Der schlimmste Feind von Georg Herwegh

Dies Volk, das seine Bäume wieder
Bis in den Himmel wachsen sieht
Und auf der Erde platt und bieder
Am Knechtschaftskarren weiter zieht;
 
Dies Volk, das auf die Weisheit dessen
Vertraut, der Roß und Reiter hält,
Und mit Ergebenheitsadressen
Frisch, fromm und fröhlich rückt ins Feld;
 
Dies Volk, das einst aus Cäsars Schüssel
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Und Becher sich so gern erfrischt
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Und sich, wie Mommsen, seinen Rüssel
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An Cäsars Tischtuch abgewischt;
 
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Dies Volk, das gegen Blut und Eisen
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Jungfräulich schüchtern sich geziert,
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Um schließlich den Erfolg zu preisen,
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Womit man Straßburg bombardirt.
 
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Dies Volk, das im gemeinen Kitzel
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Der Macht das neue Heil erblickt
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Und als „Erzieher“ seine Spitzel
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Den unterjochten „Brüdern“ schickt.
 
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Die Alten, Lieben, Wohlbekannten
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Von Anno Sechsundsechzig her,
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Schafott- und Bundesbeil-Votanten,
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Sie schüfen Deutschland? – Nimmermehr!
 
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Sie werden mit verschmitzten Händen
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Entreißen euch des Sieges Frucht;
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Sie werden euren Lorbeer schänden,
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Daß euch die ganze Welt verflucht!
 
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Frankreichs gekrönter Possenreißer
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Wird nach Paris zurückgebracht;
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Euch holt man einen Heldenkaiser
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Aus mittelalterlicher Nacht.
 
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Das Blut von Wörth, das Blut von Spichern,
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Von Mars-la-Tour und Gravelotte,
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Einheit und Freiheit sollt’ es sichern –
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Einheit und Freiheit? Großer Gott!
 
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Ein Amboß unter Einem Hammer,
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Geeinigt wird Alt-Deutschland stehn;
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Dem Rausche folgt ein Katzenjammer,
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Daß euch die Augen übergehn.
 
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Mit patriotischem Ergötzen
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Habt ihr Viktoria geknallt;
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Der Rest ist Schweigen oder Lötzen,
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Kriegsidiotentum, Gewalt.
 
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Es wird die Fuchtel mit der Knute
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Die heil’ge Allianz erneun:
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Europa kann am Uebermuthe
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Siegreicher Junker sich erfreun.
 
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Gleich Kindern laßt ihr euch betrügen,
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Bis ihr zu spät erkennt, o weh! –
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Die Wacht am Rhein wird nicht genügen,
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Der schlimmste Feind steht an der Spree.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Der schlimmste Feind“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
266
Entstehungsjahr
nach 1833
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht wurde von Georg Herwegh verfasst, einem deutschen Dichter des Vormärz. Herwegh war ein bedeutender Vertreter der politischen Lyrik seiner Zeit und lebte von 1817 bis 1875. Das vorliegende Gedicht stammt aus der mittleren Schaffensperiode des Autors und kann zeitlich in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts eingeordnet werden.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht stark politisch geprägt und zeugt von sozialer Kritik. Die kontinuierliche Erwähnung „Dies Volk“ im Beginn jeder Strophe lässt auf eine Allgemeingültigkeit schließen und kritisiert das gesamte deutsche Volk.

In jedem der vier Verse je Strophe geht es um Kritik an der Haltung des Volkes zu seinem politischen und sozialen Umfeld. Herwegh beschreibt ein Volk, das sich von einer autoritären Führung leiten lässt (Strophe 2), das seine Geschichte (Strophe 3), seine Tendenzen zur Kriegsführung (Strophe 4) und seine Dominanz über andere (Strophe 5) glorifiziert. Es zeigt, wie das Volk die politischen Führer der damaligen Zeit kritisiert (Strophe 6), und wie diese Gebrauch von ihrer Macht machen (Strophe 7). Das Gedicht schließt mit dem Eindruck, dass das Volk betrogen wird und seinen „schlimmsten Feind“ nicht erkennt (Strophe 13).

Formal ist das Gedicht strikt in Strophen zu je vier Versen gegliedert. Sie befinden sich sämtlich im Kreuzreim, was einen flüssigen Lesefluss gewährleistet. Die Sprache des Gedichts ist direkt und anschaulich, geprägt von der Verwendung konkreter Bilder und Worte.

Insgesamt kann das Gedicht als eine Anklage an eine Gesellschaft verstanden werden, die, blind gegenüber ihrer eigenen Unterdrückung, ihre Führer glorifiziert und deren Autorität nicht hinterfragt. Es verdeutlicht Herweghs Unzufriedenheit mit der Realität des deutschen Nationalstaates und zeigt seine sozialkritische Haltung. Dabei nutzt er seine Worte, um den Leser zu provozieren und zum kritischen Nachdenken anzuregen. Die Worte „Der schlimmste Feind steht an der Spree“ am Ende des Gedichts sind eine klare Kritik an der damaligen Regierung in Berlin. Die Spree ist ein Fluss, der durch Berlin fließt, und steht hier metaphorisch für die politische Macht des preußischen Staates. Zusammenfassend macht Herwegh in diesem Gedicht auf die politischen Missstände aufmerksam und kritisiert die Haltung des Volkes, das diese zulässt und unterstützt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der schlimmste Feind“ des Autors Georg Herwegh. 1817 wurde Herwegh in Stuttgart geboren. Zwischen den Jahren 1833 und 1875 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Zürich. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei dem Schriftsteller Herwegh handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 266 Worte. Weitere Werke des Dichters Georg Herwegh sind „Epilog zum Kriege“, „Groß“ und „Verrat!“. Zum Autor des Gedichtes „Der schlimmste Feind“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 200 Gedichte vor.

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