Eispalast von Ferdinand Freiligrath

Ihr Alle, mein' ich, habt gehört von jenem seltnen Eispalast!
Auf der gefrornen Newafluth aufstarrte der gefrorne Glast!
Dem Willen einer Kaiserin, der Laune dienend einer Frau,
Scholl' über Scholle stand er da, gediegen Eis der ganze Bau!
 
Um seine blanken Fensterreih'n, um seine Giebel pfiff es kalt:
Doch innen hat ihn Frühlingsweh'n und hat ihn Blumenhauch durchwallt!
Allüberall, wohin man schritt, Musik und Girandolenglanz,
Und durch der Säle bunte Flucht bewegte wirbelnd sich der Tanz!
 
Also bis in den März hinein war seine Herrlichkeit zu schau'n;
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Doch — auch in Rußland kommt der Lenz, und auch der Newa Blöcke thau'n!
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Hui, wie bei'm ersten Sturm aus Süd der ganze schimmernde Koloß
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Hohl in sich selbst zusammen sank und häuptlings in die Fluthen schoß!
 
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Die Fluthen aber jauchzten auf! Ja, die der Frost in Bande schlug,
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Die gestern eine Hofburg noch und eines Hofes Unsinn trug,
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Die es noch gestern schweigend litt, daß man ihr auflud Pomp und Staat,
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Daß eine üpp'ge Kaiserin hoffärtig sie mit Füßen trat: —
 
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Dieselbe Newa jauchzt' empor! Abwärts mit brausendem Erguß,
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Abwärts durch Schnee und Schollenwerk schob sich und drängte sich der Fluß!
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Die letzten Spuren seiner Schmach malmt' er und knirscht' er kurz und klein —
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Und strömte groß und ruhig dann in's ewig freie Meer hinein!
 
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2.
 
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Die ihr der Völker heilg'e Fluth abdämmtet von der Freiheit Meer: —
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Ausmündend bald, der Newa gleich, braust sie auch jubelt sie einher!
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Den Winterfrost der Tyrannei stolz vom Genicke schüttelt sie,
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Und schlingt hinab, den lang sie trug, den Eispalast der Despotie!
 
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Noch schwelgt ihr in dem Blitzenden und thut in eurem Dünkel, traun!
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Als käme nun und nie der Lenz, als würd' es nun und nimmer thau'n!
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Doch mälig steigt die Sonne schon und weich erhebt sich schon ein Weh'n:
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Die Decke tropft, der Boden schwimmt — o schlüpfrig und gefährlich Geh'n!
 
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Ihr aber wollt verschlungen sein! Dasteht ihr und kapitulirt
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Lang erst mit jeder Scholle noch, ob sie — von Neuem nicht gefriert!
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Umsonst, ihr Herrn! Kein Halten mehr! Ihr sprecht den Lenz zum Winter nicht,
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Und hat das Eis einmal gekracht, so glaubt mir! daß es bald auch bricht!
 
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Dann aber heißt es wiederum: — Abwärts mit brausendem Erguß,
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Abwärts durch Schnee und Schollenwerk drängt sich und macht sich Bahn der Fluß!
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Die letzten Spuren seiner Schmach malmt er und knirscht er kurz und klein —
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Und fluthet groß und ruhig dann in's ewig freie Meer hinein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.4 KB)

Details zum Gedicht „Eispalast“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
397
Entstehungsjahr
nach 1826
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Eispalast“ stammt von Ferdinand Freiligrath, einem deutschen Dichter, der von 1810 bis 1876 lebte. Er ist ein prominenter Vertreter der politischen Lyrik des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Revolution von 1848. Dieses Gedicht könnte daher in die Zeit dieser revolutionären Bewegungen eingeordnet werden.

Beim ersten Eindruck fällt auf, dass das Gedicht eine reiche, lebendige Sprache und starke Bilder verwendet. Die zentrale Metapher des Eispalastes, der schließlich zusammenbricht, steht im Vordergrund.

Das Gedicht erzählt von einem Eispalast, der auf der gefrorenen Newa-Flut in Russland errichtet wurde. Trotz der kalten Außentemperatur herrscht im Inneren eine Atmosphäre voller Leben und Frühlingsgefühle. Im März schmilzt der Palast jedoch und stürzt in den Fluss. Der Fluss, der zuvor durch den Frost gebändigt war, jubelt über die Befreiung von der Last des Palastes und fließt schließlich ins freie Meer.

Die Metapher des Eispalastes könnte eine allegorische Darstellung von Macht und Autorität sein - insbesondere der Kaiserin von Russland, die als prächtig, aber vergänglich beschrieben wird. Das lyrische Ich warnt diejenigen, die sich in der Illusion dieser Macht sonnen, und prophezeit zugleich deren Fall. Diese Interpretation wird insbesondere durch die letzte Strophe gestützt, in der das lyrische Ich die Zukunft beschreibt, in der die „Völkerflut“ der freien Menschen den „Eispalast der Tyrannei“ hinunterschlingt.

Das Gedicht besteht aus zehn Strophen mit jeweils vier Versen, wodurch eine gleichmäßige Form entsteht. Die Verwendung von anschaulichen Metaphern, wie dem Eispalast und der fließenden Newa, lässt das Gedicht bildlich und anschaulich wirken. Zudem nutzt Freiligrath einen bewusst mischen Stil aus normalen Umgangsnormen und gehobener Sprache, was eine eher dramatische und elegante Atmosphäre erzeugt.

Insgesamt kann das Gedicht als Kritik an Autorität und Unterdrückung interpretiert werden, welches die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass das Volk sich letztlich gegen solche Mächte erheben und in die Freiheit strömen wird – eine Botschaft, die im Kontext der politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts von besonderer Bedeutung war.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Eispalast“ ist Ferdinand Freiligrath. Der Autor Ferdinand Freiligrath wurde 1810 in Detmold geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1826 und 1876. Erscheinungsort des Textes ist Zürich. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Freiligrath handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 37 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 397 Worte. Weitere Werke des Dichters Ferdinand Freiligrath sind „Wie man’s macht“, „Lieder“ und „Die Trompete von Vionville“. Zum Autor des Gedichtes „Eispalast“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 65 Gedichte vor.

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