An Thills Grab von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Der Leichenreihen wandelte still hinan, |
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Und Fackelnschimmer schien auf des Teuren Sarg, |
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Und du, geliebte, gute Mutter! |
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Schautest entseelt aus der Jammerhütte, |
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Als ich, ein schwacher, stammelnder Knabe noch, |
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O Vater! lieber Seliger! dich verlor, |
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Da fühlt ichs nicht, was du mir warst, doch |
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Mißte dich bald der verlaßne Waise. |
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So weint ich leisen Knabengefühles schon, |
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Der Wehmut Träne über dein traurig Los, |
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Doch jetzt, o Thill! jetzt fühl ichs ernster, |
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Schmerzender jetzt über deinem Hügel, |
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Was hier im Grab den Redlichen Suevias |
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Verwest, den himmelnahenden Einsamen. |
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Und, o mein Thill ! du ließst sie Waisen? |
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Eiltest so frühe dahin, du Guter? |
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Ihr stille Schatten seines Holunderbaums! |
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Verbergt mich, daß kein Spötter die Tränen sieht |
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Und lacht, wann ich geschmiegt an seinen |
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Hügel die bebenden Wangen trockne. |
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O wohl dir! wohl dir, Guter! du schläfst so sanft |
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Im stillen Schatten deines Holunderbaums. |
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Dein Monument ist er, und deine |
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Lieder bewahren des Dorfes Greisen. |
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O daß auch mich dein Hügel umschattete |
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Und Hand in Hand wir schliefen, bis Ernte wird, |
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Da schielten keine Vorurteile, |
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Lachte kein Affe des stillen Pilgers. |
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O Thill! Ich zage, denn er ist dornenvoll, |
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Und noch so fern, der Pfad zur Vollkommenheit; |
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Die Starken beugen ja ihr Haupt, wie |
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Mag ihn erkämpfen der schwache Jüngling? |
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Doch nein! ich wags! es streitet zur Seite ja |
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Ein felsentreuer, mutiger Bruder mir. |
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O freut euch, selige Gebeine! |
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Über dem Namen! Es ist - mein Neuffer. |
Details zum Gedicht „An Thills Grab“
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234
1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin, geboren im Jahre 1770 und verstorben 1843, schrieb das elegisch-traurige Gedicht „An Thills Grab“. Die genaue Entstehungszeit ist nicht bekannt, aber Hölderlins aktivsten Schaffensperioden waren das Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts.
Das Gedicht strahlt auf den ersten Blick eine melancholische Stimmung aus, was durch die Trauerthematik und den Setting in einem Friedhof noch verstärkt wird.
Inhaltlich handelt das Gedicht vom Verlust einer geliebten Person, nämlich Thill - einem Vaterfigur und Mentor für das lyrische Ich. Dieser Verlust wird in den ersten zwei Strophen thematisiert. Der Tod hat das lyrische Ich als Kind getroffen, damals konnte es das Ausmaß nicht vollständig begreifen. Die Trauer ist aber in der Gegenwart noch präsent und sogar intensiver geworden (3. Strophe). Thill ist als „Redlicher“ und „Einsamer“ charakterisiert, dessen Tod die ihm nahestehenden Menschen zu Waisen machte (4. Strophe). Das lyrische Ich sucht Zuflucht unter Thills Holunderbaum, um ungehindert trauern zu können (5. und 6. Strophe). Der Wunsch des lyrischen Ichs, zusammen mit Thill im Tod vereinigt zu sein, wird in Strophe 7 formuliert, während in der 8. Strophe die Schwierigkeit des Pfades zur Vollkommenheit betont wird. Schließlich schließt das Gedicht mit der Hoffnung auf Unterstützung durch einen „mutigen Bruder“ (9. Strophe).
Das Gedicht besteht aus neun vierzeiligen Strophen und folgt einem strengen Reimschema (Kreuzreim). Auffällig sind die altertümliche Sprache und der pathetische Tonfall, welcher in den Werken Hölderlins häufig anzufinden sind. Langgezogene Satzstrukturen und Enjambements verleihen dem Gedicht einen fließenden, sprachmelodischen Rhythmus.
Das lyrische Ich in diesem Gedicht steht für Hölderlin selbst. Thill könnte ein alter Freund oder Mentor sein, dessen Tod der Dichter betrauert. Die Intensität der Gefühle zeigt die tiefe Bindung zwischen dem lyrischen Ich und Thill. Zudem könnte die Erwähnung des „schwachen Jünglings“ und des „mutigen Bruders“ auf Hölderlins eigene Lebenssituation hinweisen und seine Hoffnungen und Ängste reflektieren.
Insgesamt ist „An Thills Grab“ ein ausdrucksstarkes und emotionales Gedicht, das die Tiefe des menschlichen Verlustes und der Trauer sowie die Suche nach Trost und Gemeinschaft in Zeiten von Schwierigkeiten und seelischem Leid zum Ausdruck bringt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An Thills Grab“ des Autors Johann Christian Friedrich Hölderlin. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. In der Zeit von 1786 bis 1843 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 234 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Deutschen“, „An die Parzen“ und „An die jungen Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „An Thills Grab“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 181 Gedichte vor.
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