Kafka, Franz - Der plötzliche Spaziergang (biografische und psychoanalytische Deutung)

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Franz Kafka, Analyse, Interpretation, Analyse der Kommunikation, Referat, Hausaufgabe, Kafka, Franz - Der plötzliche Spaziergang (biografische und psychoanalytische Deutung)
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Referat

„Der plötzliche Spaziergang“ von Franz Kafka

Gliederung / Inhalt

Die Erzählung „Der plötzliche Spaziergang“

Der plötzliche Spaziergang

von Franz Kafka

Wenn man sich am Abend endgültig entschlossen zu haben scheint, zu Hause zu bleiben, den Hausrock angezogen hat, nach dem Nachtmahl beim beleuchteten Tische sitzt und jene Arbeit oder jenes Spiel vorgenommen hat, nach dessen Beendigung man gewohnheitsgemäß schlafen geht, wenn draußen ein unfreundliches Wetter ist, welches das Zuhausebleiben selbstverständlich macht, wenn man jetzt auch schon so lange bei Tisch stillgehalten hat, daß das Weggehen allgemeines Erstaunen hervorrufen müßte, wenn nun auch schon das Treppenhaus dunkel und das Haustor gesperrt ist, und wenn man nun trotz alledem in einem plötzlichen Unbehagen aufsteht, den Rock wechselt, sofort straßenmäßig angezogen erscheint, weggehen zu müssen erklärt, es nach kurzem Abschied auch tut, je nach der Schnelligkeit, mit der man die Wohnungstür zuschlägt, mehr oder weniger Ärger zu hinterlassen glaubt, wenn man sich auf der Gasse wiederfindet, mit Gliedern, die diese schon unerwartete Freiheit, die man ihnen verschafft hat, mit besonderer Beweglichkeit beantworten, wenn man durch diesen einen Entschluß alle Entschlußfähigkeit in sich gesammelt fühlt, wenn man mit größerer als der gewöhnlichen Bedeutung erkennt, daß man ja mehr Kraft als Bedürfnis hat, die schnellste Veränderung leicht zu bewirken und zu ertragen, und wenn man so die langen Gassen hinläuft, — dann ist man für diesen Abend gänzlich aus seiner Familie ausgetreten, die ins Wesenlose abschwenkt, während man selbst, ganz fest, schwarz vor Umrissenheit, hinten die Schenkel schlagend, sich zu seiner wahren Gestalt erhebt. Verstärkt wird alles noch, wenn man zu dieser späten Abendzeit einen Freund aufsucht, um nachzusehen, wie es ihm geht.

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Biografische und psychoanalytische Deutung der Kurzgeschichte

Im Verlauf dieser Interpretation möchte ich unter anderem die biografische Deutung (oder auch psychoanalytische Interpretation genannt) fokussieren. Diese ist eine sehr interessante Art der Deutung, da auch einige Germanisten behaupten, Kafkas Werke kann man nur durch Hinzunahme seiner Biografie deuten. Da diese Erzählung aus dem Tagebuch Kafkas stammt, kann man daraus folgern, dass diese eine Reflexion aus dem Leben des Autors ist. Er verbrachte auch die größte Zeit seines Lebens im Elternhaus, wo er zu Familienaktivitäten verpflichtet war. 1912 entstand auch die „Verwandlung“. Somit ist dies eines seiner früheren Werke, da seine produktivste Zeit um 1918 ist. Dennoch ist 1912 ein wichtiges Datum, da er dort seinem Studienkollegen Max Brot (1884-1968) seine Selbstmordgedanken mitteilt. Somit diese Erzählung ein Wegruf Kafkas mehr Freiheit haben zu wollen. In der Kurzprosa ist auch „Freiheit“ (Z. 16) ein wichtiger Begriff, welches für die „Gasse“ (Z. 15) zählt. Kafka fühlte sich in seinem Dasein eingeengt und möchte seinem Alltag entfliehen. Somit ist dies ein Gedankengang Kafkas, während er am „Tische“ (Z. 3) sitzt und seinen Gewohnheiten nachgeht. Erst sucht er Ausreden, den Spaziergang nicht machen zu können, aufgrund schlechtem Wetter (vgl. Z. 6), das „dunkle Treppenhaus“ und das verschlossene „Haustor“ (Z. 9 f.) und vor allem die Angst vor dem „Ärger“ der Familie (Z. 15). Da dies nur ein Gedankengang ist, vermute ich, dass Kafka den Spaziergang am späten Abend nie vollzogen hat und nur davon schwärmte. Dabei dachte er auch an seinen „Freund“ (Z. 28), welcher Max Brot entspricht. Dies zeigt uns wiederum die enge Beziehung zu seinem Studienkollegen und die Sehnsucht nach seiner Gesellschaft. Natürlich wäre dies keine Erzählung von Kafka, wenn wir den Vater nicht mit einbeziehen. Der Vater, Hermann Kafka (1852-1931), hat keine gute Beziehung zu seinem Sohn, da er ihn sehr streng und voller Verachten erzog. Seine Anwesenheit muss für Kafka eine Qual gewesen sein, da sein Vater jähzorniges Verhalten aufwies und ihn damit psychisch schädigte. Somit war er auch die Quelle, welche Kafka von diesem Spaziergang abhielt. Der Spaziergang steht für die Freiheit und die Ausbreitung des waren Ichs (vgl. Z. 26). Doch Kafka konnte das nie wirklich ausleben, besonders nicht in der Nähe seines Vaters. Somit ist diese Erzählung ein Auszug in Kafkas Gedankenwelt, während er bei seiner Familie ist. Er scheitert schon am Anfang, da er sich nicht traut diese Freiheit zu finden und aus Angst nicht einmal einen Versuch unternimmt.

