Rilke, Rainer Maria - Das Karussell (Gedichtinterpretation)

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Rainer Maria Rilke, Gedichtinterpretation, Dinggedicht, Gedichtanalyse, Referat, Hausaufgabe, Rilke, Rainer Maria - Das Karussell (Gedichtinterpretation)
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Referat

Rainer Maria Rilke – „Das Karussell – Jardin du Luxembourg“ (Analyse / Interpretation)

Das Karussell
von Rainer Maria Rilke

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.
 
Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
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nur dass er einen Sattel trägt und drüber
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ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
 
12 
Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
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und hält sich mit der kleinen heißen Hand
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dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
 
15 
Und dann und wann ein weißer Elefant.
 
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Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
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auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
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fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
19 
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –.
 
20 
Und dann und wann ein weißer Elefant.
 
21 
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
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und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
23 
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
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ein kleines kaum begonnenes Profil –.
25 
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
26 
ein seliges, das blendet und verschwendet
27 
an dieses atemlose blinde Spiel ...

(„Das Karussell“ von Rainer Maria Rilke ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (26 KB) zur Unterstützung an.)

Das Thema Kindheit ist im Dinggedicht „Das Karussell – Jardin du Luxembourg“, welches von Rainer Maria Rilke verfasst wurde und im Jahr 1906 in Paris entstanden ist, ein zentrales Thema. Wie für ein Dinggedicht typisch, wird im Gedicht ein Gegenstand thematisiert, welcher hier das Karussell ist. So wird das drehende Karussell mit seinen daran angebrachten, bunten Tieren von einem lyrischen Sprecher beschrieben, welcher zum Schluss betont, dass dieses Karussell jedoch sinnlos ist. Es lässt sich vermuten, dass sich der lyrische Sprecher durch das Karussell nostalgisch an seine Kindheit zurückerinnert und nun schließlich erkennt, dass ein die damals schönsten Dinge, wie ein Karussell, aus der Sicht eines Erwachsenen sinnlos sind. Da sich der lyrische Sprecher vermutlich in diese Fantasiewelt seiner Kindheit zurückerinnert, lässt sich das Gedicht der Strömung des Symbolismus zuordnen. Zur damaligen Zeit ist die Industrialisierung weiterhin schnell vorangeschritten, was auch zu Ungewissheit unter der Bevölkerung geführt hat. Daher hat man sich damals – wie in diesem Gedicht – gerne an frühere Zeiten vor dieser fortschreitenden Veränderung zurückerinnert.

In der ersten Strophe des Gedichts erzählt der lyrische Sprecher von einem sich drehenden Karussell und den daran festgemachten, farbigen Tieren. Im Weiteren werden auch Kinder, die auf den Tieren sitzen und mit dem Karussell fahren beschrieben, wobei mehrmals von einem weißen Elefanten die Rede ist. Unter diesen Kindern ist auch ein Mädchen, das eigentlich zu alt für dieses Karussell wirkt und dennoch auf dem Karussell ist und zum lyrischen Sprecher hinübersieht. Am Ende beschreibt der lyrische Sprecher nochmals das sich ziellos drehende Karussell und erkennt, dass es sich dabei um ein sinnloses Fahrgeschäft handelt.

Betrachtet man die Form des Gedichts, fällt zunächst die unregelmäßige Strophen- und Versform auf. So besteht das Gedicht aus fünf Strophen und zwei einzelnen Verszeilen. Die meisten Strophen umfassen zwischen drei und acht Verse. Jedoch gibt es auch zwei Verszeilen, die jeweils nur aus dem Vers „Und dann und wann ein weißer Elefant“ (V. 15 und V. 20) bestehen. Dadurch wird vermutlich verdeutlicht, dass der weiße Elefant dem lyrischen Sprecher am meisten auffällt, was nicht nur durch diese einzeilige Strophe, sondern auch deren Wiederholung deutlich wird. Vielleicht verdeutlicht diese unregelmäßige Strophen- und Versform auch die verschiedenen Tiere auf dem Karussell, die eigentlich in unterschiedlichen Gebieten leben und daher für den lyrischen Sprecher unrealistisch angeordnet wirken. Für den weiteren Verlauf dieser Analyse zähle ich die einzelnen Verszeilen der Einfachheit und Übersichtlichkeit als einzelne Strophen auf.

