Auf einer Heide geschrieben von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Wohl mir! daß ich den Schwarm der Toren nimmer |
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erblicke, |
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Daß jetzt unumwölkter der Blick zu den Lüften |
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emporschaut, |
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Freier atmet die Brust dann in den Mauren des |
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Elends, |
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Und den Winkeln des Trugs. O! schöne, selige |
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Stunde! |
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Wie getrennte Geliebte nach langentbehrter |
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Umarmung |
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In die Arme sich stürzen, so eilt ich herauf auf die |
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Heide, |
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Mir ein Fest zu bereiten auf meiner einsamen Heide. |
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Und ich habe sie wieder gefunden, die stille Freuden |
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Alle wieder gefunden, und meine schattigten Eichen |
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Stehn noch eben so königlich da, umdämmern die |
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Heide |
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Noch in alten stattlichen Reihn, die schattigten |
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Eichen. |
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Jedesmal wandelt an meinen tausendjährigen Eichen |
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Mit entblößtem Haupt der Jäger vorüber, dann also |
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Heischet die ländliche Sage; denn unter den |
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stattlichen Reihen |
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Schlummern schon lange gefallene Helden der |
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eisernen Vorzeit. |
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Aber horch! was rauschet herauf im schwarzen |
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Gebüsche? |
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Bleibe ferne! Störer des Sängers! - aber siehe, |
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Siehe! - wie herrlich! wie groß! ein hochgeweihetes |
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Hirschheer |
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Wandelt langsam vorüber - hinab nach der Quelle des |
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Tales. |
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O! jetzt kenn ich mich wieder, der menschenhassende |
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Trübsinn |
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Ist so ganz, so ganz aus meinem Herzen |
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verschwunden. |
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Wär ich doch ewig fern von diesen Mauren des |
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Elends, |
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Diesen Mauren des Trugs! - Es blinken der |
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Riesenpaläste |
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Schimmernde Dächer herauf, und die Spitzen der |
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alternden Türme, |
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Wo so einzeln stehn die Buchen und Eichen; es tönet |
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Dumpf vom Tale herauf das höfische Wagengerassel |
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Und der Huf der prangenden Rosse - - Höflinge! |
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bleibet, |
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Bleibet immerhin in eurem Wagengerassel, |
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Bückt euch tief auf den Narrenbühnen der |
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Riesenpaläste, |
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Bleibet immerhin! - Und ihr, ihr Edlere, kommet! |
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Edle Greise und Männer, und edle Jünglinge, |
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kommet! |
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Laßt uns Hütten baun - des echten germanischen |
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Mannsinns |
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Und der Freundschaft Hütten auf meiner einsamen |
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Heide. |
Details zum Gedicht „Auf einer Heide geschrieben“
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283
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das Gedicht, „Auf einer Heide geschrieben“, stammt vom deutschen Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin, der von 1770 bis 1843 lebte. Demnach lässt es sich zeitlich der Romantik bzw. dem beginnenden 19. Jahrhundert zuordnen.
Beim ersten Lesen des Gedichts fällt die harmonische und idyllische Beschreibung der Natur auf. Die Heide wird als Ort der Zuflucht und inneren Ruhe dargestellt, weg von dem Trug und Elend der Gesellschaft. Es wird ein starkes Verlangen nach einem einfacheren und naturnahen Leben deutlich.
Im Inhalt des Gedichts schildert das lyrische Ich seine Freude und Erleichterung, von den „Narren“, den unwissenden Menschen und der Gesellschaft, distanziert zu sein. Es schildert, wie sein Blick ungetrübt in den Himmel schauen und seine Brust freier atmen kann. Diese Freiheit und Unbeschwertheit spiegeln das Bedürfnis des lyrischen Ichs nach Unabhängigkeit und Abgeschiedenheit wider. Die Heide wird als Ort beschrieben, an dem das lyrische Ich seine „stillen Freuden“ und „schattigten Eichen“ wiederfindet. Durch den Vergleich der Wiedervereinigung mit der Natur mit der Umarmung vermisster Geliebter wird die starke emotionale Bindung zum Ausdruck gebracht. Zudem werden kulturelle und historische Aspekte mit der Erwähnung der Helden der Vorzeit und dem ländlichen Brauchtum angesprochen. Der Kontrast zwischen der lebendigen, wilden Natur und den blinkenden Palästen und Türmen verdeutlicht die Kritik am gesellschaftlichen Trubel und Oberflächlichkeit.
Form und Sprache des Gedichts zeichnen sich durch eine gemäßigte und anmutige Ausdruckskraft aus. Es herrscht ein regelmäßiges Versmaß, was zur harmonischen Atmosphäre des Gedichts beiträgt. Die Natur wird mit einer genauen und bildstarken Sprache dargestellt, das Stadtleben hingegen mit abwertenden und abweisenden Begriffen wie „Mauern des Elends“ und „Wagengerassel“. Die Wahl von Worten wie „Helden“, „Stürzen“, „Sänger“ oder „Sage“ gibt dem Gedicht eine epische und dramatische Note. Über allem schwingt ein Aufruf zur Rückkehr zur Natur und zur Einfachheit des Lebens mit. Die Heide wird zum Symbol eines ursprünglichen, einfachen und ehrlichen Lebensstils. Abschließend lädt das lyrische Ich dazu ein, gemeinsam Hütten auf der Heide zu bauen und auf diese Weise ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Dieser Aufruf verleiht dem Gedicht letztlich eine utopische und idealistische Dimension - ein charakteristischer Zug der Romantik.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Auf einer Heide geschrieben“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 283 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 56 Versen. Die Gedichte „An Ihren Genius“, „An die Deutschen“ und „An die Parzen“ sind weitere Werke des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Zum Autor des Gedichtes „Auf einer Heide geschrieben“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 181 Gedichte vor.
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