Einst und jetzt von Johann Christian Friedrich Hölderlin
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Einst, tränend Auge! sahst du so hell empor! |
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Einst schlugst du mir so ruhig, empörtes Herz! |
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So, wie die Wallungen des Bächleins, |
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Wo die Forell am Gestade hinschlüpft. |
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Einst in des Vaters Schoße - des liebenden, |
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Geliebten Vaters - aber der Würger kam, |
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Wir weinten, flehten, doch der Würger |
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Schnellte den Pfeil; und es sank die Stütze! |
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Ha! du gerechte Vorsicht! so bald begann |
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Der Sturm, so bald? - Doch - straft mich des |
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Undanks nicht, |
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Ihr Stunden meiner Knabenfreude, |
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Stunden des Spiels und des Ruhelächelns! |
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Ich seh euch wieder - herrlicher Augenblick! |
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Da füttert ich mein Hühnchen, da pflanzt ich Kohl |
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Und Nelken - freute so des Frühlings |
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Mich und der Ernt, und des Herbstgewimmels. |
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Da sucht ich Maienblümchen im Walde mir, |
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Da wälzt ich mich im duftenden Heu umher, |
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Da brockt ich Milch mit Schnittern ein, da |
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Schleudert ich Schwärmer am Rebenberge. |
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Und o! wie warm, wie hing ich so warm an euch |
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Gespielen meiner Einfalt, wie stürmten wir |
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In offner Feldschlacht, lehrten uns den |
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Strudel durchschwimmen, die Eich ersteigen! |
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Jetzt wandl ich einsam an dem Gestade hin, |
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Ach keine Seele, keine für dieses Herz? |
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Ihr frohen Reigen? Aber weh dir, |
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Sehnender Jüngling! sie gehn vorüber! |
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Zurück denn in die Zelle, Verachteter! |
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Zurück zur Kummerstätte, wo schlaflos du |
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So manche Mitternächte weintest, |
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Weintest im Durste nach Lieb und Lorbeer. |
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Lebt wohl, ihr güldnen Stunden vergangner Zeit, |
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Ihr lieben Kinderträume von Größ und Ruhm, |
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Lebt wohl, lebt wohl, ihr Spielgenossen, |
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Weint um den Jüngling, er ist verachtet! |
Details zum Gedicht „Einst und jetzt“
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1770 - 1843
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht namens „Einst und jetzt“ wurde von Johann Christian Friedrich Hölderlin verfasst, einem deutschen Dichter der Romantik, der von 1770 bis 1843 lebte. Die zeitliche Einordnung zwischen dem Spätbarock und der Moderne ist eine hochgradig emotionale und intellektuell intensive Epoche, die sich durch große Veränderungen in der Gesellschaft und in den Künsten auszeichnete.
Auf den ersten Eindruck weckt das Gedicht eine Stimmung der Melancholie, Nostalgie und Sehnsucht. Der Titel „Einst und jetzt“ deutet bereits auf einen Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin, der innerhalb des Gedichts vertieft wird.
Inhaltlich erzählt das lyrische Ich von seiner nostalgischen Vergangenheit und der schmerzhaften Gegenwart. Es erinnert sich an die Unschuld und Freude seiner Kindheit, die durch den Tod des „geliebten Vaters“ jäh beendet wurde. Die aufgewühlte und schmerzerfüllte Gegenwart des lyrischen Ichs steht in starkem Kontrast zu seiner verklärten Vergangenheit. Es drückt seine tief empfundene Einsamkeit und Verzweiflung aus und sehnt sich nach „Lieb und Lorbeer“, die Symbole für Liebe und Ruhm darstellen.
Die Form des Gedichts ist klassisch, bestehend aus neun Strophen mit jeweils vier Versen, bis auf die dritte Strophe, die aus fünf Versen besteht. Der Stil ist typisch für Hölderlins Schreibweise, die sich durch einen stark emotionalen Ton und den Gebrauch bildhafter Sprache auszeichnet. Es ist voll von Metaphern und Gleichnissen, wie „Wallungen des Bächleins“ oder „zur Kummerstätte“, die die verborgenen Gefühle und Gedanken des lyrischen Ichs verdeutlichen.
In Bezug auf die Sprache finden sich in Hölderlins Werk oft archaische oder veraltete Worte und Ausdrücke, die seiner Poesie eine gewisse zeitlose Qualität verleihen. Die direkte Ansprache des lyrischen Ichs an die Erinnerungen seiner Vergangenheit und dessen Sehnsucht nach der verlorenen Unschuld und der Freude seiner Kindheit, wird durch die intensive Verwendung von Ausrufen, Fragen und Anreden betont, welche die innere Zerrissenheit und Verzweiflung des lyrischen Ichs hervorheben.
Zusammengefasst ist „Einst und jetzt“ ein tief emotionales und melancholisches Gedicht, das von der Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit und der Unfähigkeit, sich in der Gegenwart zurechtzufinden, handelt. Die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Kindheit und Erwachsenenalter, Freude und Schmerz wird dabei auf eindringliche Weise verdeutlicht. Es ist ein typisches Beispiel für Hölderlins nachdenklichen und emotional intensiven Schreibstil.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Einst und jetzt“ ist Johann Christian Friedrich Hölderlin. Geboren wurde Hölderlin im Jahr 1770 in Lauffen am Neckar. Im Zeitraum zwischen 1786 und 1843 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 248 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 37 Versen. Johann Christian Friedrich Hölderlin ist auch der Autor für Gedichte wie „Abbitte“, „Abendphantasie“ und „An Ihren Genius“. Zum Autor des Gedichtes „Einst und jetzt“ haben wir auf abi-pur.de weitere 181 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Johann Christian Friedrich Hölderlin sind auf abi-pur.de 181 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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