Wenn man das Gedicht bezüglich des Metrums untersucht, erkennt man, dass das gesamte Gedicht aus fünfhebigen Jamben besteht, wobei Vers 19 die einzige Ausnahme darstellt, da in diesem Vers eine Mischform aus mehreren Metren vorliegt. Dadurch wird der Blick dieses bereits etwas älter wirkenden Mädchen auf dem Karussell betont, das vom Karussell aus – anscheinend als Einzige der Kinder – ihre Außenwelt und den lyrischen Beobachter betrachtet. Die ansonsten durchgängig verwendeten Jamben strahlen eine gewisse Monotonie aus, die womöglich das sich monoton drehende Karussell verdeutlichen sollen.

Beim Reimschema gibt es jedoch eher wenig Regelmäßigkeiten. So besteht die erste Strophe aus zwei umarmenden Reimen, wobei sich die zwei mittleren Verse des ersten Reimschemas auch auf die umarmenden Verse des zweiten Reimschemas reimen. In den zwei nächsten Strophen, die aus jeweils drei Versen bestehen und damit eine besondere Verbindung aufweisen, reimt sich jeweils der erste Vers mit dem dritten Vers, wobei sich der zweite Vers der dritten Strophe auch mit dem alleinstehenden 15. Vers sowie 20. Vers reimt. Die fünfte und siebte Strophe besteht, ähnlich wie die erste Strophe, aus einer Mischform aus umarmender Reim und Kreuzreim. Dieses unregelmäßige Reimschema, das aber immer wiederkehrende Elemente durch die Mischung aus Kreuz- und umarmender Reim enthält, könnte dabei die Tiere des Karussells widerspiegeln, die der lyrische Sprecher durch das Drehen des Karussells nach und nach immer wieder zu Gesicht bekommt.

Die Kadenzen verhalten sich insgesamt wie das Reimschema, sodass sich reimende Verse auch die gleichen Kadenzen aufweisen. Somit ergeben sich gemischte männliche und weibliche Kadenzen, welche vermutlich die gleiche Wirkung haben sollen, wie die verschiedenen Reimschemata.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Gedicht – abgesehen vom Metrum – überwiegend unregelmäßig gestaltet ist, darin aber wiederkehrende Elemente enthält, die womöglich eine Anspielung auf das sich drehende Karussell sein sollen. Ebenfalls kommen über das gesamte Gedicht verteilt Enjambements vor, die durch den Zeilensprung kurze Sprechpausen beim Lesen verursachen und somit nicht nur bestimmte Aussagen betonen, sondern dem Gedicht auch einen gewissen Rhythmus verleihen, der vielleicht auch wieder mit dem Rhythmus des sich drehenden Karussells in Verbindung gesetzt werden kann.

Konzentriert man sich bei der Betrachtung auf die Sprache, fällt zunächst auf, dass über das gesamte Gedicht über sehr viele Farbadjektive benutzt werden, die insbesondere in Verbindung mit den Tieren, aber auch Kindern auf dem Karussell auftauchen. So ist unter anderem von einem „weiße[n] Elefant[en]“ (V. 8), aber auch von einem „blaue[n] Mädchen“ (V. 11) die Rede. Möglicherweise wurde das Gedicht auf diese Weise gestaltet, da Kinder in der Regel von Farben fasziniert sind und dem lyrischen Sprecher durch den Rückblick in dessen Kindheit diese vornehmlich auffallen. Auch erhält das Gedicht dadurch eine fantasievolle Färbung, die wiederum für die Strömung des Symbolismus typisch ist. Vielleicht sollen die Farben – vorwiegend in Bezug auf die Tiere – verdeutlichen, dass dem lyrischen Sprecher als Erwachsener auffällt, dass diese nicht lebendig sind, wie er bzw. sie es als Kind empfunden hat. Wie eingangs bereits erwähnt handelt es sich bei diesem Gedicht um ein Dinggedicht, weshalb nicht der lyrische Sprecher oder gar ein lyrisches Ich, sondern das Karussell im Mittelpunkt steht. Der lyrische Sprecher tritt dabei weitestgehend in den Hintergrund und beobachtet dieses Karussell.

