Gryphius, Andreas - Abend (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Andreas Gryphius, Analyse, Sonett, Barock, Referat, Hausaufgabe, Gryphius, Andreas - Abend (Gedichtinterpretation)
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

Gedichtinterpretation: „Abend“ von Andreas Gryphius (1616-1664)

Abend
von Andreas Gryphius

Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
Und führt die Sternen auff. Der Menschen müde Scharen
Verlassen feld und werck / Wo Thier und Vögel waren
Trawert itzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan!
 
Der port naht mehr und mehr sich / zu der glieder Kahn.
Gleich wie diß licht verfiel / so wird in wenig Jahren
Ich / du / und was man hat / und was man siht / hinfahren.
Diß Leben kömmt mir vor alß eine renne bahn.
 
Laß höchster Gott mich doch nicht auff dem Lauffplatz gleiten
10 
Laß mich nicht ach / nicht pracht / nicht lust / nicht angst verleiten.
11 
Dein ewig heller glantz sei vor und neben mir /
 
12 
Laß / wenn der müde Leib entschläfft / die Seele wachen /
13 
Und wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen /
14 
So reiß mich auß dem thal der Finsterniß zu dir.

(„Abend“ von Andreas Gryphius ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.6 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius thematisiert das Leben. Es beschreibt die Schnelligkeit und des Lebens und vergleicht es mit einem Abend.

Das Gedicht besteht aus zwei vierzeiligen Strophen, Quartetten und zwei dreizeiligen Strophen. Es ist somit ein Sonett. Die Reimform ist für die ersten beiden Strophen umarmend: abba, für die dritte Strophe ccd und für die letzte Strophe eed.

Die Taktreihe ist jambisch mit zwölf Silben und einer deutlichen Diärese (Einschnitt im Vers, an dem das Ende des Wortes und des Versfußes, der rhythmischen Einheit, zusammenfallen) nach der dritten Hebung. Es handelt sich somit um den Alexandrinerstil.

Die Reime sind alle reine Reime und oft zweisilbig (Scharen-waren). Es gibt jedoch auch Reime, bei denen die Reimwörter unterschiedlich-silbig sind (Fahn-vertan, Kahn-Rennebahn, gleiten-verleiten), einsilbige Reime (mir-Dir), sodass kein durchgehender Stil zu erkennen ist.

Das Gedicht enthält eine Anrede im dritten Vers der zweiten Strophe (Ich, du). Das lyrische Ich wendet sich vom Leser weg und spricht zu Gott (3./4. Strophe).

Außerdem sind mehrere Metaphern in den Strophen enthalten (Port = Tod, Glieder Kahn = der eigene Körper). Selbst die Überschrift hat eine metaphorische Aufgabe. Der Abend beschreibt hier mehr den Lebensabend, d.h. die Zeit kurz vor dem Tod.

Der Abend ist in diesem Gedicht personifiziert. Er spricht zu dem Leser und zu Gott. Der Abend hat jedoch im ganzen Gedicht die Bedeutung eines Menschen, der über das Leben redet. Der Hauptvergleich des Gedichtes vergleicht das Leben mit einer Rennbahn (Vers 3 Strophe 2). Gryphius verwendet in diesem Gedicht viele Bilder, die der Leser erst nach genauem hinsehen verstehen kann.

Die Thematik des Gedichtes ist das Leben. Nach einem arbeitsreichen Tag verlassen die Menschen das Feld. Die Sonne geht unter und der Abend bricht an. Dieser „Sonnenuntergang“ wird mit dem Tod verglichen. Das Leben vergeht sehr schnell.

In den letzten dreizeiligen Strophen wird direkt Gott vom „Abend“ (Personifikation) angesprochen. Gott soll verhindern, dass die Schnelllebigkeit des Tages und somit des Lebens Überhand gewinnt. Die letzte Strophe ist schließlich der direkte Aufruf an Gott, wenn der Körper alt wird und der letzte Abend vergeht, die Person zu erlösen und aus der Welt der Nacht (Tal der Finsternis) zu ihm in das Paradies zu nehmen.

