zügen. |
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Mitleidend wollt ich schon zum Künstler rufen: |
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»Halt ein! Warum zermalmst du ihre Brust?« |
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Da war erreicht die schneidendste der Stufen, |
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Der Ton des Schmerzes ward zum Ton der Lust, |
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Und wie Neptun, vor dem die Stürme flogen, |
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Hob sich der Dreiklang ebnend aus den Wogen, |
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Und wie die Sonne steigt; die Strahlen dringen |
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Durch der zersprengten Wetter dunkle Nacht, |
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So ging ihr Aug, an dem noch Tropfen hingen, |
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Hellglänzend auf in sonnengleicher Pracht; |
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Ein leises Ach aus ihrem süßen Munde, |
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Sah, wie nach Mitgefühl, sie in die Runde. |
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Da triebs mich auf; nun soll sies hören! |
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Was mich schon längst bewegt, nun werd ihrs kund! |
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Doch blickt sie her; den Künstler nicht zu stören |
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Befiehlt ihr Finger schwichtgend an dem Mund, |
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Und wieder seh ich horchend sie sich neigen |
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Und wieder muß ich sitzen, wieder schweigen. |
Details zum Gedicht „Als Sie, zuhörend, am Klavier saß“
Franz Grillparzer
7
42
314
1791 - 1872
Biedermeier,
Realismus
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Als Sie, zuhörend, am Klavier saß“ ist Franz Grillparzer. Der Autor Franz Grillparzer wurde 1791 in Wien geboren. In der Zeit von 1807 bis 1872 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Biedermeier oder Realismus zuordnen. Grillparzer ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das 314 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Franz Grillparzer sind „Werbung“, „Zwischen Gaeta und Kapua“ und „Erklärung“. Zum Autor des Gedichtes „Als Sie, zuhörend, am Klavier saß“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.
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