Freie Presse von Ferdinand Freiligrath

Festen Tons zu seinen Leuten spricht der Herr der Druckerei:
„Morgen, wißt ihr, soll es losgeh’n, und zum Schießen braucht man Blei!
Wohl, wir haben unsre Schriften: – Morgen in die Reih’n getreten!
Heute Munition gegossen aus metall’nen Alphabeten!“
 
„Hier die Formen, hier die Tiegel! auch die Kohlen facht’ ich an!
Und die Pforten sind verrammelt, daß uns Niemand stören kann!
An die Arbeit denn, ihr Herren! Alle, die ihr setzt und preßt!
Helft mir auf die Beine bringen dieses Freiheitsmanifest!“
 
Spricht’s, und wirft die ersten Lettern in den Tiegel frischer Hand.
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Von der Hitze bald geschmolzen, brodeln Perl und Diamant;
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Brodeln Kolonel und Korpus; hier Antiqua, dort Fraktur
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Werfen radikale Blasen, dreist umgehend die Zensur.
 
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Dampfend in die Kugelformen zischt die glüh’nde Masse dann: –
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So die ganze lange Herbstnacht schaffen diese zwanzig Mann;
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Athmen rüstig in die Kohlen; schüren, schmelzen unverdrossen,
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Bis in runde, blanke Kugeln Schrift und Zeug sie umgegossen!
 
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Wohl verpackt in grauen Beuteln liegt der Vorrath an der Erde,
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Fertig, daß er mit der Frühe brühwarm ausgegeben werde!
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Eine dreiste Morgenzeitung! Wahrlich, gleichbeherzt und kühn
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Sah man keine noch entschwirren dieser alten Offizin!
 
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Und der Meister sieht es düster, legt die Rechte auf sein Herz:
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„Daß es also mußte kommen, mir und Vielen macht es Schmerz!
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Doch – welch Mittel noch ist übrig, und wie kann es anders sein?
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Nur als Kugel mag die Type dieser Tage sich befrei’n!“
 
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„Wohl soll der Gedanke siegen – nicht des Stoffes rohe Kraft!
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Doch man band ihn, man zertrat ihn, doch man warf ihn schnöd in Haft!
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Sei es denn! In die Muskete mit dem Ladstock laßt euch rammen!
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Auch in solchem Winkelhaken steht als Kämpfer treu beisammen!“
 
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„Auch aus ihm bis in die Hofburg fliegt und schwingt euch, trotzige Schriften!
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Jauchzt ein rauhes Lied der Freiheit, jauchzt und pfeift es hoch in Lüften!
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Schlagt die Knechte, schlagt die Söldner, schlagt den allerhöchsten Thoren,
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Der sich diese freie Presse selber auf den Hals beschworen!“
 
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„Für die rechte freie Presse kehrt ihr heim aus diesem Strauß:
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Bald aus Leichen und aus Trümmern graben wir euch wieder aus!
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Gießen euch aus stumpfen Kugeln wieder um in scharfe Lettern –
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Horch! ein Pochen an der Hausthür! und Trompeten hör’ ich schmettern!“
 
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„Jetzt ein Schuß! – Und wieder einer! – Die Signale sind’s, Gesellen!
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Hallender Schritt erfüllt die Gassen, Hufe dröhnen, Hörner gellen!
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Hier die Kugeln! hier die Büchsen! Rasch hinab! – Da sind wir schon!“
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Und die erste Salve prasselt! – Das ist Revolution!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.8 KB)

Details zum Gedicht „Freie Presse“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
411
Entstehungsjahr
nach 1826
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Freie Presse“ stammt von Ferdinand Freiligrath, der im 19. Jahrhundert lebte und häufig politische und gesellschaftliche Themen in seinen Werken aufgriff. Das Gedicht passt daher gut in die Epoche des Vormärz, die von Politik und Revolution geprägt war.

Auf den ersten Blick lässt das Gedicht einen an eine Gruppe von Arbeitern denken, die im dunklen Keller einer Druckerei engagiert sind. Das lyrische Ich in der Rolle des „Herr der Druckerei“ gibt den Takt vor und motiviert seine Mitarbeiter. Sie arbeiten nicht an gewöhnlichen Druckprodukten, sondern an etwas, das als „Freiheitsmanifest“ betitelt wird.

Die Arbeit dieser Männer besteht darin, die Lettern, also die Buchstaben, mit denen normalerweise gedruckt wird, in Munition umzuwandeln. Sie schmelzen das Metall, aus dem die Lettern bestehen, gießen es in Formen und erstellen so eine metaphorische 'Munition der Worte'. Das Ergebnis ist eine „dreiste Morgenzeitung“, die mit großer Begeisterung und Entschlossenheit in der Welt verbreitet wird. Es entsteht der Eindruck, dass diese Zeitung eine rebellische, revolutionäre Botschaft enthält.

Aber diese Munition ist nicht nur metaphorisch zu verstehen, sie wird tatsächlich als Kugeln für Gewehre verwendet - als Waffen im Kampf für die Freiheit. Dabei geht der Autor kritisch mit der Zensur und Restriktion von Meinungen um und unterstreicht den Wert der freien Presse als Mittel, um gegen Tyrannei und Unrecht Anzukämpfen. Hier zeigt sich deutlich das gesellschaftskritische und politische Engagement Freiligraths.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus zehn vierzeiligen Strophen in freien Versen. Die Sprache ist einfach, direkt und voller bildhafter Metaphern. Auf erzählerische Weise wird der Werkprozess der Lettern in Munition dargestellt und so die symbolische Verbindung zwischen Wort und Waffe hergestellt. Der Sprecherton ist durchweg entschlossen, ernst und dabei hoffnungsvoll.

Das Gedicht ist eine eindringliche Darstellung der Macht von Worten und der Wichtigkeit der Redefreiheit. Es reflektiert das politische Klima zur Zeit des Vormärz und ist ein leidenschaftlicher Appell für die Bedeutung der Pressefreiheit. Im Kontext der jeweiligen historischen Periode gelesen, vermittelt es einen starken Eindruck von der Notwendigkeit und Dringlichkeit des Protests und des Widerstands gegen Unterdrückung und Unrecht. Zeitlos betrachtet ist es eine Erinnerung daran, dass die Presse und die freie Meinungsäußerung immer noch wichtige Werkzeuge im Kampf gegen Unterdrückung sind.

Weitere Informationen

Ferdinand Freiligrath ist der Autor des Gedichtes „Freie Presse“. Geboren wurde Freiligrath im Jahr 1810 in Detmold. Das Gedicht ist in der Zeit von 1826 bis 1876 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Zürich. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Der Schriftsteller Freiligrath ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 411 Worte. Die Gedichte „Die Todten an die Lebenden“, „Eispalast“ und „Springer“ sind weitere Werke des Autors Ferdinand Freiligrath. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Freie Presse“ weitere 65 Gedichte vor.

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