Der erste Aspekt des Gedichtes behandelt das Leben der Menschen. Der Mensch arbeitet um zu leben. Nach dem Tag und der verrichteten Arbeit geht er zu Ruh und schläft, bis der nächste Tag anbricht. Die letzte Aussage der ersten Strophe ist: „Wie ist die Zeit vertan!“. Diese Aussage entspricht einer eindeutigen Deutung des vorher beschrieben Lebens der Menschen. Nicht etwa das Leben der Menschen sei vertan, vielmehr die Zeit, die diese, mit schlafen verschwenden. Die Aussage, dass das Leben sehr schnell vergeht, wie eine Rennbahn zieht sich durch das gesamte Gedicht. In der zweiten Strophe wird der Abend des Tages mit dem Tod verglichen.

„Gleich wie dieses Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
Ich, du, und was man hat und was man sieht, hinfahren.“

Das Leben des Menschen ist also so kurz wie ein Tag und der Abend beschreibt den Lebensabend. Die Nacht ist der Tod. Das einzelne menschliche Leben erscheint in diesem Vergleich unwichtig. Es gibt viele Tage, wie es viele Menschen gibt. Viele Abende heißt viele Lebensabende und der Tod ist häufig, jeden Tag. Doch ein Tag kann einen Unterschied machen und viel verändern, genau wie es ein einziger Mensch machen kann.

Ein anderer Aspekt ist, „was man hat und was man sieht“. Die könnte die Naivität des Menschen bedeuten, die Vergänglichkeit seines Tuns und seines Schaffens. Viele Menschen bemühen sich ihr ganzes Leben lang, ein möglich großes materielles Vermögen anzuhäufen. Doch wie man so schön sagt, hat das letzte Hemd keine Taschen. Ebendies beschreibt dieser Vers. Egal was man hat, es wird hinfahren. Dies weist wieder auf die vertane Zeit hin. Anstatt möglichst viel Vermögen zu machen, sollte der Mensch sein knappes Leben mit nützlicherem und sinnvollerem verbringen.

Der bedeutendste Vergleich des gesamten Gedichtes ist, dass das Leben wie eine Rennbahn ist. Nach der Beschreibung der Tatsachen und Umstände geht der Dichter in den letzten beiden Strophen auf einen direkten Anruf an Gott ein. Es ist ein Flehen des Abends und somit des Menschen, dass er (Gott) ihn eben nicht auf diesen Laufplatz, die Rennbahn schickt. Es handelt sich hier jedoch höchstwahrscheinlich nicht um eine Verneinung des Lebens, sondern um die Bitte an Gott, die Kurzlebigkeit zu verhindern.

Auch die letzte Strophe ist eine Bittstellung an Gott. So möchte der Protagonist, der Abend bzw. der Mensch, aus dem Tal der Finsternis herausgerissen werden. Gott soll außerdem die Seele wachen lassen, wenn der Körper vergeht.

Es handelt sich bei dieser Bittstellung wohl um das Flehen, in den Himmel und nicht etwa in das Fegefeuer oder sogar die Hölle zu kommen. Das Tal der Finsternis ist nicht etwa die Metapher für das Leben, wie man es als erstes denken mag, sondern eine Metapher für die Nacht, also den Tod. Nach dem Abend kommt die Nacht und diese ist dunkel, also finster.

Das Gedicht beschreibt einerseits eine Negation des Lebens, da dieses zu kurz scheint, um grundlegende Ergebnisse zu erreichen, andererseits einen unerschütterlichen Glauben an Gott. Die Religiosität des Gedichtes ist typisch für die Zeit, in der es geschrieben wurde. Das Gedicht scheint den Versuch zu machen, dem Leser zu zeigen, dass wir alle nur Geschöpfe Gottes sind und dass wir gegenüber ihm nur eine sehr kurze und wohl ziemlich unwichtige Erscheinung sind.

Ich finde das Gedicht im Prinzip gar nicht schlecht. Anerkennend ist auf jeden Fall der intelligente (Argumentation) Aufbau des Gedichtes. Die Aussage, dass das Leben sehr kurz ist und keine Zeit mit unwichtigen Dingen zu verschwenden sei, liegt nahe. Auch die Bilder und Metaphern des Gedichtes sind äußerst gut gewählt. Das einzig Anstößige für mich ist nur wieder die Religiosität. Sicherlich ist sie typisch für die Zeit, in der das Gedicht geschrieben wurde, allerdings verliert es dadurch bei mir an Seriosität. Es gibt jedoch viele Gedichte, in dem die Religiosität noch mehr auf die Spitze getrieben ist, sodass dieses Gedicht noch in einem erträglichen Rahmen liegt. Ohne die aufdringliche Religiosität würde mir das Gedicht jedoch mehr zusagen und wesentlich besser gefallen.

Zurück