Diese Erläuterung gibt einem nun einige gute Vorkenntnisse zur psychoanalytischen Deutung. Wie zuvor schon erwähnt, ist dies ein Gedankengang einer Person, welche sich erträumt, von zu Hause auszubrechen und sich selbst zu finden. Der Protagonist geht gerne seinen Gewohnheiten nach (vgl. Z. 3 f.), und sei es die „Arbeit“ (Z. 3) am Abend. Er schwärmt von dem Spaziergang, da dieser ihm auf dem Herzen liegt. Doch um dies zu unterdrücken und seine Entscheidung, zu Hause zu bleiben, zu rechtfertigen, redet er sich Gründe ein, die ihm von diesem Spaziergang abhalten. Somit ist das „Wetter“ (Z. 6) nicht gut genug oder die „Haustür“ versperrt ihm den Weg, sodass er eine passende Ausrede hat, sein Bedürfnis nach einem Spaziergang zu unterdrücken und lieber sitzenzubleiben (vgl. Z. 3). Es scheint so, als wenn er alle plausiblen Ausreden sucht, die ihm von seinem Glück abhalten. Auch die Familie wird als Hindernis genannt, wobei die Familie eigentlich eine emotionale Bindung zu einem hat. Somit ist diese Bindung zur Familie gestört und er ist lieber in der Nähe seines „Freund[es]“ (Z. 28) als mit seiner Familie einen netten Abend zu verbringen. Somit ist er eher ein Einzelgänger, welcher keine Gesellschaft will. Deshalb kann er sich alleine entfalten und sein wahres Ich ausleben (Z. 26). Dabei weiß er, dass ihm ein Spaziergang guttun würde und schweift ins Träumen davon ab (vgl. Z. 15-26), doch bringt es nicht zustande, dies zu tun. Sein Gedanke scheiterte schon von der ersten Sekunde an, da er nicht handelt und das Negative überwiegen lässt. Der Protagonist macht sich somit das Leben schwer, indem er sich selbst Hindernisse herbeiredet.