Auffällig ist ebenfalls die Häufung der Konjunktion „und“, die fast durchgehend verwendet wird. Auch dies lässt sich vermutlich auf die Drehbewegung des Karussells zurückführen. Durch das „und“ wird nämlich eine Wahrnehmung unmittelbar mit einer anderen verknüpft, wie als würde man bei dem sich drehenden Karussell ein Tier nach dem anderen wahrnehmen. Die sich somit ergebenden Anaphern betonen daher vermutlich die Drehbewegung des Fahrgeschäfts.

Ferner fällt auf, dass vor allem in der ersten Strophe die Tiere des Karussells personifiziert werden. So haben „alle […] Mut in ihren Mienen“ (V. 6) und auch ein „böser roter Löwe geht“ (V. 7) auf dem Karussell mit. Durch diese Personifikation soll verdeutlicht werden, dass zwar für Erwachsene diese Tiere auf dem Karussell nur Figuren sind, für Kinder hingegen wirken sie wie echte, lebendige Tiere, insbesondere wenn sie zusätzlich leuchten oder irgendwelche Töne von sich geben.

Über das gesamte Gedicht hinweg wir ein Tier jedoch besonders hervorgehoben, nämlich der „[weiße] Elefant“ (V. 8). Dieser taucht nämlich noch an zwei weiteren Stellen als in der ersten Strophe mit dem gleichen Wortlaut, „und dann und wann ein weißer Elefant“ (V. 8), auf, wobei diese Aussage in den Versen 15 und 20 sogar alleine steht. Dieser weiße Elefant spielt für den lyrischen Sprecher also eine besonders wichtige Rolle, was unterschiedliche Gründe haben kann. Möglicherweise ist er bzw. sie als kleines Kind auch immer auf einem weißen Elefanten mitgefahren. Ebenfalls kann es auch sein, dass dieser Elefant von den anderen Tieren etwas mehr Abstand hat und deswegen die Verse, in denen der weiße Elefant vorkommt, auch alleine stehen.

In der zweiten Strophe ist dann zusätzlich noch von einem Hirsch die Rede. Durch die Parenthese „ganz wie im Wald“ (V. 9) wird wieder einmal verdeutlicht, wie realistisch die Tiere – insbesondere für Kinder – aussehen. Auch ist der Wald gleichzeitig ein märchenhafter Ort, was in Kombination mit den Farbadjektiven vermutlich die Fantasiewelt widerspiegeln soll.

In der dritten Strophe zeigt sich außerdem die Alliteration „Zähne zeigt und Zunge“ (V. 14). Dadurch wird deutlich, dass die Figuren auf dem Karussell sehr detailliert gestaltet wurden und dadurch den Löwen nicht nur lebendig, sondern vielleicht sogar ein wenig bedrohlich wirken lassen.

