Die Teck von Johann Christian Friedrich Hölderlin

Ah! so hab ich noch die Traubenhügel erstiegen,
Ehe der leuchtende Strahl an der güldenen Ferne
hinabsinkt.
Und wie wohl ist mir! Ich streck im stolzen Gefühle
Als umschlänge mein Arm das Unendliche - auf zu
den Wolken
Meine gefaltete Hände, zu danken im edlen Gefühle,
Daß er ein Herz mir gab, dem Schaffer der edlen
Gefühle.
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Mich mit den Frohen zu freuen, zu schauen den
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herbstlichen Jubel,
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Wie sie die köstliche Traube mit heiterstaunendem
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Blicke
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Über sich halten, und lange noch zaudern, die
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glänzende Beere
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In des Kelterers Hände zu geben - wie der gerührte
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Silberlockigte Greis an der abgeernteten Rebe
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Königlich froh zum herbstlichen Mahle sich setzt mit
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den Kleinen,
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O! und zu ihnen spricht aus der Fülle des dankenden
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Herzens:
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Kinder! am Segen des Herrn ist alles, alles gelegen
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Mich mit den Frohen zu freuen, zu schauen den
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herbstlichen Jubel,
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War ich herauf von den Hütten der gastlichen
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Freundschaft gegangen.
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Aber siehe! allmächtig reißen mich hin in ernste
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Bewundrung
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Gegenüber die waldigte Riesengebirge. - Laß mich
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vergessen,
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Laß mich deine Lust, du falbigte Rebe, vergessen,
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Daß ich mit voller Seele sie schaue, die
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Riesengebirge!
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Ha! wie jenes so königlich über die Brüder
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emporragt!
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Teck ist sein Name. Da klangen einst Harnische,
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Schwerder ertönten
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Zwischen den moosigten Mauren der Fürsten und
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blinkende Helme.
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Eisern waren und groß und bieder seine Bewohner.
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Mit dem kommenden Tag stand über den moosigten
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Mauren
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In der ehernen Rüstung der Fürst, sein Gebirge zu
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schauen.
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Mein dies Riesengebirge - so stolz - so königlich
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herrlich - ?
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Sprach er mit ernsterer Stirne, mit hohem, denkendem
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Auge
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Mein die trotzende Felsen? die tausendjährige
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Eichen?
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Ha! und ich? - und ich? - bald wäre mein Harnisch
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gerostet,
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O! der Schande! mein Harnisch gerostet in diesem
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Gebirge.
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Aber ich schwör - ich schwör, ich meide mein
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Riesengebirge,
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Fliehe mein Weib, verlasse das blaue redliche Auge,
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Bis ich dreimal gesiegt im Kampfe des Bluts und der
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Ehre.
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Trage mich mein Roß zu deutscher stattlicher Fehde
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Oder wider der Christenfeinde wütende Säbel
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Bis ich dreimal gesiegt, verlaß ich das stolze Gebirge.
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Unerträglich! stärker als ich, die trotzende Felsen,
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Ewiger, als mein Name, die tausendjährige Eichen!
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Bis ich dreimal gesiegt, verlaß ich das stolze Gebirge.
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Und er ging und schlug, der feurige Fürst des
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Gebirges.
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Ja! so erheben die Seele, so reißen sie hin in
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Bewundrung,
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Diese felsigte Mitternachtswälder, so allerschütternd
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Ist sie, die Stunde, da ganz es fühlen, dem Herzen
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vergönnt ist.
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Bringet ihn her, den frechen Spötter der heilsamen
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Wahrheit,
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O! und kommet die Stunde, wie wird er staunen, und
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sprechen:
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Wahrlich! ein Gott, ein Gott hat dieses Gebirge
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geschaffen.
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Bringet sie her, des Auslands häßlich gekünstelte
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Affen,
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Bringet sie her, die hirnlos hüpfende Puppen, zu
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schauen
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Dieses Riesengebirge so einfach schön, so erhaben;
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O und kommet die Stunde, wie werden die Knaben
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erröten,
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Daß sie Gottes herrlichstes Werk so elend verzerren.
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Bringet sie her, der deutschen Biedersitte Verächter,
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Übernachtet mit ihnen, wo Moder und Disteln die
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graue
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Trümmer der fürstlichen Mauern, der stolzen Pforten
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bedecken,
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Wo der Eule Geheul, und des Uhus Totengewimmer
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Ihnen entgegenruft aus schwarzen, sumpfigten
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Höhlen.
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Wehe! wehe! so flüstern im Sturme die Geister der
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Vorzeit,
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Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
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Ritterwort, und Rittergruß, und traulicher
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Handschlag!
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Laßt euch mahnen, Suevias Söhne! Die Trümmer der
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Vorzeit!
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Laßt sie euch mahnen! Einst standen sie hoch, die
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gefallene Trümmer,
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Aber ausgetilget ward der trauliche Handschlag,
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Ausgetilget das eiserne Wort, da sanken sie gerne,
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Gerne hin in den Staub, zu beweinen Suevias Söhne.
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Laßt sie euch mahnen, Suevias Söhne! die Trümmer
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der Vorzeit!
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Beben werden sie dann, der Biedersitte Verächter,
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Und noch lange sie seufzen, die fallverkündende
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Worte
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Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!
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Aber nein! nicht ausgetilget ist biedere Sitte,
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Nicht ganz ausgetilget aus Suevias friedlichen
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Landen
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O mein Tal! mein Teckbenachbartes Tal! - ich
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verlasse
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Mein Gebirge, zu schauen im Tale die Hütten der
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Freundschaft.
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Wie sie von Linden umkränzt bescheiden die
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rauchende Dächer
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Aus den Fluren erheben, die Hütten der biederen
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Freundschaft.
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O ihr, die ihr fern und nahe mich liebet, Geliebte!
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Wärt ihr um mich, ich drückte so warm euch die
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Hände, Geliebte
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Jetzt, o! jetzt über all den Lieblichkeiten des Abends.
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Schellend kehren zurück von schattigten Triften die
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Herden,
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Und fürs dritte Gras der Wiesen, im Herbste noch
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fruchtbar,
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Schneidend geklopfet ertönt des Mähers blinkende
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Sense.
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Traulich summen benachbarte Abendglocken
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zusammen,
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Und es spielet der fröhliche Junge dem lauschenden
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Mädchen
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Zwischen den Lippen mit Birnbaumblättern ein
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scherzendes Liedchen.
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Hütten der Freundschaft, der Segen des Herrn sei über
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euch allen!
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Aber indessen hat mein hehres Riesengebirge
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Sein gepriesenes Haupt in nächtliche Nebel verhüllet,
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Und ich kehre zurück in die Hütten der biederen
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Freundschaft.

