Der Blumen Rache von Ferdinand Freiligrath
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Auf des Lagers weichem Kissen |
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Ruht die Jungfrau, schlafbefangen, |
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Tiefgesenkt die braune Wimper, |
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Purpur auf den heißen Wangen. |
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Schimmernd auf dem Binsenstuhle |
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Steht der Kelch, der reich geschmückte, |
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Und im Kelche prangen Blumen, |
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Duft'ge, bunte, frischgepflückte. |
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Brütend hat sich dumpfe Schwüle |
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Durch das Kämmerlein ergossen, |
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Denn der Sommer scheucht die Kühle, |
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Und die Fenster sind verschlossen. |
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Stille rings und tiefes Schweigen! |
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Plötzlich, horch! ein leises Flüstern: |
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In den Blumen, in den Zweigen |
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Lispelt es und rauscht es lüstern. |
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Aus den Blütenkelchen schweben |
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Geistergleiche Duftgebilde; |
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Ihre Kleider zarter Nebel, |
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Kronen tragen sie und Schilde. |
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Aus dem Purpurschoß der Rose |
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Hebt sich eine schlanke Frau; |
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Ihre Locken flattern lose, |
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Perlen blitzen drin wie Tau. |
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Aus dem Helm des Eisenhutes |
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Mit dem dunkelgrünen Laube |
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Tritt ein Ritter kecken Mutes; |
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Schwert erglänzt und Pickelhaube. |
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Auf der Haube nickt die Feder |
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Von dem silbergrauen Reiher. |
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Aus der Lilie schwankt ein Mädchen; |
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Dünn wie Spinnweb ist ihr Schleier. |
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Aus dem Reich des Türkenbundes |
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Kommt ein Neger stolz gezogen; |
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Licht auf seinem grünen Turban |
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Glüht des Halbmonds goldner Bogen. |
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Prangend aus der Kaiserkrone |
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Schreitet kühn ein Szepterträger; |
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Aus der blauen Iris folgen |
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Schwertbewaffnet seine Jäger. |
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Aus den Blättern der Narzisse |
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Schwebt ein Knab' mit düstern Blicken, |
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Tritt an's Bett, um heiße Küsse |
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Auf des Mädchens Mund zu drücken. |
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Doch um's Lager drehn und schwingen |
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Sich die Geister wild im Kreise, |
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Drehn und schwingen sich und singen, |
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Der Entschlafnen diese Weise: |
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?Mädchen, Mädchen! von der Erde |
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Hast du grausam uns gerissen, |
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Daß wir in der bunten Scherbe |
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Schmachten, welken, sterben müssen! |
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O wie ruhten wir so selig |
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An der Erde Mutterbrüsten, |
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Wo, durch grüne Wipfel brechend, |
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Sonnenstrahlen heiß uns küßten! |
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Wo uns Lenzeslüfte kühlten, |
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Unsre schwanken Stengel beugend; |
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Wo wir nachts als Elfen spielten, |
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Unserm Blätterhaus entsteigend. |
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Hell umfloß uns Tau und Regen; |
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Jetzt umfließt uns trübe Lache; |
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Wir verblühn, doch eh' wir sterben, |
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Mädchen, trifft dich unsre Rache" |
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Der Gesang verstummt; sie neigen |
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Sich zu der Entschlafnen nieder. |
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Mit dem alten, dumpfen Schweigen |
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Kehrt das leise Flüstern wieder. |
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Welch ein Rauschen, welch ein Raunen! |
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Wie des Mädchens Wangen glühen! |
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Wie die Geister es anhauchen! |
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Wie die Düfte wallend ziehen! |
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Da begrüßt der Sonne Funkeln |
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Das Gemach; die Schemen weichen. |
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Auf des Lagers Kissen schlummert |
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Kalt die lieblichste der Leichen. |
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Eine welke Blume selber, |
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Noch die Wange sanft gerötet, |
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Ruht sie bei den welken Schwestern; |
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Blumenduft hat sie getötet! |
Details zum Gedicht „Der Blumen Rache“
Ferdinand Freiligrath
20
80
391
1810 - 1876
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Blumen Rache“ wurde von Ferdinand Freiligrath, einem deutschen Poeten der Romantik und des Vormärz, geschrieben, der von 1810 bis 1876 lebte.
Beim ersten Eindruck fällt Freiligraths detailreiche und bildhafte Sprache auf, die eine atmosphärische und morbide Szene erschafft. In ihrer bildhaften Intensität und ihrer düsteren Schönheit weist das Gedicht Elemente der Romantik auf. Dennoch ist eine Gesellschaftskritik, typisch für die Literatur des Vormärz, aus dem Werk heraus zu lesen: Die Blumen, Symbole für die Unterdrückten, rächen sich an der adligen Jungfrau, die hier stellvertretend für die Unterdrücker steht.
Das Gedicht erzählt die Geschichte einer schlafenden Jungfrau, die in ihrem Zimmer von frisch gepflückten Blumen umgeben ist. Während sie schläft, erwachen die Blumen zum Leben und rächen sich an ihr für ihr eigenes Schicksal - gerissen aus ihrem natürlichen Lebensraum, eingesperrt und dazu bestimmt, zu welken und zu sterben. Im poetischen Kontext sind die Blumen symbolisch für die unterdrückten Teile der Gesellschaft und die Jungfrau repräsentiert die Oberschicht, die diese Menschen unterdrückt.
Freiligraths Gedicht besteht aus vierundzwanzig Vierzeilern mit insgesamt neunzig Versen. Das durchgängige Reimschema ist ABAB. Die Sprache ist poetisch und reich an bildhaften Metaphern. Freiligraths Wortwahl und seine Fähigkeit, lebendige Bilder zu schaffen, verleihen dem Gedicht einen quasi-mystischen Charakter. Das lyrische Ich beschreibt einen fantastischen Traum, in dem Blumen zu Leben erwachen und mordenden Geistern gleichen. Diese Darstellung von Blumen und ihrer Rache ist eine Darstellung von Gerechtigkeit und Rache gegen die Unterdrückung.
Insgesamt ist „Der Blumen Rache“ ein bemerkenswertes Gelegenheitsgedicht in Mehrversen, das zwar die blumige Sprache und die üppigen Metaphern der Romantik nutzt, aber auch einen kritischen gesellschaftspolitischen Unterton aufweist, der typisch für die Vormärz-Literatur ist.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Blumen Rache“ ist Ferdinand Freiligrath. Geboren wurde Freiligrath im Jahr 1810 in Detmold. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1826 und 1876. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Freiligrath handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 391 Wörter. Es baut sich aus 20 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Die Gedichte „Am Birkenbaum.“, „Die Todten an die Lebenden“ und „Eispalast“ sind weitere Werke des Autors Ferdinand Freiligrath. Zum Autor des Gedichtes „Der Blumen Rache“ haben wir auf abi-pur.de weitere 65 Gedichte veröffentlicht.
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- Am Birkenbaum.
- Die Todten an die Lebenden
- Eispalast
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- Springer
- Von unten auf
- Vor der Fahrt
- Wie man’s macht
- Lieder
- Die Trompete von Vionville
Zum Autor Ferdinand Freiligrath sind auf abi-pur.de 65 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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