Ein Mädchen wird dann in der fünften Strophe beschrieben, das dem Karussell „fast schon entwachsen“ (V. 18) ist. Dennoch fährt es auf dem Karussell und nimmt ihre Außenwelt wahr, weil sie vom Karussell aufschaut (vgl. V. 19). Wie das Metrum bereits angedeutet hat, ist dieser Vers von essenzieller Bedeutung. Es scheint, als wäre dieses Mädchen das Bindeglied zwischen der Kinderwelt und der Erwachsenenwelt. Während die Kinder ohne ihre Außenwelt zu betrachten auf dem Karussell fahren und die meisten Erwachsenen hingegen vermutlich dabeistehen und „nur“ zuschauen, kann man das Mädchen zwischen diesen beiden Welten einordnen. Sie fährt zwar ebenfalls auf dem Karussell, beobachtet jedoch gleichzeitig ihre Umgebung. Daraus lässt sich schließen, dass sie womöglich bald älter und sogar in nicht allzu weiter Zukunft auch erwachsen wird und bereits die Verhaltensweisen dieser unbewusst nachahmt. Passend dazu ändert sich dann auch die Beobachtungsweise des lyrischen Sprechers. Zu Beginn des Gedichts beschreibt er alles recht kindlich, aber gegen Ende des Gedichts ändert sich dies wieder. Es scheint, als wäre der lyrische Sprecher aus seinem nostalgischen Rückblick an seine Kindheit wieder „aufgewacht“ und sieht daraufhin das Karussell aus der erwachsenen Sichtweise. Nicht nur erkennt er bzw. sie, dass das Karussell „kein Ziel“ (V. 22) hat, sondern auch ein „atemlose[s] blinde[s] Spiel“ (V. 27) ist. Dadurch wird betont, dass obwohl für Kinder die Tiere auf dem Karussell wirklichkeitsnah wirken, diese für einen Erwachsenen jedoch lediglich unechte Figuren sind. Zwar haben solche Fahrgeschäfte dem lyrischen Sprecher vermutlich selbst, als dieser ein Kind war, auch gefallen, da es ihm bzw. ihr auch Freude gebracht hat (vgl. V. 25). Jedoch erkennt der lyrische Sprecher, da er jetzt vermutlich älter geworden ist, dass ein Karussell – aus der erwachsenen Sichtweise – eine reine Verschwendung ist (vgl. V. 26).

Der Titel „Das Karussell“ ist treffend gewählt, da ausschließlich dieses Fahrtgeschäft in diesem Dinggedicht beschrieben wird. Durch den Untertitel „Jardin du Luxembourg“ lässt sich dabei auf den Entstehungsort des Gedichts schließen, da dies ein Pariser Park mit Kinderspielplatz ist.

Abschließend lässt sich sagen, dass der lyrische Sprecher vermutlich durch das Karussell eine Rückblende in seine Kindheit erlebt. So wird er bzw. sie sozusagen wieder kurz zu einem Kind und nimmt auch das Karussell wieder so wahr, wie er bzw. sie es vermutlich als Kind gemacht hat. Als dem lyrischen Sprecher dann das ältere Mädchen auffällt, das ihn anschaut, wird er sozusagen wieder zum Erwachsenen. Obwohl ihm bzw. ihr das Karussell früher auch Freude bereitet hat, erkennt er, dass es in Wirklichkeit nur eine Zeitverschwendung ist und somit jedes Lachen, das ihm/ihr das Karussell auf das Gesicht gezaubert hat, auch nur eine Verschwendung ist (vgl. V. 26).

Es lässt sich festhalten, dass das Gedicht die meisten Merkmale der Strömung des Symbolismus erfüllt und somit doch recht deutlich dieser Epoche zugeordnet werden kann. Auch die eingangs erwähnte Deutungshypothese, dass sich der lyrische Sprecher an seine Kindheit zurückerinnert, kann unter Berücksichtigung des Vorangegangen affirmiert werden. Möglicherweise zeigt sich dabei auch eine Parallele zum geschichtlichen Hintergrund, da sich viele Menschen aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung auch gerne an frühere Zeiten zurückerinnert haben, als diese industrielle Entwicklung noch nicht so ungewiss war. Dies lässt sich jedoch nur vermuten.

Auch dem lyrischen Sprecher ist in der Situation, als er bzw. sie das Karussell gesehen hat, womöglich wieder das Zitat „Genieß deine Kindheit so lange du kannst!“ in den Kopf gekommen und hat sich deshalb an die schöne damalige Zeit zurückerinnert.

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