Parabel von Georg Herwegh
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Erlaubt mir, daß ich 'mal berichte |
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Euch eine alberne Geschichte: |
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Sie kommt mir eben in den Sinn, |
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Geduld ist deutsch, drum nehmt sie hin. |
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War eine brave, brave Frau, |
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Die nahm's im Dienste wohl genau, |
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Und macht', so brav sie auch gewesen, |
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Doch niemals vieles Federlesen. |
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Die Frau hatt' einen muntern Hahn, |
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Der kräht' ihr stets den Morgen an, |
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Und war nach seiner Hahn-Natur |
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Für sie die allerbeste Uhr. |
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Sobald den Tag er angesagt, |
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Da weckt' die Frau die faule Magd, |
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Was unsre Magd gar schwer verdroß, |
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Daß sie im Grimme einst beschloß, |
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Dem Vogel zu stutzen seine Schwingen |
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Und, meld' ich's kurz, ihn umzubringen. |
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Es war gedacht, es war getan, |
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Die Götter bekamen einen Hahn. |
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Was aber hat die Magd gewonnen? |
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Die sonst geweckt ward mit der Sonnen, |
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Ward nun geweckt um Mitternacht, |
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Nachdem den Hahn sie umgebracht. |
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Ach! sprach die Magd, die schwer Betörte, |
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Wenn ich den Hahn doch krähen hörte! |
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Sein Krähen hat so schön geklungen, |
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Als hätt' eine Nachtigall gesungen. |
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»Und nun der Witz? wir bitten dich!« |
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Ihr kennt die Frau so gut wie ich; |
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Sie ist die schönste weit und breit, |
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Ihr Anblick die volle Seligkeit. |
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Ihr kennt wohl auch des Nachbars Hahn, |
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Dem ihr soviel zuleid getan; |
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Und wenn ihr mich nach dem Dritten fragt: |
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»Du, deutsches Volk, du bist die Magd!« |
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Doch wenn ihr den Hahn auch mordet, ihr Sklaven, |
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So denkt darum nicht länger zu schlafen, |
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Erst weckt' euch die Frau nach dem Hahnenschrei, |
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Nun ist's mit dem Schlummer auf ewig vorbei. |
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Die Freiheit kommt wie ein Dieb in der Nacht |
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Und ruft euch zu: »Erwacht! erwacht!« |
Details zum Gedicht „Parabel“
Georg Herwegh
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265
1817 - 1875
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Parabel“ wurde von Georg Herwegh geschrieben, einem Dichter des 19. Jahrhunderts, der für seine politischen und revolutionären Gedichte bekannt ist. Das schlägt bereits eine politische oder soziale Interpretation des Gedichts vor.
Der erste Eindruck des Gedichts ist, dass es eine Art Anekdote oder Geschichte erzählt, die auf den ersten Blick humorvoll und unbeschwert erscheint, aber tatsächlich eine tiefergehende Botschaft vermittelt.
Inhaltlich geht es in diesem Gedicht um eine Magd, die damit unzufrieden ist, dass der Hahn sie jeden Morgen weckt. Sie bringt den Hahn um, um länger schlafen zu können, wird aber stattdessen mitten in der Nacht geweckt. Sie bereut ihre Tat und wünscht sich den Hahn zurück, der sie morgens immer mit seinem schönen Gesang geweckt hat.
In der Parabel ist der Hahn ein Symbol für Freiheit oder Rebellion, die Magd repräsentiert das deutsche Volk und die Frau könnte als Autorität interpretiert werden. Herwegh mahnt das deutsche Volk, dass der Verlust der Freiheit (durch die Ermordung des Hahns) nicht zu mehr Komfort führt (mehr Schlaf), sondern zu noch größeren Unannehmlichkeiten (früheres Erwachen). Die laste Strophe ist ein direkter Aufruf an das deutsche Volk, sich zu erheben und für die Freiheit zu kämpfen.
Das Gedicht folgt einer festen Form, jede Strophe besteht aus vier Versen und es gibt eine geregelte Reimstruktur. Die Sprache ist direkt und unkompliziert, was den satirischen Ton unterstreicht und es dem Leser erleichtert, die politische Botschaft dahinter zu verstehen. Georg Herwegh benutzt in diesem Gedicht die Alltagssprache und scheinbar banale Ereignisse, um eine tiefere Botschaft zu transportieren.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Parabel“ ist Georg Herwegh. Geboren wurde Herwegh im Jahr 1817 in Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1833 und 1875. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei dem Schriftsteller Herwegh handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 265 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Weitere Werke des Dichters Georg Herwegh sind „Der schlimmste Feind“, „Die Arbeiter an ihre Brüder“ und „Die Partei“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Parabel“ weitere 200 Gedichte vor.
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