Details zum Gedicht „Die Teck“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
145
Anzahl Wörter
771
Entstehungsjahr
1770 - 1843
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Teck“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, der von 1770 bis 1843 lebte. Hölderlin gilt als einer der bedeutendsten lyrischen Dichter Deutschlands und sein Werk kann der Epoche der Romantik zugeordnet werden.

Beim ersten Lesen des langen Gedichts kann man vor allem eine intensive und bildgewaltige Beschreibung der Natur wahrnehmen, insbesondere einer hügeligen Landschaft und eines Gebirges, das offenbar von großer Bedeutung für das lyrische Ich ist.

Inhaltlich startet das Gedicht mit der Beschreibung einer Weinlese mit herbstlichem und freudigem Flair, das das lyrische Ich positiv berührt. Doch wendet sich seine Aufmerksamkeit bald dem gegenüberliegenden Riesengebirge zu, das es in tiefe Bewunderung versetzt. Hier wird insbesondere die Burgruine Teck hervorgehoben, die dem Gedicht seinen Namen gibt. Hölderlin beschreibt in der Mitte des Gedichts eine historische Episode, in der der Fürst der Burg Teck sein Land verlässt, um seine Stärke im Kampf und dadurch seine Würde zu beweisen.

Das lyrische Ich fordert dann, die Spötter und Verächter der Natur und der „deutschen Biedersitte“ ebenfalls in die Berge zu bringen, um sie von der Erhabenheit der Natur und der Geschichte, die in den Ruinen der Burgen versteckt liegt, überzeugen zu können. In diesen Passagen besteht eine starke Kritik an den Veränderungen in der Gesellschaft und dem Verlust alter Werte und Traditionen.

Gegen Ende des Gedichts kehrt das lyrische Ich aus den Erinnerungen und Vorstellungen rund um das Gebirge und die Ruinen zurück und wendet sich wieder der eher pastoralen Szene des Tales zu und begrüßt seine „Freundschaftshütten“. Schließlich kehrt es zu den Menschen zurück, doch das Gebirge mit seiner mythisch aufgeladenen Vergangenheit bleibt immer ein wichtiger Bezugspunkt.

Formal liegt das Gedicht in freien Versen vor, es gibt also kein striktes Reimschema. Die Sprache ist pathetisch und weist zahlreiche bildliche und symbolträchtige Ausdrücke auf, darunter metaphorische Bezeichnungen für Naturphänomene und das Gebirge. Viele Passagen sind in direkte Rede eingefügt, um dramatische Szenen zu konstruieren und zu intensivieren.

Insgesamt ist „Die Teck“ ein hoch emotionales und komplexes Gedicht, das die Natur und Geschichte in den Vordergrund stellt, aber auch tiefere Gedanken und Kritik an gesellschaftlichen Veränderungen und Werteverlusten beinhaltet.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Teck“ ist Johann Christian Friedrich Hölderlin. Der Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin wurde 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 145 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 771 Worte. Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Schicksal“, „Das Unverzeihliche“ und „Dem Genius der Kühnheit“. Zum Autor des Gedichtes „Die Teck“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.

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