Da ich eben schon die Familie erwähnt habe, komme ich nun zur kommunikationskritischen Deutung. Es gibt in der Erzählung an sich keine wirkliche Kommunikation, dennoch kann man sich das gestörte Verhältnis zu der Familie des Protagonisten vorstellen. Man kann klar erkennen, dass es einen Streit beim Verlassen des Hauses gab, da der Protagonist nur von einem „kurzem Abschied“ (Z. 13) redet und von dem „Ärger“ (Z. 15), welcher folgt, wenn er die Wohnungstür zuschlägt. Das Zuschlagen der Wohnungstür deutet auf aggressives Verhalten und einen Streit mit der Familie hin. Eine Tür kann man normal schließen, doch wenn man verbittert ist, schlägt man oftmals die Tür gewaltvoll und mit Absicht zu. Da es hier keine Option ist, die Tür normal und leise zu schließen, sondern nur das „mehr oder weniger“ (Z. 14) Zuschlagen möglich sind, kann man von einem sehr großen Aufruhr in der Familie ausgehen. Wie schon Erkenntnis von Schulz von Thun zeigt, dass man nicht nicht kommunizieren kann, ist dies die Interaktion mit der Familie in dieser Geschichte. Diese ist keine gute Art der Problemlösung laut Rosenberg und zeigt eine Wolfssprache auf, welche keinesfalls eine gute Option ist, um sein Ziel zu erreichen. Anstatt sich nur kurz zu verabschieden und die Tür zornig zuzuschlagen, kann er nach dem Harvard Konzept von Fisher und Ury aus dem Jahr 1981, seine Bedürfnisse und Emotionen erläutern und eine Alternative vorzeigen. Laut Mehrabian zeigt das Türzuschlagen mehr Wirkung als alles, was er zuvor gesagt hat, da die Körpersprache 55 % des Wirkens ausmacht und der Inhalt nur 7 %. Somit könnte er einen Konflikt mit seiner Familie einfach vermeiden, wenn er seine Absichten klar und deutlich macht und sein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung erläutert. Somit würde er auch eine bessere Beziehung zu seiner Familie aufbauen und nicht mehr vor ihr flüchten müssen. Eine weitere Kommunikation finden wir mit dem Freund, welche erst in weiteren Gedankengängen ausformuliert werden würde.

Unangekündigt abends nach der Nachtruhe noch bei einem Freund auftauchen (vgl. Z. 27 f.) kann auf den Anderen sehr seltsam und stressend wirken. Der Protagonist hätte hier lieber den Freund erst angerufen oder anderweitig gefragt, ob er denn auch Zeit hätte. Das plötzliche, unerwartete Auftauchen kann der Freundschaft nämlich schaden und diese auch zerstören.

Zuletzt komme ich noch zur religiösen Deutung. Hier beziehe ich mich einerseits auf Kafkas Biografie und andererseits auf den Text. Laut Kafkas Vergangenheit, hatte er Kontakt zu einer ostjüdischen Theatergruppe, welche eher streng religiös war. Er unterstützte sie und fand in ihnen auch immer mehr seine Beziehung zum Judentum wieder. Eine wichtige Person darin war Löwy, der ihm sehr dabei half. Sein Vater fand den Kontakt zu dieser Gruppe nicht gut und verachtete sie. Somit steht der „Freund“ (Z. 28) welcher Kafka zu Ende hin besuchen vermag, für diese Theatergruppe und somit die Findung zu seinem Glauben, nach der Ich Findung.

Des Weiteren kann das Haus für die Erde stehen und die „Gasse“ (Z. 15) oder eher das Draußen, für den Himmel. Das verschlossene „Haustor“ (Z. 10) steht für das Tor zum Himmel. Somit ist der Protagonist noch nicht bereit in den Himmel aufzufahren, doch träumt er von der Erlösung seines Lebens auf Erden. Die Hindernisse stehen für die Verpflichtungen, die er besitzt. Damit finden wir Kafkas Suizidgedanken wieder, da der Protagonist hier vom Tod und vom Auffahren in den Himmel spricht.

Zusammenfassend reflektiert „Der plötzliche Spaziergang“ nicht nur die Gefühle Kafkas, sondern auch die Sehnsucht nach Freiheit und dem Alltag zu entfliehen. Dabei bringt Kafka nicht nur das Thema einer gestörten Beziehung in der Familie auf, sondern auch das der Selbstfindung. Daher sind Kafkas Werke immer beeindruckend und helfen uns, unsere Lebensweise zu überdenken.

Somit ist der Text immer noch aktuell, da immer mehr Menschen, aus der Familie fliehen und wegziehen oder abends erst spät nach Hause kommen, um so weniger Zeit mit der Familie zu verbringen. Deshalb ist die Kurzprosa leider auch Realität, da nun auch durch die Pandemie, viele Familien sich auseinander gelebt haben und auch Beziehungen oder sogar Ehen häufiger zu Bruch gehen, da man sich seinen Freiheiten, welche man alleine hat, nicht entbehren will und die Verpflichtungen in einer Familie somit meidet.

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